Abende von Berlin – Florian Day

Ein Hauptstadtfeuilleton

von Jörg Aufenanger

Jörg Aufenanger - Foto © Frank Becker
Abende von Berlin V –
Florian Day
 
Schon von weitem hörte ich den Trubel, als ich gegen zehn Uhr am Abend in die Charlottenburger Grolmanstraße einbog, ein Zelt war aufgebaut, versperrte den Bürgersteig. Ich drängelte mich durch, wurde begrüßt, grüßte, denn hier kennt jeder jeden, der zu der Geburtstagsparty eingeladen ist. Salve Regina fiel in meine Arme, auch sie gehört zu den Konstanten eines Westberliner Biotops, das sich im Florian erstaunlich lange hält. Vor dreißig Jahren, also 1982, öffnete das Restaurant, das über viele Jahre hinweg die Prominenz von Westberlin und weit darüber hinaus anzog. Gerti und Ute hatten das einstige „Peppino“ übernommen, eine italienische gastliche Stätte im bürgerlichen Ambiente und das „Florian“ schnell etabliert. Im Sommer des ersten Florianjahres saß sie plötzlich neben mir, die Ikone einer längst vergangenen Zeit und der Kunstgeschichte. Sie war Muse und Modell nicht weniger Künstler im Paris der 30er Jahre gewesen. Eins der bekanntesten Photos dieser Epoche zeigt sie hüllenlos, aufgenommen von Man Ray, der die Photoserie mit ihr „Erotique voilée“ nannte. Doch auch sie selbst ist als Künstlerin berühmt geworden. Mit einigen Ready mades, so mit den pelzbesetzten Tassen, die sie „Déjeuner en fourrure“ nannte. Meret Oppenheim. Warum sie 1982 in Berlin war weiß ich nicht mehr genau, ich glaube sie hatte den Kunstpreis der Stadt Berlin erhalten. Auf jeden Fall parlierte ich mit ihr an jenem Sommerabend, da ich als einziger am Tisch Französisch sprach. Und sie enthüllte mir, daß sie in Charlottenburg geboren war, wann hat sie nicht verraten, sie war damals schon nicht mehr jung, aber munter wie eine junge Frau. Und ist dennoch drei Jahre später gestorben.
 
In den folgenden dreißig Jahren gaben viele Prominente dem „Florian“ die Ehre, Schauspieler, Regisseure, Maler, Schriftsteller selten, Politiker. Auch zum „Florian Day“ in diesem Januar waren viele gekommen, die derjenige, der fernsieht, von der Mattscheibe her kennt. Mathieu Carriere erkannte auch ich, ebenso Vadim Glowna, Peter Fitz, Beate Jensen, Katja Riemann. Da ist der Schlöndorff sagte ein Freund, und der winzige Mann verschwand zwischen den vielen ihn Überragenden. Die Scharnitzky kam mir entgegen. „Lange nicht gesehen“ sagte ich nur, „Ja, ja“. Wer noch alles da war, kann ich nicht mitteilen, da ich die Fernseh- und Filmgesichter kaum kenne. Aber eins werde ich nie vergessen, es war irgendwann in den End80er oder 90er Jahren. Ich betrat den Florian und am ersten Tisch links neben dem Eingang saß sie, ein Gesicht, wie gemalt und das es ein zweites Mal auch annährend nicht geben kann. Gesehen in so vielen Filmen, so als Belle du jour, saß sie an diesem Abend als Belle de nuit da, die Braut trug nicht schwarz, nein das war ja eine andere, die niemals im „Florian“ war, sie trug rosa. Catherine Deneuve. Erblickt man eine derartige Schönheit, die einen immer nur von der Leinwand angeblickt hat, so muß man sich zähmen, diese nicht dauernd anzustarren. Ich setzte mich an die Bar und hatte von dort einen Blick auf Distanz in die Ecke, wo sie mit einem Mann saß. Unauffällig drum herum zwei Bodygards, die Café tranken. Sie ist’s, mußte ich mir immer wieder bestätigen. Bald war die Deneuve leider wieder gegangen, soll aber den Goldenen Bären, den sie bei den Filmfestspielen erhalten hatte, auf der Fensterbank des „Florian“ liegen gelassen haben.
 
Eine Zeitlang war es auch ein Treffpunkt von Politikern. Wem auch immer es zu danken ist, sie haben sich verflüchtigt. Nicht nur daß ein Generalbundesanwalt mit dem passenden Namen Stahl häufig an der Bar einen trank, eines Abends trank auch Gerhard Schröder nicht nur einen, er war damals noch Ministerpräsident Niedersachsens, er hatte so viel getrunken, daß er nicht mehr gehen konnte und von seinen Bodygards aus dem Florian geschleppt wurde. Eine Clique um Michel Friedmann war eine zeitlang auch häufig Gast, so Rudolf Scharping, ja der völlig vergessene, der auch mal mit einer Gräfin geplanscht hatte, taperte in seiner unnachahmlichen Gangart hinter Katja Riemann her, während Friedmann eine Blondine auf dem Schoß hatte, die er wohl später auch geheiratet haben soll, dazu Jürgen Trittin als er noch nicht so staatstragende Anzüge trug wie heute.
 
Zwei geschichtliche Ereignisse haben dazu geführt, daß das „Florian“ seinen Status als nach der Parisbar der Nummer zwei der Promilokale Berlins verlor. Der Mauerfall und seine Folgen, denn gegen Ende der 90er Jahre verlagerten sich die Treffpunkte von Sternen und Sternchen am Berliner Himmel in den Osten der Stadt, genauer gesagt nach Mitte, so etwa ins „Borchardt“, ins „Grill Royal“ oder ins „Cookies“. Damit verbunden war auch, daß die Filmfestspiele, während denen das „Florian“ so überlaufen war, daß Gerti für Nichtprominente die Türen verschloß, sich aus dem Berliner Westen verabschiedeten und an den Potsdamer Platz begaben.
Erst allmählich kehrt man wieder aus der steril langweiligen Mitte Berlins ins gelassene Charlottenburg rund um den Savignyplatz zurück. Und das „Florian“ wird nach einer kurzen matten Lebensphase auch wieder zu einer angesagten „Location“ in Berlin werden. Der Rummel am Geburtstagsfest hat es gezeigt. Zur Tradition der Feste im „Florian“, die sonst stets am zweiten Weihnachtstag stattfinden, gehört, daß dann einige Stammgäste kellnern oder kochen, die Kellner und Köche bedienen. So war es auch dieses Mal zum Geburtstagsfest, und so heiter wie an diesem Abend habe ich Marc, meinen englischen Lieblings-Barman noch nie gesehen, wie er nun selbst als Gast zwischen seinen Gästen hindurchschritt, während Dieter, der andere Barman, nahezu jede Frau küßte. Ein anderer Ball paradox. Die Sonntagabende im „Florian“ sind indes für mich die beglückendsten Stunden, Marc steht hinter der Bar, wenige Gäste, kein nervendes Promigucken, ab und zu ein Freund wie Antonio oder eine alte Freundin wie die Woy, ein paar Worte wechseln, Ruhe, Gelassenheit, der Duft guter Küche, ein bestgezapftes Bier oder ein kühler Weißwein, früher auch mein Lieblingswein, ein Saumur, ein Chill Out zur vergangenen Woche, um eine neue am Tag darauf zu beginnen. Natürlich im „Florian“.
 
 
Jörg Aufenanger