Die Kelten - geheimnisvolle Europäer

Martin Kuckenburg - "Die Kelten" und "Das Zeitalter der Keltenfürsten"

von Friederike Hagemeyer
Geheimnisvolle Europäer
 
Die Kelten an der Schwelle zur ersten Hochkultur Mitteleuropas
 
Von Friedrike Hagemeyer

Gallia est omnis divisa in partes tres, quarum unam incolunt Belgae...... tertiam, qui ipsorum lingua Celtae nostra Galli appellantur.”(Übers.: Insgesamt ist Gallien in drei Teile eingeteilt; der erste ist von Belgiern bewohnt, ..... der dritte von Leuten, die sich in ihrer eigenen Sprache Kelten nennen, in unserer Gallier heißen.) - Kaum einem deutschen Gymnasiasten blieb es erspart, diesen Eingangssatz von Caesars Bericht über seine Eroberungszüge in Gallien (C. Iulius Caesar: ”De bello Gallico”) auswendig zu lernen. Doch die darin beschriebenen kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Kelten und Römern leiteten bereits das Ende keltischer Kultur auf dem europäischen Festland ein; lediglich an der Peripherie, in der Bretagne und auf den Britischen Inseln lebte das Keltentum weiter. Ein später Abglanz ist dort sogar heute noch zu erahnen.
 
Frühform europäischer Einheit – die Hallstattkultur
 
Die Anfänge reichen weit zurück in eine Zeit, in der von Rom noch gar keine Rede ist. Es beginnt im 8. Jahrhundert v. Chr. mit der Hallstattkultur, benannt nach den ersten frühkeltischen Funden in Hallstatt (Österreich), dessen Salzvorkommen schon seit der Steinzeit ausgebeutet wird. Diese Epoche endet um 470 v. Chr. vermutlich mit Unruhen, worauf einige Bodenfunde schließen lassen. Von den Ursprüngen in Burgund, Südwestdeutschland und der Nordschweiz breitet sich die Hallstattkultur in einem breiten Streifen entlang des Nordrandes der Alpen aus; im Westen erreicht sie den Oberlauf der Seine, nach Osten hin die Gegend um Prag und in Richtung Südosten die Nordküste der Adria. Vermutlich gibt es in dieser Zeit noch gar kein einheitliches Keltenvolk, sondern es sind ganz verschiedene Stämme und Völkerschaften, die einen breiten Fundus an kulturellen Gemeinsamkeiten teilen.
Ab etwa 400 v. Chr. setzen die großen keltischen Wanderungen nach Süden ein. Ganze Stämme oder Stammesteile stoßen nach Norditalien in etruskisches Gebiet vor, dringen nach Griechenland ein und erreichen sogar Kleinasien und Anatolien, wo sich keltische Verbände niederlassen, die als Galater ins Neue Testament eingehen werden.
 
Zweite Blüte keltischer Kultur - die Latène-Zeit
 
Nach etwa hundertfünfzig bis zweihundert Jahren kehren viele dieser keltischen Stämme in ihr Ursprungsgebiet zurück. Dort entwickelt sich eine neue Blüte keltischer Kultur, die Latène-Kultur, benannt nach La Tène am Nordufer des Neuenburger Sees (Schweiz), dem ersten Fundort zeittypischer Gegenstände. Bis die Kelten als eigenständige kulturelle Kraft auf dem europäischen Festland wieder verschwinden, hat sich die Latène-Kultur vom Schwarzen Meer bis an den Atlantik und über die Britischen Inseln ausgebreitet.
Um die Zeitenwende geraten die Kelten auf dem Kontinent in die Klemme, denn von Süden her greifen die Römer an, und von Norden her dringen Germanenstämme ein; sie werden buchstäblich zwischen beiden zerrieben.
 
Sozial differenzierte Gesellschaft
 
Der Beginn keltischer Kultur um 800/750 v. Chr. fällt zusammen mit dem Beginn der Eisenverarbeitung in Mitteleuropa. Zwar verschwindet die Bronze nicht sofort, aber sie wird allmählich nur noch zur Herstellung ausgewählter Gegenstände eingesetzt, wie z.B. Zierat, Schmuck sowie größere oder kleinere Gefäße. Das sehr viel härtere Eisen ermöglicht nun die Herstellung besserer Waffen und Gebrauchsgegenstände, und es macht die Produktion sehr viel preisgünstiger, da Eisen häufiger und geographisch breiter gestreut vorkommt.
In der Zeit zwischen 600 und 450 v. Chr. bildet sich im keltischen Kerngebiet eine sozial differenzierte Gesellschaft heraus, wie sich aus Grabfunden erschließen läßt. In den von der Hallstattkultur geprägten Regionen gibt es neben wenigen mit außerordentlicher Pracht ausgestatteten ”Fürstengräbern” Grabhügel, in denen vermutlich Angehörige einer ländlichen Oberschicht bestattet werden, erkennbar an den beigegebenen vierrädrigen Wagen mit Pferdegeschirr, wahrscheinlich eine Art Statussymbol von ”Gutsherren”. Und es lassen sich auf manchen Grabhügelfeldern zwischen den Tumuli auch ”ärmlich” ausgestattete Erdgruben mit Brandbestattungen nachweisen; vermutlich werden Angehörige sozialer Unterschichten so beigesetzt. Wie sich jedoch die einzelnen sozialen Gruppen definieren und gegeneinander abgrenzen lassen, das ist für uns kaum noch nachzuvollziehen, da wir für diese Zeit lediglich auf die Aussagekraft archäologischer Zeugnisse angewiesen sind.
 
Der ”Fürst” von Hochdorf
 
Das 1978/79 entdeckte und noch völlig intakte Grab des ”Fürsten” von Hochdorf bei Ludwigsburg ist einer der spektakulärsten Kelten-Funde in jüngerer Zeit. Er kann geradezu als Paradebeispiel eines hallstattzeitlichen Fürstengrabes gelten, dessen Beigaben von außerordentlicher Pracht sind, und vom Reichtum des bestatteten Herren zeugen.
Das Skelett des etwa vierzigjährigen kräftigen mit 1,87 m ungewöhnlich großen Mannes liegt ausgestreckt auf einer 2,75 m langen Couch aus Bronzeblech, einer Kline. Eine Reihe persönlicher Gegenstände begleiten ihn, Holzkamm, Rasiermesser und Nagelschneider sowie reichlich Schmuck, davon allein 600 Gramm aus Gold. An der Wand zu Häupten des Toten hängen neun Trinkhörner, das größte 1,20 m lange und ca. 5 Liter fassende dürfte das des bestatten Herren gewesen sein, da es direkt hinter seinem Kopf angebracht ist. In einer Ecke der 4,70 X 4,70 m großen Grabkammer steht auf drei Löwenfüßen ein 80 cm hoher verzierter griechischer Bronzekessel von 1 m Durchmesser. An der dem Toten gegenüberliegenden Wand steht ein vierrädriger Wagen mit Zaumzeug und Geschirr für zwei Pferde; auf dem Wagen liegt ein Schlachtbesteck, bestehend aus einer Eisenaxt, einem Fleischmesser und einem Eisenspieß, dazu neun übereinander gestapelte Bronzeteller und drei Bronzebecken mit Henkeln. Wie Funde von Textilresten belegen, ist die ganze Grabkammer mit bunt gemusterten Tüchern ausgeschmückt. – Welche Zurschaustellung von Reichtum und Luxus!
 
Was die Grabbeigaben erzählen
 
Was aber können uns diese Grabbeigaben über das Leben und die gesellschaftliche Stellung des Toten berichten? Der vierrädrige Wagen, ein Statussymbol, trägt deutliche Gebrauchsspuren und dürfte dem Toten auch schon zu Lebzeiten als Fahrzeug gedient haben. Höchstwahrscheinlich hat es sehr gut funktioniert, wie praktische Versuche mit einer Nachbildung beweisen. Die Sitte, höher gestellten Personen, einen solchen Wagen mit ins Grab zu geben, haben die Kelten schon etwa 200 Jahre früher von östlichen Reitervölkern, möglicherweise den Skythen, übernommen.
Der große aus Griechenland importierte Bronzekessel, der bei der Bestattung noch zu etwa Dreivierteln mit Met (Honigwein) gefüllt war, wie eine dicke Pollenschicht am Boden beweist, die neun Trinkhörner, das Schlachtbesteck und die neun ebenfalls noch zu Lebzeiten benutzten Bronzeteller, alle diese Gegenstände könnten darauf hinweisen, daß der ”Fürst” von Hochdorf das Haupt einer ”Tafelrunde” war, zu der acht wohl jüngere Gefolgsleute gehören. Diese sind verpflichtet, ihrem Herren in Friedens- und in Kriegszeiten zu dienen. Als Gegenleistung hat der Gefolgsherr für das materielle Wohl seiner Gefolgschaft zu sorgen, sie an eroberter Kriegsbeute zu beteiligen und sich durch regelmäßige Veranstaltung von Festen als großzügig zu erweisen. Dem ”Fürsten” von Hochdorf soll es auch im Jenseits ermöglicht werden, seiner Rolle als Gefolgsherr gerecht werden zu können.
 
Woher der Reichtum stammt
 
Wie sich bei archäologischen Untersuchungen herausstellt, befinden sich in der Umgebung der ”Fürstengräber” häufig größere Siedlungen mit teils stadtähnlichem Charakter, so auch in Hochdorf. Außerdem zeigt sich, daß die hallstattzeitlichen ”Fürstensitze” fast immer an den schiffbaren Flüssen Westmitteleuropas zu finden sind, vorwiegend an Orten, die sich als Umschlagplätze vom Wasser- auf den Landweg eignen.
 
Schon seit dem 7. Jahrhundert gelangen einzelne Importe aus den etruskischen Städten Norditaliens über Alpenpässe in keltisches Gebiet. Etwa fünfzig Jahre nach der Gründung der griechischen Kolonie Massala (Marseille) an der Rhonemündung um 600 v. Chr. nehmen jedoch Importwaren aus Griechenland in den keltischen ”Fürstengräbern” deutlich zu. Die Südverbindungen werden auch durch Nachbildungen mediterraner Gebrauchsgegenstände belegt, wie die in heimischen Werkstätten hergestellte Kline im Hochdorfer Grab zeigt. Und damit läßt sich der Haupthandelsweg rekonstruieren: Von Massala die Rhone hinauf, über Saône und Doubs gelangen Luxusgüter wie auch Wein und griechische Keramik zum Oberrhein und zur oberen Donau; an den Verkehrsknotenpunkten kontrollieren keltische Adelsherren den Fernhandel, nicht zu ihrem Nachteil wie die Grabfunde beweisen. Die meisten Prähistoriker gehen davon aus, daß tatsächlich ein Großteil des Reichtums und der Macht hallstattzeitlicher Keltenfürsten auf der Kontrolle der wichtigen Verkehrsadern in West- und Zentraleuropa beruht.
 
Bebilderter Prachtband und wissenschaftliche Darstellung
 
Es ist deutlich zu spüren, daß Martin Kuckenburg von den Kelten fasziniert ist. 2010 erschienen gleich zwei Titel von ihm zum Thema keltische Kultur.
Der Theiss-Verlag veröffentlicht das wunderbar bebilderte Überblickswerk ”Die Kelten”, das in stark erweiterter und komplett überarbeiteter Auflage die bereits 2004 erschienene Publikation ”Die Kelten in Mitteleuropa” ablöst. Nicht nur sind darin die allerneuesten Ausgrabungs- und Forschungsergebnisse zusammengetragen, sondern es enthält nun auch eine Darstellung des Fortlebens keltischer Kultur in der Bretagne und auf den Britischen Inseln nach dem Ende des Festlandskeltentums. Neben brillanten Farbabbildungen und anschaulichen Karten, sind besonders die Zitate antiker Autoren in den Randspalten hervorzuheben. Ein guter Einfall, denn auf diese Weise wird auch für Laien die Beziehung zwischen archäologischen und schriftlichen Quellen deutlich. Ein kurz gehaltener Anmerkungsapparat, Ortsregister und eine Auswahlbibliographie runden den Band ab. Wer bisher mit dem Begriff ”Kelten” lediglich Irland, Schottland und Wales, Avalon und die Druiden assoziierte, wird in diesem großformatigen Prachtband im besten Sinne eines Besseren belehrt.
 
Das zweite Keltenbuch Kuckenburgs von 2010, bei Klett-Cotta erschienen, behandelt ”nur” einen
Ausschnitt keltischer Geschichte in Mitteleuropa, ”Das Zeitalter der Keltenfürsten”. Damit hat Kuckenburg eine in die Tiefe gehende Darstellung vorgelegt, die sich - wie immer bei diesem Autor - durch sehr gute Lesbarkeit auszeichnet. Nicht nur sind auch hier neueste Forschungsergebnisse gebündelt, nein, Kuckenburg räumt auch mit der -   durch antike Autoren geprägten - Vorstellung von der Rückständigkeit der Kelten auf. Im Untertitel des Buches ”Eine europäische Hochkultur” ist seine These formuliert. Das Für und Wider genau abwägend argumentiert er für seine Auffassung von den kulturellen Leistungen der Kelten in der späten Hallstattzeit: eine hochentwickelte ausdifferenzierte Gesellschaftsstruktur mit prunkvollen Fürstensitzen, umgeben von stadtartigen Siedlungen, umfangreichen Wirtschaftsbeziehungen in den Mittelmeerraum und mit einer faszinierenden eigenständigen Kunst. Das alles zeigt, daß sich dieses geheimnisvolle Volk durchaus auf Augenhöhe mit den sich entwickelnden Kulturen Etruriens, Griechenlands und später Roms befindet.
Der Band genügt wissenschaftlichen Ansprüchen. Die Anmerkungen sind dankenswerter Weise so kurz wie möglich gehalten, die Auswahlbibliographie - das Wort ”Auswahl” ist hier eine glatte Untertreibung - verzeichnet Literatur von den 1950er Jahren an und lädt zur Vertiefung spezieller Fragen ein.
Beide Werke ergänzen sich in wunderbarer Weise und sie seien denjenigen empfohlen, die schon immer etwas mehr über das rätselhafte Volk der Kelten erfahren wollten.

 

Martin Kuckenburg: Die Kelten
© 2010 Theiss Verlag, 240 Seiten mit rund 200 farbigen Abbildungen. 24,5 x 29 cm. Gebunden mit Schutzumschlag - ISBN 978-3-8062-2274-62 - stark erw. u. komplett überarb. Neuaufl.
49,90 €
Weitere Informationen:
  http://www.theiss.de/
 
Martin Kuckenburg: Das Zeitalter der Keltenfürsten. Eine europäische Hochkultur
© 2010 Klett Kotta, 320 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, Karten, zahlreiche Abbildungen - ISBN: 978-3-608-94307-8
24,95 €
Weitere Informationen:
http://www.klett-cotta.de/
 
Redaktion: Frank Becker