Angemessen grotesk

Das Kempf-Ensemble mit „Sein oder Nichtsein“

von Frank Becker

v.l.: Hübner, Claaszen, Scholz, Janda, Bettermann, Bengsch, Reimers, Janson, Wipprecht - Foto: Kempf Theatergastspiele

 …mit Entsetzen Scherz
 
Das Kempf-Ensemble mit „Sein oder Nichtsein“ von Nick Whitby
nach dem Film von Ernst Lubitsch
 
Regie: Barry L. Goldman - Bühnenbild: Andrey von Schlippe - Kostüme: Annemarie Rieck - Musikal. Einrichtung: Achim Zeppenfeld 
Besetzung
: Bernhard Bettermann (Josef Tura) - Isabella Hübner (Maria Tura) - Jörg Reimers (Dowasz/Erhardt) - Christian Janda (Grünberg u.a.) - Sarah-Jane Janson (Eva Zagatewska u.a.) - Christian Claaszen (Rowicz/Fleischer) - Dunja Bengsch (Anna) - Alexander Wipprecht (Sobinsky/Walowski) - David Scholz (junger Grünberg u.a.)

Wie macht man das, einen solchen Filmklassiker ohne Verlust auf die Bühne bringen? Zudem mit einem so sensiblen Stoff, wie ihn Ernst Lubitschs Film „To Be or Not to Be“ 1942 als bitterböse Satire auf das brutale System des Hitlerstaates und seiner Schergen von SS und GeStaPo vorgegeben hat. Lubitsch hatte 1942 mit dieser schwarzen Komödie um ein Theater-Ensemble, das im reinsten Wortsinn um sein Leben spielt, ein Meisterwerk abgeliefert.
 
Die Theatertruppe des Teatr Polski, deren von Direktor Dowasz (Jörg Reimers) inszeniertes Anti-Nazi-Stück „Ein Geschenk von Hitler“ von der polnischen Zensur abgelehnt wird, gibt stattdessen „Hamlet“, die „größte“ Rolle des Stars Josef Tura (Bernhard Bettermann). Es gehört schon etwas dazu, den berühmten Monolog „Sein oder Nichtsein“ so zu versieben, wie es Tura tut, der zudem nicht ahnt, daß es das Stichwort für den Liebhaber seiner Frau Maria (Isabella Hübner) ist  - Chapeau vor Bettermann. Nach der Bombardierung und Besetzung Warschaus durch die Deutschen gerät das notdürftig im beschädigten Theater hausende Ensemble unversehens in eine lebenswichtige Aktion des polnischen Widerstandes: eine durch Verrat in die Hände eines deutschen Agenten geratene Liste von Widerstandskämpfern muß unbedingt zurückgeholt werden. Um die Menschen auf der Liste und nicht zuletzt sich selbst vor Entdeckung und Tod zu retten, müssen die Schauspieler alle ihre dramatischen Möglichkeiten und den Fundus des Theaters nutzen, um den Nazi-Schergen in Nazi-Rollen sozusagen ein „potemkinsches Dorf“ zu bauen. Und wieder bekommt Tura gleich zweimal im Katz-und-Maus-Spiel mit dem schmierigen SS-Obersten Erhardt (Jörg Reimers) die Rolle seines (Über-)Lebens.


Bernhard Bettermann, Jörg Reimers (v.l.) - Foto: Kempf Theatergastspiele
 
Die 2008 uraufgeführte Bühnenfassung von Nick Whitby braucht ein sehr bewegliches Ensemble mit hervorragenden Schauspielern (sogar mit Umbauverpflichtung), ein straffes Regiekonzept für dieses Theater auf dem Theater und ein feinsinniges Publikum. Das sensible Publikum – überwiegend Damen übrigens - hatte das Ensemble der Kempf Theatergastspiele bei seinem Gastspiel am vergangenen Donnerstag im Teo Otto Theater, was die dezenten Reaktionen auf die schwierige Mischung aus teils galligem, teils leicht wirkendem Humor bewiesen.
Die Aufgabe nicht zu komisch zu sein, sondern im angemessenen Umfang grotesk, ist ein besonders schweres Unterfangen, namentlich in den Totenkopf-Uniformen der SS und unter der Hakenkreuzfahne. Mit Entsetzen Scherz zu treiben, verlangt Fingerspitzengefühl. Eine Gratwanderung. Daß Ränge und Kragenspiegel nicht zusammenpaßten, darf in einer Satire, die den Zweck hat, diese tödlichen Witzblattfiguren der Lächerlichkeit preiszugeben, durchaus sein. Es muß ein Vergnügen für Schauspieler sein, in einem solchen Stück solche Schauspieler spielen zu dürfen.
 
Das Ensemble war vor allem mit dem charismatischen Jörg Reimers, der in der Doppelrolle als Theaterdirektor Dowasz und SS-Oberst Erhardt mit delikater Schauspielkunst brillierte, bestes besetzt. Glänzend sein Dialog als Erhardt mit Bernhard Bettermann als Schauspieler Josef Tura in der Rolle des Agenten Prof. Silewski - ein Kabinettstück. Bettermann gab dem eitlen, aber charakterstarken Mimen humorvoll Gestalt, Isabella Hübner der kapriziösen Actrice Maria Tura, Christian Claaszen agierte glaubhaft als friedfertiger Rowicz und SS-Major, Dunja Bengsch als herzensgute Garderobiere Anna, Christian Janda als sanfter Grünberg (mit dem klassischen Film-Extemporé als Hitler-Darsteller: „Ich heil mich selbst!“) und Sarah-Jane Janson als verführerisch lebensfrohe Eva Zagatewska.


Isabella Hübner, Jörg Reimers, Christian Claaszen (v.l.) - Foto: Kempf Theatergastspiele

Ein paar zähe Längen zuviel hatte Barry L. Goldmans Inszenierung allerdings, auch Schwächen wie die Sterbeszene des Verräters Silewski (David Scholz) oder die unbefriedigende Slapstick-Lösung der Flucht gegen Ende - dennoch konnte sie sich sehen lassen. Langer, begeisterter Applaus lohnte das mit Pointen und Eifersüchteleien aus dem Theaterleben gespickte engagierte Spiel der unaufgesetzten, ehrlichen kleinen Lacher.
 
Weitere Informationen unter: www.kempf-theater.de