Berlinkrise - Kubakrise
Jahre atomarer Bedrohung Die Jahre 1961 und 62 waren Tag für Tag Augenblicke, in denen die Welt am Abgrund stand, ein dritter Weltkrieg drohte, ein Atomkrieg. Zuerst die Berlinkrise, die Chruschtschow 1958 mit der Bemerkung Westberlin sei ein Krebsgeschwür, weshalb man eine chirurgische Operation ausführen müsse, ausgelöst hatte und die erst nach dem Bau der Mauer im August 1961 ein sich allmählich und zeitweise stabilisierendes Ende fand, bevor im Oktober 1962 die Stationierung sowjetischer Raketen mit Atomsprengköpfen in Kuba die Welt erneut an den Rand eines Krieges brachte.
Dem Jahr 1961 hat der amerikanische Publizist Frederick Kempe eine umfangreiche Studie gewidmet, die kürzlich unter dem Titel „Berlin 1961“ erschienen ist.
Sie beginnt mit der Erzählung jenes Tages, da alles auf des Messers Schneide stand, dem 27. Oktober 1961. Die sowjetischen Besatzer der DDR hatten verfügt, daß amerikanische Militärpatrouillen wie bis dahin vereinbart nicht mehr den internationalen Übergang, den Checkpoint Charlie, ohne Kontrolle passieren konnten. Das wollten die Amerikaner sich nicht gefallen lassen. Und so kam es am jenem Tag gegen 21 Uhr an eben diesem Checkpoint zu einer Konfrontation amerikanischer und sowjetischer Panzer, die sich stundenlang schußbereit gegenüberstanden. Ein Funke, ein Schuß hätte womöglich genügt und ein Weltbrand wäre von Berlin, „dem gefährlichsten Ort der Welt“ so Kempe Nikita Chruschtschow zitierend, ausgegangen. Doch schließlich konnte die Eskalation vermieden werden, da alle die Nerven behielten.
„Das deutsche Problem muß 1961 gelöst werden“ hatte Chruschtschow gegenüber dem westdeutschen Botschafter Hans Kroll beim Neujahrsempfang 1961 anvertraut.
Im August 1961 kam es zur ersten Etappe der „Lösung“. Ostberlin wurde mit Zäunen und Stacheldraht abgesperrt, um ein Ausbluten der DDR durch Flüchtlinge zu vermeiden. Danach ging es den Sowjets darum, den Berlinstatus zu verändern, es von den Westmächten zu lösen, um es zu einem neutralen Fleck auf der Weltkarte zu machen. Kempe erzählt anschaulich und bisweilen spannend wie in einem Kriminalroman nicht nur diese Szene von Oktober 1961, sondern breitet das gesamte zeitgeschichtliche Spektrum des Jahres aus, wenn auch gelegentlich in wenig simplifizierend.
Er stellt die beiden Hauptakteure des Beinahkrieges vor, den impulsiven, gelegentlich cholerischen Nikita Chruschtschow, der von einer Ungeduld getrieben wird, weltweit eine Rolle zu spielen, sowohl hinsichtlich der Sowjetunion als auch als Egomane seiner selbst. Dagegen der zögerliche, von Krankheit gezeichnete John F. Kennedy, der kurz zuvor bei der gescheiterten Schweinebuchtinvasion in Kuba ein Desaster erlitten hat. Dazwischen Konrad Adenauer, der Kennedy tief mißtraut und vor allem seine nachgiebige Haltung gegenüber den Sowjets verachtet, auf der anderen Seite Walter Ulbricht, ein Erfüllungsgehilfe der Sowjetunion, der aber dennoch versucht, eigene politische Akzente zu setzen und die Sowjets drängt, eine Mauer errichten zu können.
Nachbeben nennt Kempe dann, was dem Bau der Mauer folgen wird. Die Spaltung Europas war durch die Mauer zementiert worden, auch weil die Westmächte den Bau schließlich akzeptierten, es bei verbalen Verurteilungen beließen. Die Aufstellung von sowjetischen Raketen auf Kuba im Laufe des Jahres 1962 war dann ein weiterer Versuch Chruschtschows, die Machtverhältnisse in der Welt zu verändern. Doch dieses Mal stieß er auf den energischen Widerstand der Amerikaner, und so konnte schließlich doch noch ein Atomkrieg verhindert werden. Von da an setzte man auf friedliche Koexistenz der beiden Lager.
Die Vielzahl der Bücher, die zum Jahr 1961 erschienen sind, drehen sich vor allem um den Bau der Berliner Mauer. Ein Monument, das dem, der irgendwo in Westdeutschland, ob in Köln, Reutlingen, Wuppertal oder gar in Frankreich, Italien oder Spanien lebte, nicht zu erklären war, wie auch die Tatsache, daß Westberlin inmitten des Territoriums der DDR lag. Man mußte es schon mit eigenen Augen gesehen und mit eigenen Beinen umlaufen haben, um die Mauer nicht nur als ein Absurdum anzusehen. Hans-Hermann Hertle vom Potsdamer Zentrum für Zeitgeschichtliche Forschung, einer der wohl besten Kenner des Mauerbaus und dessen Folgen, hat nun ein Handbuch vorgelegt, das mehr als 20 Jahre nach ihren Verschwinden, versucht, die Mauer zu erklären. Er nennt es im Untertitel „Biographie eines Bauwerks“, das in der Tat in neun Kapiteln den besten Überblick gibt über Vorgeschichte, die zuerst eher provisorische Errichtung einer Grenze mitten durch Berlin, die gelungenen und gescheiterten Fluchtversuche, die Perfektion des Sperrsystems, die Todesopfer am Todesstreifen, den Fall der Mauer. Und in einem Kapitel zeigt er nach dem Verschwinden des „Bauwerks“ nach, wo sie einst gestanden hat.
Manfred Wilke fragt in seinem Buch „Der Weg zur Mauer“ wer eigentlich für ihre Errichtung verantwortlich war. Chruschtschow oder Ulbricht? Er kommt zu dem Schluß, daß Ulbricht zwar eine Absperrung zum Westen wünschte, es aber vor allem der sowjetische Herrscher gewesen sei, der global gesehen an einem perfektionierten eisernen Vorhang in Berlin interessiert war, als westlichste Speerspitze der kommunistischen Welt.
In einem von Klaus-Dietmar Henke herausgegebenen Sammelband über Errichtung, Überwindung und Erinnerung an den „antifaschistischen Schutzwall“, wie das Monstrum im DDR-Jargon hieß, berichten 29 Autoren in ebenso vielen Perspektiven. Neben Beiträgen zum Menschenhandel zwischen der DDR und der BRD, zum Schießbefehl, den ökonomischen Folgen- für die DDR war die Mauer auch ein gutes Geschäft als Devisenbringer- wird auch auf ihren Widerschein in Literatur, Film, Theater und Malerei eingegangen.
Einar Schleef, der begnadete Schriftsteller, Theaterregisseur, Schauspieler und Maler, hat wie kein anderer die Körper und Psyche vernichtende Auswirkung der Mauer in Wort und Bild beschrieben. Als er schließlich die DDR verlassen hatte, in Westberlin lebte, lief er wie süchtig, geradezu obsessiv immer wieder zur Mauer, um den Grenzpolizisten von gegenüber in die Augen zu schauen, die ihre Ferngläser auf ihn richteten wie Gewehrläufe.
„Mein Blut läuft mir über die Brust. Ich kippe mir selbst entgegen“, ist das Fazit in einer der Erzählungen Schleefs. Der Band „Ich habe kein Deutschland gefunden“ versammelt diese neben Tagebuchnotizen und Mauerphotos, die er vom Westen aus gemacht hat.
Die Mauer vom Osten zu fotografieren, war verboten, und wer es dennoch tat, wurde verhaftet und in eins der berüchtigten DDR-Gefängnisse verbracht, vorzugsweise nach Bautzen oder nach Hohenschönhausen in Stasi-Untersuchungshaft. So auch Detlef Matthes. Seine Photos, die er 1986 heimlich machte und die er erst nach der Wende in seiner Stasiakte wiederentdeckt hat, sind in dem Band „Weltende - die Ostseite der Berliner Mauer“ zu finden.
Während im Westen die Mauer mit Graffiti und mehr oder weniger sinnigen Parolen übermalt wurde, war sie vom Osten aus gesehen eine furchteinflößende, kalte, graue, an vielen Stellen auch weiß angestrichene Fläche, eine Gefängnismauer für ein ganzes Volk. Und davor Stacheldraht, Wachtürme, gleißendes Licht, damit die Grenzer auch jeden sehen konnten, der es gewagt hätte, sie zu überqueren.
„Der weiße Strich“ dokumentiert eine Kunstaktion des Frank Willmann, der mit weiteren vier Jugendlichen, nachdem sie aus der DDR in den Westen abgeschoben waren, vorhatte, entlang der gesamten Mauer auf der Westseite einen weißen Strich zu ziehen. Ihnen war die mit Graffiti überzogene Mauer zu pittoresk und hatte dadurch die brutale Ansicht des Bauwerks verloren. Doch am zweiten Tag der Aktion wurde Frank Willmann durch eine verdeckte Tür in der Mauer von Grenzpolizisten in den Osten gezogen und landete im Stasigefängnis von Bautzen.
Die Ausstellung und der dazugehörige Katalog „Aus anderer Sicht“ zeigt eine Unzahl von Photos, die die Mauer vom Osten her zeigen. Wie war das möglich, da es doch verboten war, sie abzulichten? Es waren Grenzpolizisten selbst, die den Auftrag erhalten hatten, nur für den internen Dienstgebrauch den frühen Zustand der ersten Mauerjahre zu dokumentieren. Ein tristes, ein in der Ödnis des Grenzstreifens mit Blick in den Westen über die Mauer hinweg trostloses Dokument einer absurden Kerbe mitten durch die Stadt Berlin. Die Romanautorin Annett Gröschner und der Photograph Arwed Messmer haben diese Photos in einem Archiv per Zufall gefunden. Messmer hat sie digitalisiert und zu Rundpanoramen zusammenmontiert, sodaß man einen Blick gewinnt, der dem eigenen Auge nicht möglich gewesen wäre und der dadurch das ganze Ausmaß der Mauer zeigt. Hinzugefügt sind Beobachtungen, welche die Grenzpolizisten akribisch auch vom geringsten Zwischenfall, den „Provokationen“ von der Westseite aus notieren mußten. Sie entbehren nicht einer gewissen Komik, zeigen aber auch die Erbärmlichkeit eines Systems, das meinte, sich einmauern zu müssen.
Frederick Kempe: „Berlin 1961 – Kennedy, Chruschtschow und der Gefährlichste Ort der Welt“
669 S., Siedler Verlag
Hans-Hermann Hertle: Die Berliner Mauer
250 S. 4,90 Euro, Ch. Links Verlag Berlin
Manfred Wilke: „Der Weg zur Mauer- Stationen eine Teilungsgeschichte“
472 S. 39,90 Euro, Ch. Links Verlag Berlin
Anne Hahn/ Frank Willmann: Der weiße Strich
200 S. 19.90 Euro, Ch. Links Verlag Berlin
Klaus-Dietmar Henke (Hrsg.): Die Mauer
607 S. 24.90, Deutscher Taschenbuchverlag München
Einar Schleef: „Ich habe kein Deutschland gefunden“
Erzählungen und Fotografien zur Berliner Mauer
Mit einem Nachwort von Jörg Aufenanger
152 S. 29 Euro, Elfenbein-Verlag Berlin
Annett Gröschner/Arwed Messmer: „Aus anderer Sicht - die frühe Berliner Mauer“
752 S. 49,80 Euro, Hatje Cantz Verlag
Die Ausstellung „Aus anderer Sicht“ ist bis zum 3.10.2011 zu sehen Unter den Linden 40 Berlin.
Redaktion: Frank Becker
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