Klänge aus einer anderen, besseren Welt

Das Duo Anja Lechner und Francois Corturier verzaubert zum Start der Musikreihe KlangArt den Skulpturenpark

von Heiner Bontrup

Foto © Karl-Heinz Krauskopf

Klänge aus einer anderen, besseren Welt
 
Das Duo Anja Lechner und Francois Corturier verzaubert
zum Start der Musikreihe KlangArt den Skulpturenpark Waldfrieden
 
 Wenn Gram an dem Herzen nagt, wenn trübe Laune unsere einsamen Stunden vergiftet, wenn uns Welt und Geschäfte anekeln, wenn tausend Lasten unsre Seelen drücken und unsre Reizbarkeit unter Arbeiten des Berufs zu ersticken droht, so empfängt uns die Bühne – in dieser künstlichen Welt träumen wir die wirkliche hinweg, wir werden uns selbst wiedergegeben, unser Empfindung erwacht, heilsame Leidenschaften erschüttern unsere schlummernde Natur.“ So beschreibt Friedrich Schiller vor fast 230 Jahren seinen Traum vom Theater. Doch ebenso wie das Theater, ja vielleicht mehr noch als dieses, vermag Musik uns in solche glückliche Gefilde zu entrücken. Doch leider sind diese Momente im Meer des musikalischen Mainstreams selten zu finden.
 
Umso schöner, wenn uns solche Zeiten geschenkt werden, wie beim Auftaktkonzert zur Musikreihe KlangArt im Skulpturenpark Waldfrieden. Die Cellistin Anja Lechner und der Pianist Francois Corturier entführten das Publikum auf eine Reise, die einen weiten musikalischen Bogen vom Okzident zum Orient spannte. Sie präsentierten Stücke von G.I. Gurdjieff, Frederic Mompou und Anouar Brahem, aber auch eigene Kompositionen Corturiers. So unterschiedlich diese Musiker sind, so eint sie doch ihr Bestreben zum inneren Kern der musikalischen Ausdrucks vorzudringen: Der Katalane Mompou etwa ließ sich vom französischen Impressionismus inspirieren, ebenso aber auch von den Klängen der Natur und der mystischen Dichtung San Juan de la Cruz‘. Der griechisch-armenische Philosoph und geistige Lehrer Gurdjieff komponierte Musik unter dem Einfluß seiner Reisen durch den Kaukasus und Kleinasien, indem er althergebrachtes Gedankengut in seinen Adaptionen weltlicher Musik und sakraler Tänze einfließen ließ. Anouar Brahem ist ein Meister der tunesischen Oud, die sich sowohl aus westlichen und östlichen Quellen schöpft.
Das alles ist in den Interpretationen von Lechner und Corturier zu hören. Und doch: Charakteristisch für die Spielweise des Duos ist, daß sie den Kompositionen dieser doch so sehr verschiedenen Tonkünstler eine ganz eigene unverwechselbare Färbung verleihen, die einen inneren

Foto © Karl-Heinz Krauskopf
Zusammenhang zwischen den Stücken erkennen läßt. Dazu gehört, daß sie die Zuhörer ausgiebig in die jeweilige musikalische Welt eintauche lassen, die Themen und Motive der Stücke ausführlich vorstellen, um sie dann improvisierend weiter zu entwickeln. Dabei bewegen sich zwar zumeist innerhalb der Grenzen der Tonalität und führen dennoch das kompositorische Ausgangsmaterial zu ganz neuen Ufern musikalischen Ausdrucks. Dabei nehmen sie das Publikum mit, das an einen Ort geführt wird, der ihm zugleich vertraut und doch fremd vorkommt. Denn der Ort, an den wir geführt werden, ist unser eigenes Selbst: Anja Lechner und Francois Corturier lassen uns in ihrer Musik uns selbst begegnen.
 
Doch es gibt noch ganz andere überraschende Begegnungen im Pavillon des Skulpturenparks. Denn dort treffen Natur, Musik und bildende Kunst aufeinander und spielen - vielleicht ungewollt, aber doch sehr berückend miteinander: Gegen Ende des Konzertes taucht das letzte Abendlicht den gläsernen Pavillon in ein strahlendes warmes Licht, setzt den an Insekten erinnernden Bronze-Skulpturen des belgischen Bildhauers Jan Fabre Spitzlichter auf und taucht sie in ein magisch anmutendes Licht. Es mag Zufall sein oder Zauber: Aber in diesem Moment hört der geneigte Zuhörer in den tiefen Tönen des Cellos eine unterirdische Armee von Käfern marschieren und summen.
Doch daß wir uns aus dem Weltgetriebe „hinweg träumen“ können an diesem Abend, das verdankt sich vor allem der Inspiration und der Spielkunst der beiden Musiker. Wenn Anja Lechner auf ihrem Instrument hingehauchte Flageolett-Töne spielt, die sich sanft von der Begleitung auf dem Flügel lösen, wenn Francois Corturier auf den Tasten seines Instruments in seiner Eigenkomposition „Papillons de la Nuit“ mit höchster Leichtigkeit Falter als Mobiles mediterraner Heiterkeit tanzen und schweben läßt, dann sind das Klänge aus einer anderen, besseren Welt.