Der Wahrhaftigkeit verpflichtet

Ein Portrait des Bildhauers Udo Meyer

von Frank Becker

Udo Meyer - Foto © Frank Becker
Der Wahrhaftigkeit verpflichtet
 
Als Junge hat er Steine gesammelt, ihre Beschaffenheit und Ge­stalt betrachtet. Die Faszination des Materials hat ihn gefangen genommen, und der Wunsch, das Geheimnisvolle des Steins zu ergründen, ist ihm seit damals erhalten geblieben. "Es muß einfach fesseln", sagt Udo Meyer (67), die Berührung mit den in Äonen gewachsenen Stoffen aufzunehmen, die Abenteuerlich­keit ihrer Äderungen zu verfolgen, schließlich Hand und Werk­zeug anzulegen und dem Stein Form und Aussage abzufordern. „Die Natur war vor uns da, man muß sie mit Respekt behandeln.“

Auf der Königshöhe
 
Sein Naturstudium führte Meyer zum Grund­sätzlichen, er machte eine Steinmetzlehre und schloß 1959-63 ein Studium bei Kurt Schwippert an der Werkkunstschule Wuppertal an, das er 1963-66 an der Kunstakademie Düsseldorf bei Zoltan Szé­kessy fortsetzte. Seitdem arbeitet er als freischaffender akademischer Bildhauer, zunächst in Berlin, seit 1969 wieder in seiner Geburtsstadt Wuppertal. Die Atelierwohnung im Künstlerdomizil Auf der Königshöhe gibt einen Eindruck der Entwicklung seines Schaffens und der Hinwendung zum Menschen. Er expe­rimentiert, ist neugierig auf die Werkstoffe, die er bedächtig erforscht. Er nimmt den Dia­log mit dem Material auf, das er verarbeitet und achtet - und er steckt voller Geschichten über seine Werke und deren Entstehung. Dazu bietet sein Atelier einen pittoresken Hintergrund. Beim Erzählen werden die Glut und die Begeisterung spürbar, die Grundlage seines Schaffens sind. 

Atelierszene - Foto © Frank Becker
 
Kein Angepaßter

Meyer ist kein Angepaßter, er verweigert sich dem Trend und dem Kunstbetrieb. Kleinkariertheit und Anbiederung an den Markt sind ihm zuwider. „Wenn man den Mühlstein aufnimmt und wird Künstler, muß man konsequent die eigenen Dinge verfol­gen, den Weg auch gegen Strömungen und Richtungen gehen. Geschmäcklerisches muß vermieden werden. Charak­ter und das richtige Maß zählen.“ Meyer, der als Vorbilder Lehmbruck, Bran­cusi, Giacometti und Donatello nennt, sieht sich als gegenständ­licher Bildhauer, dem Material, seinem Wuchs und seiner Struk­tur verpflichtet. Er läßt sich für die Ausführung des künstle­rischen Plans einen großen Spielraum zwischen Abstraktion und natürlichem Vor-Bild, läßt Übersetzungen“ stattfinden. Es geht ihm neben der figürlichen Darstellung um das Menschenbild, nicht zu verwechseln mit dem Abbild des Menschen. Skulptur und Plastik stellen der Ästhetik und der erotischen Ausstrahlung wegen vorzugsweise den weiblichen Körper dar. Meyer nimmt sich da nicht aus. Seine Bronze „Mutter“, in der Rosenau im östlichen Wuppertal Stadtteil Oberbarmen auf­gestellt und der „Torso“, neben vier anderen Arbeiten im Besitz des renommierten Von der Heydt-Museums, zeugen von der Faszination und der Anziehungskraft des Weiblichen.
 
Das Geheimnis der Materialien


Foto © Frank Becker
Das Formen aus Gips, Ton und Wachs ist ihm wegen der großen Möglichkeiten beim Modellieren neben dem Hauen aus dem Block besonders lieb. Stein- und Bronzeguß haben sich bewährt, Holz als Material in seiner gewachsenen Form gewinnt an Bedeutung. Kraftvolle Frauenakte, wuchtige Marmorarbeiten wie das „Ohr“, charaktervolle Büsten, kopfstehende Köpfe und liebevolle Kleinplastiken entstehen in Meyers Werkstatt. Zerlegbare Stücke, filigrane Puzzles voller Überraschungen, offenbaren nach dem „Aufbrechen“ unter glatter Oberfläche ihren verborgenen In­halt, ihr geheimes Inneres. Sein Schaffen entspringt, Zitat: „Dem Trieb zur Vollendung, ­wobei man das Frieren und den Durst überwinden lernen muß!“.
  
Einer der wirklich wichtigen zeitgenössischen Künstler

Ohne Frage gehört er zu den wirklich wichtigen zeit­genössischen Künstlern weit über die Region des Bergischen Landes hinaus. Weil er ein Unangepaßter ist, als Schwieriger gilt, der sich nicht

Foto © Frank Becker
vereinnahmen läßt, hat der Bildhauer Udo Meyer in den letzten Jahren weni­ger Beachtung und öffentliche Förderung erfahren, als seinem künstlerischen Rang angemessen wäre. Die eindrucksvollen Ergebnisse seines Strebens haben jedoch Anspruch auf eine adäquate Rezeption. Seit dem Eduard von der Heydt-Förderpreis der Stadt Wuppertal im Jahr 1978 haben größere Ehrungen auf sich warten lassen, was zu bedauern ist. Udo Meyers Œuvre ist bedeutend und Wuppertal wäre gut beraten, die Arbeit dieses in Werk und Persönlichkeit beeindruckenden Künstlers angemessen zu würdigen. Es gibt noch genügend öffentliche Plätze ohne bedeutenden künstlerischen Schmuck. 


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