Nachts im Hotel

von Hanns Dieter Hüsch

© Jürgen Pankarz
Nachts im Hotel
 
Neulich war ich ziemlich durcheinander, ich bin irgendwo gewesen, wo ich gar nicht war. Also, es war so. Ich lag im Bett und schlief, es war so zwischen drei und vier gegen Morgen in Gütersloh in einem Hotel, auf einmal geht´s Telefon. Ich sofort hoch mit dem rechten Arm - ich denk ich bin zu Haus, hab das Telefon gesucht, nicht wahr. Nix. Ich aus dem Bett - lauf direkt in einen Stuhl rein. Broch! Warum ich nicht das Licht angemacht hab, ich war absolut sicher - ich bin zu Hause. Jetzt muß doch gleich das Bettende kommen, das Bettende kam aber noch lange nicht, Pustekuchen! Ich auf dem Fußboden - auf allen Vieren weiter und stoß mir meinen Kopf an der Schreibtischschublade. Broch! Das Telefon klingelt! Ich fange wieder beim Fußende an. Jedenfalls, je mehr ich versucht habe herauszukommen, wo ich bin, desto schlimmer wurde es. Alle Zeiten waren völlig verschütt, alle Räume sahen gleich aus, düster. Und erst ganz am anderen Ende der Welt, möchte ich fast meinen, kam der winzige Schimmer „Gütersloh – Hotelzimmer“ - das Telefon steht ganz weit weg auf so `nem kleinen Sekretär. Und als ich dann schließlich den Hörer abnahm, da hieß es dann: „Entschuldigen Sie bitte vielmals, Herr Dr. Braun, hier ist nochmal Windmöller. Ich Wollte eben noch rasch den Termin bestätigen und Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin gute Erholung in Afrika wünschen, es war ein sehr schöner Abend.“ „Es War gar kein schöner Abend“, hab ich da gesagt. „Ich bin nämlich der nackte Mann mit mindestens zehn blauen Flecken! Ich fahr auch nicht mit meiner Frau nach Afrika, und Ihren Termin können Sie sich an den Hut stecken. Ich bin auf Zimmer 727, und das Ganze hätten Sie mir auch morgen früh sagen können.“ „Ja dann entschuldigen Sie bitte vielmals, Herr Dr. Braun.“ „Ich bin auch nicht Ihr Dr. Braun, ich bin der verlorene Sohn des Empfangschefs.“ Und dann habe ich eingehängt. Und dann habe ich erst die kleine Lampe auf dem Sekretär angemacht, meine Augen waren sofort tödlich beleidigt, also habe ich die Lampe wieder ausgemacht und bin dann im Dunkeln, ganz vorsichtig, wieder ins Bett zurückgetappt. Am anderen Morgen lag vor meiner Hotelzimmertür ein Riesenblumenstrauß. Kleines  Kärtchen dabei, und auf dem Kärtchen stand geschrieben: „Entschuldigen Sie vielmals, Dr. Braun, bin schon abgereist - Ihr Windmöller.“ Als ich das gelesen hatte, dachte ich: „Letzte Nacht wußte ich nicht, wo ich bin, heute Morgen weiß ich nicht mehr, wie ich heiße“, und manchmal stelle ich mich auch schon vorsichtig als „Dr. Braun“ vor. 
 


© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Meine Geschichten" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Die Zeichnungen stellte freundlicherweise Jürgen Pankarz zur Verfügung.
Redaktion: Frank Becker