MISSION MODERNE - eine Retrospektive 100 Jahre danach

Die Sonderbundschau 1912 in Köln

von Jürgen Koller
International, programmatisch, skandalös
 
die
 Sonderbundschau 1912
in Köln
 
MISSION MODERNE -
eine Retrospektive 100 Jahre danach
 
Die legendäre Ausstellung des Sonderbundes westdeutscher Kunstfreunde und Künstler 1912 in Köln setzte Maßstäbe nicht nur was den Umfang von über 650 Werken betraf, sie war unter Einbeziehung der gesamten modernen europäischen Malerei von beispielhafter Internationalität getragen und dabei zugleich von herausragender künstlerischer Qualität. Eine solche Bilderschau, die speziell der französischen zeitgenössischen Malerei so viel Raum einräumte, hatte es im Deutschen Kaiserreich bis dahin noch nicht gegeben. Es war nach drei Ausstellungen des Sonderbundes in Düsseldorf die erste Ausstellung in der Domstadt. Diese Internationale Kunstausstellung des Sonderbundes 1912 war es, die dem 20. Jahrhundert in der Kunstpräsentation eine völlig neue Orientierung geben sollte – weg von den konzeptionslosen, wilhelminisch geprägten Sammelschauen des verflossenen 19. Jahrhunderts, hin zu internationaler Ausrichtung unter Beachtung programmatischer Zielsetzungen ohne kommerziellen Hintergrund. Erstmalig wurden die Exponate auf weißen Wänden präsentiert, fast immer einreihig gehängt. Aber es gab auch weitere Neuerungen wie Kurzführer zu den ausgestellten Werken je Raum, Straßentransparente und Erfrischungsräume, denn die Ausstellung war auf 29 Säle verteilt. Ein Mitorganisator war der Galerist und Sammler Alfred Flechtheim. Beim Publikum und bei der Presse fand die Sonderbundausstellung ein sehr geteiltes Echo. So gab es ein beachtliches Unverständnis gegenüber der expressionistischen deutschen Malerei, und die Präsenz der Franzosen mißfiel deutsch-nationalistisch eingestellten Besuchern. In den Zeitungen war von Skandal die Rede, es gab Forderungen, die Ausstellung zu schließen.
Ein Jahr später, 1913, organisierte Herwarth Walden den „Ersten Deutschen Herbstsalon“ in Berlin. Der Gründer der Berliner Galerie „Der Sturm“ und Herausgeber der Zeitschrift gleichen Namens bezog jedoch die italienischen Futuristen mit ein. Die beiden wichtigsten Kunstausstellungen von 1912 und 1913 in Deutschland am Vorabend des 1. Weltkrieges verwiesen auf die Parallelität unterschiedlicher, aber auch gegensätzlicher Strömungen in der Moderne.
 
Unter dem Titel „1912 – MISSION MODERNE“ hat das Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Courbod den erfolgreichen Versuch unternommen, zum 100. Jahrestag die Sonderbundschau von 1912 zu rekonstruieren. Das namhafte Kölner Museum hat mehr als 120 der hochkarätigen Werke, die schon vor einhundert Jahren gezeigt worden waren, aus der ganzen Welt zusammengetragen. Viele internationale Museen, aber auch private Sammler haben sich für die Dauer der Präsentation von ihren kostbaren Sammlungsstücken getrennt. Der Spannungsbogen der Schau reicht vom Postimpressionismus über den deutschen Expressionismus - mit Werken der jungen „Brücke“- Künstler und Malern des „Blauen Reiter“ bis hin zum frühen Kubismus. Der Besucher der heutigen „Sonderbundschau“ wird so durch die Ausstellung geleitet, daß er einerseits von den präsentierten Werken beeindruckt wird, zum anderen zugleich das Gefühl dafür bekommt, wie die Menschen vor einhundert Jahren die damals moderne Kunst begeistert aufgenommen oder spontan abgelehnt haben.
Im Wallraf-Richartz-Museum sind die Bildwerke nach Künstlergruppen europäischer Länder zusammengestellt, so finden sich beispielsweise allein 15 Gemälde von Vincent van Gogh im Raum mit niederländischer Kunst. Die Franzosen, die die moderne Kunst am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts so maßgeblich geprägt haben, sind natürlich mit herausragenden Bildern besonders stark vertreten – u.a. finden sich Künstler der Nabis und der Fauves, aber auch Georges Pierre Seurat, Paul Signac, Paul Gauguin, Paul Cézanne oder Henri Edmond Cross. Ohne hier einzelne Namen der Künstlergruppen „Brücke“ und „Blauer Reiter“ - beide sind mit markanten Bildern dabei - speziell hervorzuheben, wird in der Schau deutlich, welch eine stil- und formgebende Kraft damals von den jungen Malern des deutschen Expressionismus oder von solchen Einzelkünstlern wie Emil Nolde, Karl Hofer, Heinrich Nauen, Alexander Kanoldt u.a. ausgegangen ist. Fast schon beklemmend wirkt der abgedunkelte Raum mit den hinterleuchteten Bleiglasfenstern für Sakralbauten von Johan Thorn Prikker. Diese Fenster wurden noch vor 1914 in der Dreiköniginnen Kirche Neuss realisiert. Österreich wird von Otto Kokoschka und Egon Schiele vertreten, die Schweiz von Ferdinand Hodler und Giovanni Segantini. Der heutige Betrachter kann im Raum des Malers Edvard Munch erahnen, wie um 1912 die damaligen Kunstfreunde in den Bann der Werke des Norwegers gezogen wurden. Munch war damals schon ein ausgewiesener, aber eben ob seiner mystisch-symbolistisch verklärten Kunst auch umstrittener Künstler. Pablo Picasso war 1912 mit 16 Werken präsent und ist gegenwärtig mit einigen Belegbeispielen seiner frühen blauen Phase vertreten. Damals wie heute sind in den Rundgang der Ausstellung auch Plastiken eingeordnet, so von Wilhelm Lehmbruck, Aristide Maillol, Georg Minne oder Ernst Barlach.
 
Im Faltblatt zur Sonderbundausstellung „1912 - MISSION MODERNE“ heißt es: „Mit dieser einmaligen Retrospektive... zeigt Wallraf wie innovativ, revolutionär und bahnbrechend die „Sonderschau“ war. Ihr völlig neuartiger Ausstellungstypus setzte Maßstäbe, die bis heute gelten, und beeinflußte Großereignisse wie die New Yorker „Armory Show“ von 1913 oder die erste Kasseler „documenta“ aus dem Jahre 1955.“

Zur Ausstellung ist im Verlag Wienand ein Katalog erschienen:
1912 Mission Moderne - Die Jahrhundertschau des Sonderbundes
Hg. Barbara Schaefer, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud
648 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, mit 764 farbigen und 192 s/w Abb., 24 x 31,5 cm - ISBN 978-3-86832-111-1
49,90 € im Buchhandel, 39,90 € im Museumsshop
Nur im Katalog: die nahezu vollständige Rekonstruktion der legendären Schau von 1912 – Informationen dazu: www.wienand-koeln.de
 
Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud
Obermarspforten (am Kölner Rathaus) - 50667 Köln
Tel.: +49(0)221 221-21119
 
Dauer der Ausstellung: 31. 8. bis 30. 12. 20012
Öffnungszeiten:  Dienstag – Sonntag 10-18 Uhr, Donnerstag 10 – 21Uhr
Montag geschlossen