„Herwarth Walden und DER STURM“

Eine antiquarische Rarität aus dem Verlag Edition Leipzig

von Jürgen Koller
Eine antiquarische Rarität:
 
„Herwarth Walden und DER STURM“
aus dem Verlag Edition Leipzig von 1983
 
 
Die kürzlich im Von der Heydt-Museum Wuppertal eröffnete Ausstellung „Der Sturm – Zentrum der Avantgarde“ ist von so faszinierender Gestalt und von so eindringlicher Bild- und Informationsfülle, daß ein mehrmaliger Besuch dieser Schau jedem Freund, jeder Freundin der Kunst der Avantgarde des frühen 20.Jahrhunderts anempfohlen sei. Zwei dickleibige Bände – ein Ausstellungskatalog und eine vielgliedrige wissenschaftliche Dokumentation zum „Sturm“, erarbeitet vom Institut für Kunstgeschichte der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf – sind für zusammen 40 € im Museumsshop erhältlich. Den Bildkatalog allein gibt’s für 25 €. Die Wuppertaler Ausstellung anläßlich des 100. Jahrestages der Gründung der Galerie „Der Sturm“ durch Herwarth Walden in Berlin ist spürbar klar und übersichtlich gegliedert und wie nicht anders zu erwarten, vorzüglich gehängt.
 
Zur Geschichte der „Sturm-Galerie“ und der Zeitschrift „Der Sturm“, welche die expressionistischen, futuristischen, kubistischen und konstruktivistischen Bestrebungen als Diskussionsforum begleitete, gibt es Regalmeter an Sekundärliteratur. Aus der Fülle dieser Bücher zum „Sturm-Thema“ ragt in Inhalt und buchgestalterischer Form der Bild- und Dokumentations-Band „Herwarth Walden und DER STURM“ von Georg Brühl heraus. Auf den fast 350 Seiten beschäftigt sich der Autor ausführlich mit der Person von Herwarth Walden und dessen Umfeld, geht ausführlich auf die Galerie und die Zeitschrift „Sturm“ als Zentrum künstlerischer Aktivitäten ein, fügt ein Verzeichnis der Werke bildender Künstler in den Ausstellungen und in der Zeitschrift bei und rundet mit einer Bibliografie der Textbeiträge der Zeitschrift das gesamte „Sturm“-Spektrum ab. Im Anhang finden sich Manifeste von Künstlern der Avantgarde.
Im Laufe der Jahrzehnte ist der 1983 von der Edition Leipzig und parallel vom Kölner DuMont Verlag
herausgegebene Band zu einer antiquarischen Seltenheit geworden. Der Verlag Edition Leipzig stellte zu DDR-Zeiten eine Besonderheit dar. Dieser Verlag publizierte und produzierte nur für den DDR-Außenhandel zwecks Devisenbeschaffung in den westlichen Ländern, stets verbunden mit dem Hinweis auf die hohe Qualität des Leipziger Buchdrucks. Und so kamen von dem „Sturm“-Buch nur Restbestände in den ostdeutschen Buchhandel.
Der Band im Format 35 x 25, in schweres Leinen gebunden, verweist schon mit seinen fast drei Kilogramm Gewicht auf seinen repräsentativen Charakter. Den Buchdeckel ziert Oskar Kokoschkas genialer Plakatentwurf für die Zeitschrift „Der Sturm“ aus dem Jahre 1911. Gestaltet wurde der Band von den bekannten Leipziger Buchkünstlern Sonja und Gert Wunderlich. Sie wählten ein chamoisfarbenes, sehr hochwertiges Papier und die Schrifttype „Maxima“ aus. Diese Typografie ermöglichte ein festes, klar gegliedertes und zugleich gut lesbares Schriftbild. Daß der Band vorzüglich buchbinderisch gearbeitet ist, versteht sich.
Schon der Schuber verweist in seiner markanten grafischen Gestaltung auf den hohen Anspruch, den das Buch verkörpern soll. In der dem Text hier beigefügten Reproduktion wird das Zusammengehen von Schrift, Bild und Grafik deutlich.
 
Der Autor Georg Brühl (1931 -2009) war eine der zwiespältigsten Figuren der Karl-Marx-Städter / Chemnitzer Kunstszene der Siebziger bis in die frühen Neunziger Jahre hinein. Der studierte Museologe, Publizist, leidenschaftliche Kunstsammler und profunde Kenner von Jugendstil und deutscher Avantgarde hat sich besonders als Sekretär der Produzentengalerie „galerie oben“ in den Siebzigern mit seinem für DDR-Verhältnisse spektakulären Ausstellungsprogramm und seinen „Mittwochs-Gesprächen“ über nonkonforme DDR-Bildkunst, moderne Belletristik und Lyrik sowie
Musik weit über das damalige Karl-Marx-Stadt hinaus einen Namen gemacht. Seine Schenkungen von Hunderten kunstgewerblichen Objekten, u.a. des Jugendstils, an das Berliner Kunstgewerbe-Museum im Schloß Köpenick und an die Eremitage in Leningrad/Petersburg, aber auch von bedeutenden Einzelkunstwerken an die Nationalgalerie Berlin noch zu Zeiten der DDR, sorgten für Furore. Daß der Fiskus, wie damals bei vermögenden Sammlern nicht unüblich, dabei nachgeholfen hat, ist nicht unwahrscheinlich. Nach der politischen Wende 1989 hat Brühl sich mit der Gründung eines Kuratoriums zum Erhalt, der Restaurierung und der Möblierung der Jugendstil-Villa des einst größten europäischen Strumpffabrikanten Esche in Chemnitz, die vor dem 1. Weltkrieg von Henry van de Velde errichtet worden war, einen bleibenden Namen gemacht. Als Anfang der neunziger Jahre Brühls intensive Verstrickung mit der Stasi publik wurde, verlegte er sein Wirken ins Ausland, so etwa in die Niederlande und nach Österreich. Die Städte Zwickau als Brühls Vaterstadt und Chemnitz haben Schenkungen aus dem Nachlaß des Sammlers zurückgewiesen.
 
Antiquarisch ist „Herwarth Walden und DER STURM“ noch in den identischen Ausgaben der Edition Leipzig und DuMont Köln von 1983 zu finden.

Foto-Reproduktionen: Jürgen Koller - Redaktion: Frank Becker