Schirme

von Hanns Dieter Hüsch

© André Poloczek - Archiv Musenblätter
Schirme

Es hat gar keinen Zweck, daß ich mir einen Schirm kaufe. Das ist völliger Unsinn! Rausgeworfenes Geld! Und das hat mir meine Frau neulich noch einmal laut und deutlich bestätigt. »Es hat keinen Zweck!« hat sie gesagt. »Daß man dir einen Schirm kauft!« Und dann hat sie noch gesagt: »Es hat keinen Zweck, daß man diesem Mann« - und hat mit dem rechten Zeigefinger auf mich gezeigt -, »daß man diesem Mann einen Schirm kauft!« Und wenn sie so etwas sagt, ist es für mich immer am besten, wenn ich in die gleiche Leier einfalle und mitsinge. »Es hat wirklich keinen Zweck, daß ich oder daß man mir einen Schirm kauft!« »Und warum?« hat dann meine Frau gefragt. »Ja«, habe ich gesagt, »weil ich den Schirm immer stehen lasse.« »Richtig«, hat darauf meine Frau gesagt. Das ist bei uns schon ein klassischer Dialog. Es fängt immer damit an, daß ich alles eingestehe und zugebe. Daß es also keinen Zweck hat, mir einen Schirm zu kaufen. Und meine Frau wiederholt dann das Ganze noch mal, und dann steige ich wieder ein und gebe ihr recht, Was bleibt mir denn anders übrig? Denn es ist ja nun mal so! Da kann ich mich nur mit der berühmten Flucht nach vorn retten und klein beigeben, Denn wie viele Schirme ich schon habe stehen- oder liegenlassen, das hängt schon mit gespaltenem Interesse zusammen. Deshalb sage ich auch immer: »Kaufe mir nur Schirme für neun Mark fünfzig, weil ich genau weiß, der ist in drei Wochen weg, doppelt weg!« Erstens lasse ich ihn im Café stehen, und wenn ich dann zurückgehe und nach dem Schirm frage, ist er zweitens schon nicht mehr da! Und alle sagen: »Ach, das war Ihrer! Der schöne Schirm mit dem Automatic-Knopf zum Aufgehen!« Ich habe immer gesagt: »Bitte, keine wertvollen Schirme! Ich kann dafür beim besten Willen nicht die Verantwortung übernehmen.« Da kann ich mich nämlich noch so zusammenreißen und mir vorher ständig ins Gesicht sagen: Vergiß den Schirm bitte nicht! Denk bitte an den Schirm! Bitte, laß den Schirm nicht im Stich! Aber da hilft keine Bitte und kein Danke. Ich lasse Schirme überall liegen, hängen, stehen! Neulich wieder im Eilzug! Den Schirm schön in das Gepäckregal gelegt, gleich gesagt, du mußt an den Schirm denken! Nichts! Ich steige aus, ein Freund holt mich mit dem Auto ab, geredet und gefahren, und als ich ausstieg und es regnete, war mir ruckartig alles klar: Der Schirm - der Weihnachtsschirm von meiner Frau, mit Automatic-Knopf fürs Aufgehen - war nicht mehr in meiner Hand! Och, dachte ich noch, der kommt nicht weg, den nimmt keiner! Erste Klasse, mutterseelenallein! Ich abends zum Fundbüro, Riesenantrag mit genauer Lokalisierung ausgefüllt! »Sie bekommen von uns Nachricht!« Das ist jetzt acht Wochen her! Und meine Frau sagte: »Es hat nun mal keinen Zweck, dir einen Schirm zu kaufen, geschweige denn zu schenken!« Und dann habe ich noch gesagt: »Geschweige denn aufs Fundbüro zu gehen!« Es hat bei mir wirklich keinen Zweck!



© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Es kommt immer was dazwischen" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung