Abende von Berlin – Der allerletzte Playboy

Ein Hauptstadtfeuilleton

von Jörg Aufenanger

Jörg Aufenanger - Foto © Frank Becker
Abende von Berlin III -
Der allerletzte Playboy
 
Als ich 1967 nach Berlin gekommen war, sah ich ihn nahezu täglich den Ku’damm rauf und runter fahren in einem offenen Sportwagen, auf der Lehne des Rücksitzes lagerten drei junge Frauen, alle blond. Ein Playboy, der erste, den ich mit eigenen Augen gesehen habe und nicht nur in den Illustrierten wie Günther Sachs oder Porfirio Rubirosa. Rolf Eden, er war damals 37 Jahre, ich 21 jung.
Heute ist er 81 und ich auch entsprechend älter. Eden ist eine (West-) Berliner Institution, immer noch Playboy, in der Stadt, wo der Bürgermeister Partykönig sein will, und damit vielen auf die Nerven geht. Zugleich ist Eden das letzte Exemplar einer aussterbenden Gattung und müßte daher unter Artenschutz gestellt werden.
Kürzlich hatte ein Film über das Leben dieses letzten Playboys Premiere, „The Big Eden“, natürlich in einem Kino, das in der Mitte des Kudamms liegt, dessen König er einmal war, im Cinema Paris.
Großer Andrang herrschte auch auf der nachfolgenden Premierenfeier. Vor allem von Frauen. Mit etwa 3000 Frauen will Rolf Eden geschlafen haben und ich fragte mich, wie viele von denen wohl an diesem Abend zugegen waren. Augenscheinlich nicht wenige. Sie drängten sich um ihn, standen in einer Schlange vor ihm an, Erwartung leuchtete in ihren Augen, auch Erinnerung, und eine jede wollte ein Photo mit ihm geschossen haben. Und der Playboy lächelte ohn’ Unterlaß mit seinem gebräunten und mehrfach gelifteten Gesicht, hatte für jede der Damen ein freundliches Wort. Aber konnte er sich an sie noch erinnern?
Mit sieben Frauen hat Rolf Eden Kinder gezeugt und einmal im Jahr lädt er sie ein, die Mütter, die Kinder, die Enkel, entweder nach Mallorca oder an die Cote d’Azur, ein kurioses Familientreffen, wo es in seinem Leben doch nie eine Familie gegeben hat seit seiner Kindheit. Einige der Söhne, die kaum Ähnlichkeiten mit ihm haben und allesamt bieder ausschauen, waren auch zugegen, aber eben vor allem Frauen, auch einige junge, Filmsternchen hätte man früher gesagt, so waren sie zurechtgestylt.
Sein Outfit: Wie immer, selbst im Winter, weißer Anzug, weiße Schuhe, doch diesmal dazu ein rosa Hemd und äußerst gewagt darüber noch ein rosa Pullover, der sich über ein nicht gerade playboyaffines Bäuchlein spannte. Die Haare frisch blondiert mit einigen dunkleren Strähnchen, und gegeelt. Zwischen all den Frauen der Vergangenheit, die so zwischen 30 und 70 Jahre alt sein mochten und die sich für ein Erinnerungsphoto brav anstellten, eine junge sehr hübsche Frau, 50 Jahre jünger als er, seine derzeitige Freundin, mit der ich ihn schon seit einigen Jahren immer mal wieder sehe. Brigitte, Brijit ausgesprochen wie sie betont, eben wie B.B., die einst aller Männer Schwarm war. Zwischen Brigitte und Eden war schon eine Hochzeit abgemacht, doch im letzten Augenblick soll er zurückgezuckt haben. Sie wollte, so hatte sie es ihm zwei Tage vor der Hochzeit am Frühstückstisch eröffnet, nach der Heirat zu ihm ziehen. Das wollte er aber nicht, und so sagte sie ihm ab, und doch flog er mit ihr zur Hochzeitsreise in die Karibik. Ein verheirateter Playboy ist ja schon eigentlich keiner mehr, aber mit der Frau auch noch im trauten Heim! Und Playboy will Rolf Eden bleiben bis zum Ende. Das ist er sich schuldig und den anderen ebenso. Ein Spiel auch, ein Imago. Von vielen Frauen wird er dafür verachtet, vor allem von denen, mit denen er nie zusammen war, und manche in der kritischen Öffentlichkeit der Stadt bezeichnen ihn auch als den peinlichsten Berliner. Aber das ficht ihn nicht an. Sagt er.
Rolf Eden ist ein Kunstfigur, die er allein und selbst erschaffen hat und die seit diesem Film auch vom Feuilleton der großen Zeitungen als solche erkannt wird, und die von der Berliner Presse, vor allem von der BZ, immer wieder abgelichtet wird. Bei allen Anlässen der nicht immer besten Society von Berlin. Das genießt er. Im Bild zu sein, was nicht heißt, daß man immer im Bilde sein muß. Oft habe ich ihn spätabends entdeckt, entweder im Promirestaurant „Florian“ oder im „Brel“, wenn die sich schon geleert hatten. Er setzte sich in eine Ecke, legte einen Stapel Zeitungen vom Folgetag vor sich hin, blätterte sie durch, zuerst die BZ, auf der Suche, ja nach was wohl, einem Photo von sich, einem Artikel über ihn. Und oft wurde er fündig. Ob er auch etwas anderes in der Zeitung las, weiß ich nicht. Bald ging er dann wieder, allein, ohne Frau, das muß eine Art Chill-Out für einen Playboy sein, setzte sich in seinen Rolls oder in den Bentley und fuhr schleichend davon. Kein Tempo mehr.
Der Film „The Big Eden“ erzählt ein ungewöhnliches Leben. Geboren 1930 in Berlin Tempelhof, der Vater hatte eine Art Containerfirma, wanderte er mit den Eltern schon 1933 aus, nach Palästina, der Vater wußte wohl, was geschehen würde. Man ließ sich in Haifa nieder. Und der kleine Eden wuchs in den gelobten Land auf, lernte Hebräisch und zog 1948 mit der neu gegründeten Untergrundarmee Palmach unter dem Kommando von Itzak Rabin für den gerade proklamierten Staat Israel in den Krieg gegen die arabischen Nachbarn und soll einer der wagemutigsten Krieger gewesen sein, worüber er sich heute wundert. Ich hätte mich besser verstecken sollen, meint er nun. In der Armee lernt er eine Soldatin kennen, die bald darauf Mutter einer Tochter von ihm wird. Doch schließlich zog es ihn weg aus Israel, er ging nach Paris, Sehnsuchtsort für jeden jungen Mann, nicht nur aber auch der Frauen wegen. Es war eine wunderbare Zeit, schwärmt er heute noch. Er spielte wie zuvor schon in Haifa in den Bars der Seinestadt Piano oder Akkordeon. Und wer Klavier spielt, der hat...., doch als er 1956 in der Zeitung las, die Stadt Berlin gebe jedem Juden, der zurück in die Stadt käme, sechstausend DM, folgte er dieser Lockung sofort. Geld und Frauen, sind für ihn die wichtigsten Dinge im Leben, erlauben sie ihm doch ein bedingungsloser Hedonist zu sein, nur das zu tun, was ihm beliebt. Wann er sich entschlossen hatte, nein ein Beruf ist es ja nicht, der Berufung zu folgen, Playboy zu sein, weiß ich nicht. Aber er war es bald in Berlin. In den End-50er Jahren. Ein wenig über Mitte zwanzig war er da erst. Mit dem Senatsgeld gründete er das Old Eden, und als er Erfolg hatte, das New Eden Cabaret, danach den Playboyclub, alle drei lagen am oberen Ku’damm und schließlich 1967 das „Big Eden“ am unteren, dem besseren Ku’damm, die Disco der Stadt und die ein jeder, der aus der Provinz nach Berlin kam wie ich auch aufsuchen mußte.
Im New -und Old Eden war die Welt des Showbusiness zu Gast, Liza Minelli, Caterina Valente, Louis Armstrong, Ella Fitzgerald, Mick Jagger, Billy Wilder, Leonard Bernstein, Jack Lemmon und viele andere, darunter auch ein ihm wesensverwandter: Klaus Kinski. Im Playboyclub planschte so manches Starlet im Pool, häufig Ingrid Steeger, im Big Eden veranstaltete Eden Misswahlen, Miss Berlin, Miss Filmfestspiele, egal, Hauptsache war, er konnte sich zwischen vielen hübschen Mädchen sonnen. Inzwischen sind seine Clubs und Diskotheken verschwunden, ihre Zeit war abgelaufen und Eden hat sie zu Geld gemacht, das er in Berliner Immobilien investierte.
Aus dem Ku’damm, dessen ungekrönter König er mal war und der einst Lebensader von Berlin mit seinen Cafés, Restaurants und eben Edens Etablissements war, ist heute eine reine Businessmeile geworden, an der sich eine Boutique nach der anderen aller Edelmarken reiht. Das Kopenhagen, die Degustation, das Kranzler, das Bovril, Möhring, Leysieffer, alles disparu, perdu. Als letzter Ort, der ein Treffpunkt von Journalisten, Schriftstellern, Künstlern, Musikern, der halbseidenen Welt und der reichen Russen eines neuen Charlottengrad war, eben eine Berliner Melange, ist vor neun Jahren das „Wellenstein“ verschwunden. Es gehörte Eden nicht, aber er war dort Gast. Mit einer rauschenden Abschiedsparty, die obwohl sie ein Ende bedeutete die heiterste war, die ich in Berlin erlebt habe, inszenierte die schneeweißhaarige Lichtgestalt des Wellenstein, Geschäftsführer Wolfgang Mescher, Ende August 2003 den Abgesang auf den alten Kudamm.
Und so war auch die Filmpremiere von „The Big Eden“ nur noch ein Nachhall vergangener Zeiten. Und eines Lebensgefühls, das des ewigen Westberliners, das für einige Kinostunden samt Premierenfeier an einem Berliner Abend noch einmal auflebte.
 

Jörg Aufenanger, 11.1.2012