Das Klavier im Kinderbett

von Hanns Dieter Hüsch

Foto © Paul Maaßen
Das Klavier im Kinderbett
 
Hatten Sie auch ein Klavier im Kinderbett
Sie auch nicht
Also langsam wird es komisch
Alle die ich frage hatten kein Klavier im Kinderbett
Also ich hatte eins
Oder jedenfalls ich muß eins gehabt haben
So wie auch oft Artisten im Zirkus Sägespäne
In den Windeln haben
Ja sicher das ist wahr
Ärzten zum Beispiel
Legt man ja auch oft ein Blutdruckmeßgerät
In die Wiege
Damit ist dann gleichsam der allererste Anfang
Gemacht
Jedenfalls meine ich:
Alles immer noch besser als wenn die Eltern
Gar nichts machen
Es ist doch schon eine Anregung
Und ich weiß nicht mehr genau den Tag
Aber ich bekam ein größeres Kinderbett
Und da wurde ein Klavier reingestellt
Oder ob ich das nur geträumt habe
Ist ja völlig egal
Ich bin ja auch kein Pianist geworden
Aber Ehrenbürger der Mainzer Universität
Das hängt alles zusammen
Und zwar
Weil man mir eben schon frühzeitig die
Ganze Atmosphäre
An der Wiege gesungen hat
Damit ich später bis zur Bahre Künstler bin
Ich will damit folgendes sagen:
Die Eltern sollten immer schon auf jedes Geräusch
Ihres Bübleins oder Mägdeleins achten
Wer weiß was da alles schlummert und
Schon früh heraus will
Aber leider schon im Keime erstickt wird
Und dann nie mehr zum Vorschein kommt
Kommen kann!
Und wenn
Dann als lebenslange Enttäuschung oder gar
Entrüstung
Ich kenne unendlich viele
Alles nette Menschen
Die aber immer wieder sagen
Wenn wir uns treffen
Wenn mir meine Mutter als ich sechs Jahre alt war
Doch eine Gitarre zum Schulanfang in die ABC-Tüte
Getan hätte
Könnte ich heute ein Baden Powell oder
Ein Paco de Lucia
Oder ein David Oualey sein
Oder
Hätte mein Vater mir zur Konfirmation
Ganz unauffällig
Ein Skalpell in die Hand gedrückt
Hätte ich glatt ein zweiter Sauerbruch
Werden können
Naja heute bin ich Rechtsanwalt
Auch nicht schlecht
Aber ich wäre lieber ein zweiter Sauerbruch
Geworden
Und manchmal ziehe ich mir einen weißen Kittel an
Wasche mir stundenlang die Hände
Und gehe im Flur Hände auf dem Rücken verschränkt
Auf und ab wie nach einer Visite
Oder sagt dann ein Dritter
Hätten mir doch meine Eltern frühzeitig ein Klavier
ins Kinderbett gestellt
Ich könnte heute Glenn Gould heißen
Nicht daß ich unzufrieden bin
Ich bin Apotheker und spiele nebenher so kleine
Sachen
Auf einem Stutzflügel
So Sonatinen von Clementi sonntags morgens
Ja und wenn ich dann all diese netten Menschen
Sehe und höre
Dann sage ich immer:
Nun seid mal nicht traurig
Mir hat man ein Klavier ins Kinderbett gestellt
Und ich bin doch kein Pianist geworden
Und würde doch so gerne wie Errol Garner
Spielen
Aber du hast deine Kunst!
Schreien dann alle auf
Ja sage ich die habe ich so nebenbei geschenkt
Bekommen
Von wem
Vom lieben Gott
Und das hat nichts mit dem Skalpell und
Den Sägespänen
Und der Gitarre oder dem Klavier im Kinderbett
Zu tun
Und dann gucken mich alle immer ganz komisch
An und sagen:
Haste Glück gehabt
Ja einmal
Sag ich dann immer
Einmal.
 

 
© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Wir sehen uns wieder" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Das Foto stellte freundlicherweise Paul Maaßen zur Verfügung.
Redaktion: Frank Becker