Nur so viel will ich sagen…

Lyrik-Rezensionen, diverse

von Andreas Greve

Andreas Greve - Foto © Weychardt

Nur so viel will ich sagen…

 
Lyrik-Rezensionen, diverse
 
von Andreas Greve

Heute möchte ich mich abwechslungshalber einmal ganz kurz fassen. Nur so viel möchte ich sagen: Irgendwie scheint es widersinnig, Worte über Gedichte zu machen. Es sei denn, man möchte einen Fingerzeig geben, einen kleinen Werbeblock schalten, zum Selber-Lesen auffordern. Stilistisch und inhaltlich bleibt man dabei weit unter dem Besungenen. Vielleicht ist es auch einfach nur schwieriger (als über schlechte Bilder zu schwadronieren, einem drittklassigem Hotel den verbalen Todesstoß zu versetzen oder der Landlust zu frönen). Am allerbesten wäre es, ich leihe Ihnen die fünf Bücher und Literaturmagazine, über die ich hier etwas schreiben wollte. Aha, das wollen Sie nun wieder nicht. Nun gut, um mich vom lyrischen Tonfall stark abzusetzen, werde ich möglichst viele Zahlen einbauen.
Nehmen wir nun also zuerst die beiden Nummern des Magazins „Poet“, buchdick und buchformatig, mit jeweils über 250 Seiten und nicht nur Wasserstandsmeldungen über neue Lyrik in Deutschland
gebend, sondern auch jeweils einen Überblick oder Eindruck von der Poesie in dem einen oder anderen Ausland, in diesen Fällen gut 50, 60 Seiten niederländischer Literatuur bzw. of English Poetry, zweisprachig und mit einer kundigen Einführung versehen. Am Ende des Bandes Gespräche mit sechs Autoren über die Wichtigkeit oder Bedeutung von Orten beim Schreiben. (Nach meiner Erfahrung eminent wichtig, manchmal sogar matchentscheidend!) Zu den Auskunftswilligen zählt auch Isabell Allende, eine der sehr wenigen Namen im Magazin, die einem durchschnittlichen Leser auf Anhieb geläufig sind. Dieses Interview führte Johanna Hemkentokrax, schon ungleich unbekannter - aber dafür gibt es im Abspann ein Register, in dem etwas über die wechselnden Akteure und Dichter des halbjährlichen Compendiums steht. So lernt man an- oder ausgesagte Namen quasi beim gelungenen Mogelversuche. Soviel kann ich verraten: Johanna Hemkentokrax kam nicht etwa auf Island oder in der Bretagne zur Welt, sondern 1982 in Bielefeld. Das möchte ich nun flugs als Überleitung nutzen – nicht Bielefeld, sondern die Register. Eigentlich schade, denn jetzt könnte ich noch dies oder das über den in der Fachwelt gelobten „Poeten“ anmerken. Zum Beispiel so viel zu sagen wagen: Dieser Poet dünkt mich nicht dünkelhaft. Oder: Viel lyrische Vielfalt für nur 9, 80 Euro. Oder Michael Braun zu Wort kommen lassen, der in einer Laudatio zum Hermann-Hesse-Preis 2010 sagte, es sei „ein Literaturmagazin, das vor allem die literarische Diskussion in der jüngeren Autorengeneration ungemein beflügelt hat.“ Das tut übrigens auch und auf seine Art der verwandte www.poeten-laden.de, der auch das nämliche Magazin portofrei verschickt.
 
Der unschätzbare Vorteil von Anthologien oder nach einem Thema zusammengestellten Lyrik-Bänden sind in der Tat die Eckdaten der vielen alten und jungen Autoren, so daß man kurz und unauffällig mal nachschlagen kann, wer denn nun eigentlich Rückert war oder wann Adelbert von Chamisso lebte (1781-1838). Um die Daten dann noch schnell an Goethe abzugleichen (1749-1832). Intensives Lesen aber gelingt mir persönlich leichter, wenn ich bei einem Dichter bleibe. Es brauchen ja nicht gleich die Gesammelten Werke sein. Deshalb schätze ich die 100-Gedichte-Reihe vom Aufbau Verlag sehr, vor allem weil die Bändchen schön in Leinen daher kommen, aber nicht viel breiter als eine Brieftasche sind und sich somit auch für Bahn und Bus eignen, bei einem bestechend geringen Gewicht von geschätzten 257,5 Gramm! Aus dieser Reihe besaß ich bereits ein halbes
Dutzend deutscher Dichter aus dem Kreis der üblichen Verdächtigen (Fontane, Goethe, Hölderlin usw. – aber auch 100 Gedichte von Nietsche, falls ich mal schwächeln sollte, was die lyrische Produktion von z.B. Niezsche anginge – oder auch nur, um nur schnell nach zu schauen, wie sich Nietzsche eigentlich richtig schreibt...
Nun also bekam ich in der Reihe zudem das „Glück“ in hundert Variationen und auch „Hundert komische Gedichte“. Nur so viel will ich dazu sagen: Es fiel mir leichter, glücklich zu werden als zu lachen. Normalerweise ist es genau umgekehrt. Das machte mich stutzig. Ich gefiel mir bald so sehr in der Attitude des Nichtlachens, daß ich gar nicht mehr wußte, ob ich im froschgrünen Leinenband den Humors nichts lustig fand oder gerade im orangen im Glück / „So knallvergnügt“ las. Ich war verwirrt. Ich war schon etwas mißvergnügt durch mehrere Strophen gedrungen, als ich den Namen des Autoren las: Robert Gernhardt. Der hat durchaus Wert darauf gelegt, auch unkomisch zu sein. In diesem Fall ist ihm das zweimal gelungen. Andrerseits war Gernhardt 2004 der Mitherausgeber des grandiosen Standard-Werks „Hell und schnell“ – 555 Gedichte aus 500 Jahrhunderten“. Immer wenn ich in dem Wälzer herum schmökere, lache ich - früher als später. Im froschgrünen „Kängt ein Guruh“ aus dem Aufbau Verlag, in dem Gernhardt immerhin mit sechs Werken vertreten ist, gelang mir das nie so recht. Das kann 1. am Hochformat der Bände liegen oder 2. an einem Formtief meinerseits oder aber (dies als unhaltbare These!) 3. daran, daß in diesem Fall eine Frau - Gudrun Schury - die Auswahl getroffen hat. Pardon! Mehr möchte ich dazu nicht sagen. Nur soviel: Beide Herausgeber begründen ihre Auswahl gründlich, im Glücksfalle tut das Jürgen Engler. Sagte ich schon den Preis? 12,95 Euro – da kann man bei der Aufmachung wahrlich nicht meckern.
 
Hundert Gedichte sind eine ganze Menge für einen einzelnen Dichter, jedenfalls runtergebrochen auf einen einzelnen Band. Solcherlei Darreichungen liegen eher zwischen 66 und 88 – auch das nur als
These. Rühmkorf würde dafür mehrere Jahre Arbeit veranschlagt haben, anderen unterläuft es in einem guten Jahr. Und dann gibt es jene, die für 60 Gedichte ein ganzes Leben brauchen. Ludwig Greve war so einer, der ein quantitativ minimales Werk, von qualitativ sehr hochwertigen Artefakten schuf und schon zu seinen Lebzeiten mehr von wenigen Kennern und etlichen Freunden, die er mit Durchschlägen versorgte, gelesen wurde. Er „debütierte“ erst mit 37 Jahren und von den damals 20 Gedichten schafften es Jahrzehnte später nur zehn in einen noch von ihm selbst zusammengestellten Gesamtband - quasi „aus letzter Hand“ - für den dann lediglich 40 seiner Werke Gnade vor seinen eigenen Augen fanden. Auch der Zugang zu den literarischen Magazinen in Deutschland, wie etwa den damals neugegründeten „Akzenten“ gestaltete sich für ihn schwierig.
Ludwig Greve, Jahrgang 1924, schrieb schon sehr jung – und zwar auf der Flucht vor den Nazis und er schrieb als ein vom Holocaust direkt betroffener und verfolgter Jude, und noch und schon als andere meinten, daß man nach Ausschwitz keine Gedichte mehr schreiben könnte. Greve schrieb eines seiner schönsten, „Luca“, zum „Gedächtnis an Evelyn Greve…, die fünfzehnjährig deportiert wurde.“ Er verlor Schwester und Vater. Das war der Schatten, der ihn begleitete. Er schrieb aber durchaus auch über Tulpen und Pfingstrosen oder über Landschaften. „In diesen weit ausholenden Texten über die Schwäbische Alb oder die Nordsee nimmt der Dichter Urlaub vom Schmerzlichen seines Lebensthemas. Sie wirken gelöster…“ schreibt Harald Hartung in seinem Nachwort „Ein Unterton von Glück“, das ich in einem ganz anderen Buch bereits als Essay gelesen hatte und dadurch erst auf den unverwandten Namensvetter neugierig gemacht wurde. Greve selber formulierte es so: „Es zeigte sich, daß mir so eine Sprache der Sterblichkeit gelang, die vielleicht vor beiden bestehen kann, den Opfern wie den Lebenden. Das gibt manchen Gedichten, ob ich auch schweren Mutes anfing, so einen Unterton von Glück, warum sollte ich das leugnen.“ Dreißig Jahre arbeitete Greve im Marbacher Literaturarchiv, lange als Leiter der Bibliothek. Die vorzeitige Pensionierung
1988 sollte ihm endlich mehr Zeit geben - zum Schreiben seiner Autobiographie. Er verunglückte 1991 in der geliebten Nordsee, beim Schwimmen vor Amrum.
Der Band mit seinen Gedichten, mit unendlich vielen Quellen, ja, fast schon überquellend davon, herausgegeben von Reinhard Tgahrt und Waltraud Pfäfflin, kommt aus dem nun mit 25 Jahren bald auch nicht mehr ganz jungen, aber wunderbaren Wallstein Verlag, der sich gerne um die zu Unrecht Vergessenen kümmert, wie etwa die begnadete Dichterin Gertrud Kolmar. Etwas mäkeln muß ich doch, weil sich das Buch von selbst öffnete, sprich, der noble, schlichte Buchdeckel vewarf sich ein wenig. Das sollte bei einem Preis von 24.- Euro eigentlich nicht vorkommen.
In dieses Buch „Ludwig Greve – Die Gedichte“ werde ich mich weiterhin ausgiebig vertiefen und es deshalb keinesfalls verleihen, während mein Angebot für „Poet“, „Glück“ und „Humor!“ noch steht. Und Entschuldigung wegen des nicht gehaltenen Versprechens der Kürze! Kommt nicht wieder vor.
 
Redaktion: Frank Becker