Große Salatblätter

von Hanns Dieter Hüsch

Foto © Paul Maaßen
Große Salatblätter
 
Wissen Sie, daß ich dieser Tage, wir Niederrheiner sagen ja oft „dieser Tage“, auch wenn das schon zehn Jahre her ist, wir sagen „dieser Tage“, ich hab dieser Tage den Dingeskirchen getroffen. Ich weiß gar nicht, wie der heißt. Ich weiß auch gar nicht, was der macht. Und dann haben wir noch ´ne andere Krankheit, die, wo ich den Grund noch nicht rausbekommen habe. Wenn etwas ganz öffentlich ist, also gar kein Geheimnis, jeder weiß es, und man muß gar nicht diskret sein, es ist allen bekannt - sagen wir Niederrheiner immer noch „unter uns gesagt“. Wat sind schon 24 Stunden - unter uns gesagt - is doch nix, is doch nix, is doch jar nix, ne, is doch nix.“ Also ich hab wirklich dieser Tage, unter uns gesagt, festgestellt, daß ich doch manchmal ´n ziemlicher Nörgler bin. Das heißt, ich bin es nicht und bin es doch. Also, mich regen ja Kleinigkeiten inzwischen so wahnsinnig auf, aber, es gibt inzwischen so Kleinigkeiten, die bei mir schon so winzig und so pingelig sind, daß man wirklich schon von Nörgelei sprechen kann.
Das heißt, ich bin kein Querulant, das möchte ich gleich klarstellen. Also damit habe ich nie etwas zu tun gehabt, also morgens schon um fünf Uhr aufrecht im Bett sitzen und Leserbriefe schreiben, ne, ne, ne! Und sich ständig empören, nein ich bin kein Berufsempörer, da sei Gott vor, nein, frei nach Goethe, ich nörgle so für mich hin. Meistens morgens! Meistens, aber auch abends. Morgens aber schlimmer als abends. Aber abends intensiver als morgens. So könnte man es einteilen. Also, wenn ich morgens unterwegs bin und betrete dann das Frühstückszimmer eines gediegenen Hotel Garni, ich weiß bis heute nicht, was das heißen soll. Es hat mir auch noch niemand erklärt, ich will´s jetzt auch nicht mehr erklärt haben! Ich hab jetzt das Alter erreicht, wo ich nichts mehr erklärt haben will! Schluß, aus, zu spät! ]etzt ist es zu spät, ich will´s nicht mehr erklärt haben. Ich meine, ich weiß nur, da gibt es kein Mittagessen! Ist ja eigentlich ganz logisch, Garni - nie gar, ne! Ist noch kein Mensch drauf gekommen. Die schaffen das Frühstück, das schaffen sie noch so eben. Oder es ist ´n Mädchenname; „Garni, essen kommen!“ ja, es heißt doch immer Haus Erika,  Haus Astrid, Haus Garni, könnte ja sein. Ich weiß es ja nicht, könnte ja sein. Und dann steht auf dem sogenannten Frühstückstisch an meinem Platz nur die Tasse. Meistens umgedreht auf der Untertasse! Mir zuliebe, aus hygienischen Gründen. Da steht die schon die ganze Nacht so. Ich bin nämlich abends schön um  elf an dem Frühstücksraum vorbeigekommen, da hab ich schon von weitem meine Tasse umgedreht auf meiner Untertasse gesehen. Das arme Ding, habe ich gedacht! Ist ja Tassenquälerei, und alles mir zuliebe, aus hygienischen Gründen. Es ist auch schon vorgekommen, daß ich am anderen Morgen im betrunkenen Kopf den Tee tatsächlich auf den Boden der umgedrehten Tasse geschüttet habe - wie bei Dick und Doof.


© Jürgen Pankarz

Aber, das ist am Morgen nicht das Schlimmste - es ist auch kein Teller da, den muß man sich holen,  auch das ist wahnsinnig schwer, denn man muß sich zwei Teller holen. Einen, wo man Butter, Marmelade und Käse usw. drauftut und einen zweiten, auf dem man dann das ganze schmiert und zubereitet. Es könnte aber dieser zweite Teller, auf dem man alles zubereitet und schmiert, der könnte doch schon längst auf dem Tisch stehen, der könnte doch schon längst auf dem Tisch stehen! Dann bräuchte ich mir nur einen Teller zu holen, wo man Butter, Brot, Marmelade, Käse und Wurst drauftut. Oder soll man tatsächlich auf diesem Teller, wo schon alles bergehoch drauf ist, auch noch alles schmieren und zubereiten? Oder soll man vielleicht das ganze auf dem Tischtuch schmieren und zubereiten? Wahrscheinlich ist das die Absicht des Garni-Inhabers, damit man „gar nie“ wiederkommt, oder wie soll ich mir das erklären? Die hätten ja auch oft am liebsten, daß man bis acht Uhr gefrühstückt hat, damit die Mädchen schon um sieben Uhr das Zimmer machen können. Das hat jetzt keinen logischen Zusammenhang, aber wenn ich morgens nörgle, brauche ich keinen Zusammenhang! Sonst wäre ich ja ein Querulant! Und das möchte ich auf keinen Fall sein! Ich meine, ich hol mir dann die zwei Teller. Aber kopfschüttelnd! Wenn Sie mal morgens einen deutschen Menschen durch einen deutschen Frühstücksraum  kopfschüttelnd hin und her gehen sehen, das können Sie blind buchen, das bin ich! Weil ich einfach nicht fassen kann, was die Welt am frühen Morgen schon wieder mit mir macht! Vor `n paar Tagen stand nicht mal ´ne Tasse da. Jetzt warte ich auf das Frühstück, wo ich mir aus `m Keller den Tisch holen muß! Da gibt´s dann immer so Schilder mit so `nem Pfeil, nicht Wahr, Treppe runter, nicht wahr! Kennen Sie ja, Telefone, Toiletten, Tische! Und dann gibt´s da so ein grünweißes Lichtkästchen. Da sieht man, wie ein Mann mit einem Tisch auf dem Buckel die Treppe hochastet. Wir werden ja sehen. Am Abend rege ich mich leiser auf viel leiser. Da bin ich ja auch oft in Begleitung, da bin ich mehr, wie sagt man so schön, ein introvertierter Nörgler.
Am Abend z. B. kann mir ein zu großes Salatblatt alle Gelassenheit zunichte machen. Vielleicht haben Sie´s auch schon bemerkt, die Salatblatter auf den meisten knackigen Salattellern werden immer größer. Und wenn Sie ein Blatt unter vielen Salatblättern mit der Gabel ganz langsam und vorsichtig hervorziehen, haben Sie gleich den ganzen Teller auf ’m Schoß, rücksichtslos, rücksichtslos! Diese knackigen Salattellermacher stehen wahrscheinlich lauernd hinter der Tür und lachen sich ins Fäustchen. Rücksichtslos! Ich Weiß, ich weiß, man ißt jetzt große Salatblätter, ich,  nein, ich nicht, ich nehme meine Gabel, mein Messer und Schneide alles kurz und klein, kurz und klein bis durch die Tischdecke, alles kurz und klein. 
 

© Jürgen Pankarz
 
© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Meine Geschichten" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Die Zeichnungen stellte freundlicherweise Jürgen Pankarz zur Verfügung.