Rheinische Standpunkte

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker
Rheinische Standpunkte
 
Ein gutes Gespräch ist wie Liebe machen: erst der Wechsel der Positionen gibt die Würze, derer beide bedürfen. So gesehen müßte der Rheinländer der Lover schlechthin sein. Keiner beherrscht so wie er das Wechselspiel zwischen Behauptung und Aufgabe eines Standpunktes, zwischen vehementer Ablehnung und heftigster Zustimmung. Und das alles oft genug in einem Atemzug. Ein solches Gespräch gehört zu den Genüssen, "deren selten ein Sterblicher habhaft werden kann" (Homer, dat nur mal nebenbei) - sofern er nicht im Rheinland lebt.
Hier allerdings ist es 'normal'. A:"Also wat sich die Rejierung mit der Ex-Täterää jelapp hätt, dat paß jo op keen Kohhaut mih." B:"Jenau! Die hätten die Mauer am besten stonn jelosse, weil: dat kann jo kee Minsch mih bezahle, sch-meine: wat dat koss!!" A:"Andererseits: is doch schön: ein Deutschland, ne..." B:"Jut, klar, ne, is schön, so jesehen un do hätt jo och jeder andere Kanzler nüß anders maache künne, sch-meine: wor klar, in dem Moment wies die Mauer jefallen is, dat dat Geld koß, normal, ne, sch-meine: willse machen...". Und schon hat er in zwei Atemzügen zwei gegenteilige Standpunkte eingenommen. Das ist Tempo! Das ist rasant! Da wird, sozusagen, die Frau zweimal umgebettet und weiter geht's im Galopp, denn jetzt geht es in die berühmte "Ja - Sicher!" - Schleife. Sie wird eingesetzt zur Bestätigung des Gesagten und zur Einleitung des Gegenteils.
A:"Et Kättchen vum Kabänes - Karl, dat is jo vielleicht en Knaller!" B:"Dat kann ich Dir saren: dat is dat bestaussehendste Mädchen em janze Viertel!" A:"Ewwe dä Lippenstiff! Wie kann et nur esu ene Lippenstiff traren?!" B:"Ja sicher! Dä Lippenstiff! Ich sare jo: et Kättchen? Bäh! Sch-kann et net anluure ohne dat mir et Essen ussem Jesäch fällt." Zong! Und dennoch ist alles in Ordnung, weil: die Wahrheit, liebe Freunde, liegt immer zwischen den Standpunkten, jetzt mal so jesehen. Oder? Übung: Hören Sie sich mal heute zu, wenn Sie in der Kneipe am erzählen sind und für jeden gekonnten Standpunktwechsel (sprich: für jede neue Position) innerhalb eines Gesprächs gibt es ein Kölsch (auf den Deckel des Gesprächspartners). Ich wette, daß Sie noch nie so schnell den Deckel rund hatten!
 
In diesem Sinne
Ihr
Konrad Beikircher


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