Abende von Berlin

Ein Hauptstadtfeuilleton

von Jörg Aufenanger

Jörg Aufenanger - Foto © Frank Becker
In „Abende von Berlin“ werde ich von Ereignissen in der Stadt an der Spree in zwangloser Reihung und Form erzählend berichten, Ereignisse, die wenig spektakulär sind und nicht der Event–Unkultur zuzuordnen sind, Ereignisse, die beiläufig, versteckt, zuweilen im quasi Geheimen ablaufen können, gar nichtig sein können, mir indes erzählenswert erscheinen.
„Soirée de Paris“ hieß eine Zeitschrift, die im zweiten Dezennium des 20. Jahrhunderts von Guillaume Apollinaire gegründet wurde. Sie wurde als Impuls zu meinem feuilletonistischen Schreiben genommen.
 
Jörg Aufenanger
 
 
Abende von Berlin – Im Museum auf Zeit
                                                               
Verläßlich öffnet sich zweimal im Jahr in Berlin ein Museum auf Zeit dem Afficionado der Kunst. Im Mai und im November. Es dunkelt schon an diesem Herbstspätnachmittag, da wir vom Ku’damm kommend in die Fasanenstrasse einbiegen, das ehemalige Wintergartenensemble, das heute das Literaturhaus beherbergt, und dann das Käthe-Kollwitzmuseum rechts liegen lassen, und zu einer Villa gelangen mit verspielten Türmen und Erkern, die um 1900 errichtet sein wird. Die Villa des einstigen Architekten Hans Grisebach. Wenige Treppen steigen wir hoch, treten ins Vestibül, wo seit Jahren ein überaus freundlicher älterer Herr in herzlichem Ton auf unsere Mäntel wartet. Hat man diese abgelegt und eine Blechmarke in die Hand gedrückt bekommen, öffnet sich uns dieses Museum, das nur für die Dauer von fünf Tagen existiert. Der Habitué steuert sofort den ersten Salon linkerhand an, weiß er doch, da ist die klassische Moderne versammelt. So auch in diesem November. Bilder von Kandinsky, Macke, Münter, Pechstein, Nolde, Beckmann und Jawlensky. Dessen „mystischer Kopf – Sphinx“, ein wahres Meisterwerk. 240 Tausend Euro soll es bringen, denn wir befinden uns im „Auktionshaus Villa Grisebach“. Gabriele Münters „Schwarze Maske mit Rosa“ von 1912, ein eher für sie untypisches Bild 200 Tausend. Noldes „Sonnenblume im Abendlicht“ soll bis zu 1,5 Millionen einspielen. Beckmanns „Elefant mit Clown im Stall“ immerhin noch 900 Tausend. Kurze Zeit nur bilden diese Bilder zusammen ein Museum der klassischen Moderne, das nie mehr so zu sehen sein wird, denn nach der Auktion werden die Bilder sich wieder trennen müssen, verschwinden an ungenannten Wänden oder in Tresoren. Werden für lange Zeit unsichtbar für uns, ein schweres Los für ein Bild. Nur wenige werden sich ab kommenden Sonntag, wenn die Auktion ein Ende gefunden hat, daran erfreuen können. Wir aber haben dann das singuläre Glück gehabt, sie zu bestaunen. Zurück in die Eingangshalle. Da leuchten uns zwei farbenfrohe Bilder von Ernst Wilhelm Nay entgegen: „Weizengelb“ und das andere, „Pastorale“ genannt, 1954 gemalt. Nay, ein Malerstar der 50er und anfangs 60er Jahre am deutschen Kunsthimmel und der Dokumenta -1964 war es glaube ich-, war fast in Vergessenheit geraten, doch seit wenigen Jahren, vor allem nach der Retrospektive im Berliner Haus am Waldsee, wird er neu entdeckt und kostet nun auch. Auf 300 Tausend ist das „Weizengelb“ taxiert.

Wir drehen Nay den Rücken zu und blicken auf einen Kirchner: „Die Violinistin“, neben Nolde und Beckmann eins der Spitzenlose der Auktion.
Ein spätes Bild, erst ein Jahr vor dem Tod des Malers 1937 entstanden. Eine gertenschlanke Frau spielt leicht vornüber gebeugt im Schwung der Musik einer anderen sitzend sinnierend, lauschenden Frau eine Melodie vor, während der Geigenbogen die Blumenvase, die auf einer Anrichte steht, zu zerschneiden scheint.
Linkerhand lockt uns eine Holzwendeltreppe in die obere Etage, die Stufen knarren schon unter den Schritten der Kunstsinnigen, doch wir wenden uns erst einmal dem zweiten Salon zu, wo wir Bilder von Christian Rohlfs entdecken, „Am Scheideweg“ von 1917, ein eher untypisches Gemälde des Künstlers, dann ein Portrait, das Corinth gemalt hat, dazu ein Lesser Ury “Herbststimmung im Grunewald“, das gut zu den Nebel-Sonnentagen dieses ungewöhnlichen Novembers passt.
Plötzlicher Zeitenwechsel überrascht uns im nächsten Raum, eine Halle: Eine Plastik des polnisch-französischen Jacques Lipchitz “Mother and Child“, beide miteinander verschlungen stehen sie uns fast im Weg. Dazu deutsche abstrakte Nachkriegskunst, der zahme Fritz Winter aus Westfalen mit „Gezähmter Garten“, Emil Schumacher aus Hagen, neben zwei Bildern von Willi Baumeister, so „Action Barbare“, das zu entziffern sich lohnte. Aber auch eins der furiosen Großformatigen Bilder mit den Rätselzeichen und einer riesigen Frau dazu einem Stierkopf des Dresdener Penck. In dieser Halle kann man in einer Sitzecke auch ausruhen oder Einblick in die verschiedenen Kataloge der Auktion nehmen.

Zur ersten Etage der Grisebachvilla nehmen wir die hintere steinerne Wendeltreppe und eine weitere Überraschung: Emil Orlik, vor allem bekannt durch seine Portraitzeichnungen von Künstlern aller Sparten der   20er Jahre, etwa von Else Lasker-Schüler, doch hier blicken uns zwei Ölbilder an: „Nächtliches Heidelberg bei Feuerwerk“ und „Sonnenaufgang am Wendelstein.“
Der erste Salon der Belétage wartet mit einer Arbeit der DADA-Künstlerin Hanna Höch auf „Zwischenmond“ und mit einem Bild Felix Nussbaums. „Nächtlicher Ausblick aus dem Atelier“ von 1940. Sein Berliner Atelier in der Xantenerstrasse war 1932 ausgebrannt, Bilder zerstört worden. Kurz danach konnte er noch eine zeitlang in Rom in der Villa Massimo leben, übrigens mit Arno Breker als Ateliernachbar, bevor er Deutschland verließ, ins Exil ging, nach Brüssel eben, wo er 1940 diesen Blick aus dem Atelier malte. Ein düsteres Bild in düsterer Zeit. Nur zwei weiße Tauben fliegen vorüber, die man im Französischen im Gegensatz zu den grauen Tauben („pigeons“) „Colombes“ nennt. Zeichen von Hoffnung? Zwei Jahre später wird Felix Nussbaum deportiert in den Tod. Seine Bilder hat er wohl retten, bei einem Gönner in der Avenue Brugman verstecken können. So auch diesen nächtlichen Blick, der nun auf einen neuen Besitzer wartet.

Schlemmer, Klee und Kokoschka ergänzen diesen Salon, wir flanieren weiter, viele Noldes erblicken wir, ein Selbstportrait, immer wieder Blumen aber auch die Köpfe von Südseeinsulanern. Doch ich habe noch diesen Nussbaum im Kopf und will mich eigentlich nicht an die Rolle erinnern, die Nolde in der Nazizeit spielte, als NSDAP-Mitglied und Antisemit, der die „germanische Kunst“ als allen anderen überlegen bezeichnete, der aber dann selbst, nachdem er zuvor einer der Lieblingskünstler Goebbels war, ins Visier der Kunstfunktionäre geriet.
Ein Salon ist nahezu ausschließlich Carl Hofer gewidmet, wobei ein „Nackter Jüngling mit Krug“ von 1912 und eine „sinnende junge Frau“ die unverwechselbare Malkunst dieses Künstlers zeigen.
Hin und wieder begegnet uns auf dem Parcours durch dies temporäre Museum der Chef und Mitbegründer des Auktionshauses Bernd Schultz, der kürzlich seinen 70. Geburtstag feiern konnte. Prüfend blickt er auf diesen und jenen, hofft vielleicht schon mal einen der ihm bekannten Bieter zu erblicken, die seinem Haus im Auktionsspiel große Gewinne versprechen. Obwohl wir kaum noch weitere Eindrücke verkraften können, steigen wir in die zweite Etage hoch, hier gibt es Trouvaillen zu kleinem Preis und in kleinem Format, die teils sich an den Wänden in qualvoller Enge drängen, teils in Mappen verborgen liegen. Junge Damen mit weißen Handschuhen angetan bringen diese bereitwillig zum Tisch, schlagen sie auf und blättern die Blätter vor uns auf. Da finden wir mehrere Zeichnungen von George Grosz, dann von August Macke, Jeanne Mammen, die schräg gegenüber der Villa auf dem Kurfürstendamm ihr Atelier hatte, oder von Oskar Kokoschka, mit dessen Bild wir schon eine Etage tiefer einen nächtlichen Blick auf London haben werfen können. Nun wollen wir auch noch die letzte Etage schaffen, denn hier gibt es eine Premiere: Arbeiten des 19. Jahrhunderts. Bisher hatte das Auktionshaus Villa Grisebach nur das 20. Jahrhundert als Angebot, nun auch die in der Kunst meist biedermeierlich betuliche Epoche. Am Schreibtisch sitzt vor seinem Laptop deren Kurator. Einst glänzender Jungstar-Journalist bei der FAZ und der ZEIT, Mitbegründer des Kunstmagazins „Monopol“ und Autor des Bestsellers „Generation Golf“: Florian Illies. Er hat dem Journalismus Adieu gesagt, ist Teilhaber des Auktionshauses geworden und betreut nun das 19. Jahrhundert. Wir finden unter dem Dach, in dieser letzten Etage, Werke von Delacroix und Daumier, vor allem aber deutsche Kunst: Schinkel, Blechen, Menzel, Carus und eine ganze Reihe nahezu unbekannte Künstler. Man verlässt den Saal jedoch mit dem Eindruck, daß dieses fernere Jahrhundert nicht unbedingt zu den Sternstunden der Kunst beigetragen hat.

Wir steigen wieder hinab, vorbei an den Vielen, die an diesem Sonntagnachmittag gekommen sind, um das vergängliche Museum auf Zeit nicht zu versäumen. Noch einmal flanieren wir gemächlich an allen Kunstwerken vorbei, 1463 sind es, hören leise Schritte auf dem Parkett, Murmeln, denn keiner spricht hier ein lautes Wort. Nun nehmen wir die hölzerne Wendeltreppe, um zum Ausgang zu gelangen. Der Garderobier wünscht uns einen schönen Abend und als wir die Villa Grisebach frohgemut und erfüllt verlassen, auf die Strasse treten, in die wirkliche Welt, ist es in der Tat schon später Abend, fast Nacht.
 

Jörg Aufenanger                                                                                                      23. November 2011