Slamburg Hamburg

Norddeutsche Notizen goes Poetry

von und mit Andreas Greve

Andreas Greve - Foto © Weychardt
SLAMBURG HAMBURG

Norddeutsche Notizen goes Poetry
von und mit Andreas Greve

 
Dichter dran
 
„Es war mal wieder einer dieser verkackten Abende, wo es zu früh dunkel wurde und zu spät hell…“ So könnte ein Poetry-Slam-Text beginnen. So etwa irgendwie. Oder auch anders. Also: „Es war irgendwie mal wieder so in etwa einer dieser irgendwie verkackten Abende“ oder so.  Auf jeden Fall gehört das Irgendwie irgendwie zum Slam dazu und es fragt sich, ob damit die Freiheit des Autors oder die Freiwilligkeit des Zuhörens angedeutet sein will. Egal – auch dieses kleine Wort gehört zum Vokabular der Performer, dem Outspoken Word – Pause - „egal“, Luft holen und dann weiter im  Text. Die Zeit ist knapp: 5 Minuten plus. Bis die Uhr klingelt - oder auch darüber hinaus, wenn die Texte gut sind und es sind verdammt gute Stücke dabei und wirklich gute Entertainer oder auch rührende-berührende Vortragsamateure. Persönlich ist gut. Stakkato ist gut. Wiederholungen sind gut. Gut ist gut. Und manchmal dazu eine Melange aus Peinlichkeit, Unsicherheit und Hybris. Wer sehen will, was gemeint sein könnte, der schaue und klicke – um ganz bewußt  k e i n e n Hamburger hervorzuheben – im Internet unter, sagen wir, larsruppel.de das bläuliche Limelight-Video-Bild
Der Slam, eigentlich Live-Act vor und mit dem Publikum - und damit sehr Ort und Zeit gebunden - ist auch  im Netz ausgesprochen präsent.
 
Macht trifft Richter
 
Hamburg gilt als die deutsche Hauptstadt des Poetry Slam. Nirgendwo wird mehr und öfter geslamt. Und mittlerweile bis in die Bastionen der Hochkultur - das Literaturhaus, die Kirche, das Schauspielhaus oder die etablierten Kunst-Institutionen - hinein. Vom sommerlich-saloppen „Poets on the Beach“ zum Salon-Slam „Perlen vor die Säue“. Vielerorts vorne dabei: das Youngster-Duo „Team und Struppi“ Vom Ur-Slam-Dauerbrenner aus dem letzten Jahrtausend „Molotow-Club“ auf St. Pauli zum kleinen Kneipen-Turnier „8min. Eimsbüttel“.


Team und Struppi - Foto © Jan Brandes

 Jüngstes Beispiel für Salonfähigkeit: MACHT TRIFFT RICHTER – Ein Poetry-Slam im Rahmen der großen Gerhard-Richter-Ausstellung „Bilder einer Epoche“. Sechs Hamburger Slammer nahmen sich je ein Bild des Groß-Malers vor und fabulierten minutenlang, was der Kopf und die Vorlage hergab – vom eigenen Blatt. Die Veranstalterin -  und Mitbegründerin von „Macht e.V.“ - Friederike Moldenhauer moderierte und dirigierte die vielköpfige Publikums-Jury, für die diese Art von Schnellverzehr teilweise selbst eine Premiere war. 1. Runde, 2. Runde, Sieger. Fertig. 200 Zuschauer wollten sich das nicht entgehen lassen, diese doppelte Kopfnuß: Erst eine Führung durch die Ausstellung der “Bilder einer Epoche“ (nach Fotos gemalt) und dann - auf der nahen Keller-Bühne – einige davon noch mal durch den Filter der Performance-Poeten. Die Ausstellungsmacher des honorigen Bucerius-Kunstforums am Hamburger Rathausmarkt waren deutlich beeindruckt von der Resonanz. Neue Nutzer. Neue Blicke. Fusion eben. Even Con-Fusion, als ausgerechnet in dieser modernen Disco das Mikrofon dauernd den Geist aufgab.

 

Niedrigschwellig, unterirdisch, gegenwärtig

Hartmuth Pospiech, Aktiv- und Paßiv-Kenner der Szene – und seit über 10 Jahre im Duett mit Tina Übel Slamburg-Moderator im „Molotow-Club“ - schrieb im Vorwort eines Sammelbandes „Dann erscheint das fast schon wieder zu selbstverständlich: daß einer einfach so an einem Abend mitten in der Woche in eine Kellerspelunke gehen und zweihundert Leuten etwas vorlesen darf. Ohne Umweg über Verlage, Lektoren, Wettbewerbe, Fernsehen oder Feuilleton. Daß auf der Bühne seine Knie oder Hände zittern dürfen – und er vielleicht gerade deshalb geliebt wird.“
In der selben Straße, wo eine literarische Lesung nur von einem Dutzend Zuhörer besucht wird, zieht es fünf Häuser weiter 50, 60, 70 Leute in eine enge Kneipe, um im 5-Minuten-Takt Texte von Leuten zu hören, von denen sie noch nie vorher gehört haben. Und die sie bewerten dürfen. Beide: Mann und Manuskript. Tatsächlich sind die Mehrheit Männer. Vielleicht, weil es auch eine Form von, ja, nun, man darf nicht zart sein ist. Ein leicht getrübtes Selbstbild hilft. Mut zum Risiko. Sowohl für die Akteure, wie fürs Publikum ist die Hemmschwelle sehr niedrig gelegt. „Low key“ nennt Friederike Moldenhauer den Schlüssel dazu. Sehr niedrig. Man muß sich etliches anhören…  Aber dennoch gilt das, was die „Welt“ einmal so schön konstatierte: „Deshalb braucht sich auch niemand mehr Sorgen um den Zustand der deutschen Gegenwartsliteratur zu machen. Ihr geht’s ganz gut. Sie lehnt gerade am Tresen und trinkt ein Astra aus der Flasche.“ 
 

Akut tut gut

Nicht alles was gut klingt, ist schön geschrieben. Nicht alles, was auf der Bühne gut kommt, ist auch gut durchdacht. Einiges ist gereimt, etliches gerappt und nicht weniges erscheint mehr als ungereimt. Das wissen besonders die, die es auf sich genommen haben, einen Sampler zusammenzustellen: „Wir wollten das Unmögliche versuchen: die Leidenschaft, Energie und das kreative Moment zwischen Buchdeckel zu pressen, Texte schwarz auf weiß zu bannen, die sich eigentlich nicht zähmen lassen wollen“, schreiben die Herausgeber von „Poetry Slam – Das Buch“, Carlsen Verlag. Über 40 Namen auf über 200 Seiten: Wie Mirco Buchwitz, der tatsächliche Short-Stories schreibt; oder Frank Klötgen, der sich auch schon mal den alten Mörike für die Massen neu portioniert. Er wird bereits als „Legende“ lanciert und mit Solo-Auftritten geadelt, wie gerade im Hamburger „Knust“.


Frank Klötgen - Foto © Tim Jockel

Der große Deklamator aus Berlin hatte 15 seiner 50 neuen Gedichte aus "Mehr Kacheln" dabei und lieferte sie in fast zwei Stunden völlig fehlerfrei und absolut ausdrucksstark ab. „Där Mann is ne gänz andre Liga!“ wie ein Hamburger Kneipen-Slammer danach (fast) neidlos bekannte. Gar nicht so egal: 2002 schickte Hamburg Frank Klötgen als ihren Botschafter des Guten-Slam-Geschmacks zu den deutschsprachigen Meisterschaften nach Bern.
 
Der Boom scheint ungebrochen. Der landesweite Vorrat an Köpfen mit Mund, Augen, Ohren und Ausdruckswillen ist theoretisch unerschöpflich. Es kann jeden treffen. Heute Sie und morgen mich! Die szenekundige Friederike Moldenhauer, die obendrein mit ihrem „Science-Slam“ bereits in neue Themen-Felder vorgedrungen ist, nennt den Slam eine „Akute Kunstform“. Sehr gut: akut! Das klingt schon fast nach einer medizinischen Diagnose. Oder nach Wash and Go. Mouth & Ear. Hören und Vergessen. Und vor allem: Nicht lange fackeln!
Nun, wo „Die Zeit“ die Lyrik als Sinnes-Reportage sogar in ihren Politik-Teil genommen hat, zögere ich nicht, meine Berichterstattung - als zusätzlichen Service - in handgeklöppelten Versen anzubieten. Quasi die vokale Quintessenz aller Poetry-Slams und im Selbstversuch:

Akut tut gut

Wenn Dichter schreibt, was Richter malt,
Wenn Schreiber liest, was Maler denkt
Wenn Hörer sieht, worum es geht -
in einem Club und auch noch spät
dann ist das SLAM
 
Das Spoken Word spukt durch den Raum
bedacht – gemacht - gesagt - belacht,
verspielt, verdreht, verzapft, verquatscht
nur knapp erfasst - sofort beklatscht
so schnell wirkt SLAM
 
Bekannt ist out, Bekannter in
Mein Freund tut´s auch, als Geist auf Zeit
dem Renommee am Arsch vorbei
Affekt mit Leck – der Kopf voll frei
das klingt nach SLAM
 
Es hackt, es knackt, Se-kun-den-takt
five minuts: Mimik, Atem, Ton
Wer schreibt, der bleibt (Jedoch: Wer druckt?)
Viel geiler hier, wo jeder guckt!
So gut tut SLAM
 
Das Wort als Sport, Niveau mal hier
Veau ni mal da - hupps,  ich bin raus -
Es fehlt ein Punkt fürn nächsten Lauf
Was soll´s - egal - ich hör mal auf
Das war ECHT SLAM
 
 
Sie dürfen sich jetzt eine Zahl zwischen 1 und 10 für mich ausdenken. 7? - Danke!
Die wahren  Slam-Großmeister, die mit und die ohne Namen, gibt es dann im Herbst in Hamburg fünf Tage lang live zu erleben: 15. Poetry Slam Meisterschaften vom 18. – 22. Oktober 2011. Es soll, so munkelt man, das größte der W e l t werden: www.slam2011.de


Redaktion: Frank Becker