Zwischen „Hurra“-Patriotismus und Kriegsverdrossenheit

Kunstmuseum Reutlingen: Der Erste Weltkrieg im Spiegel expressiver Kunst

von Jürgen Koller

Zwischen „Hurra“-Patriotismus
und Kriegsverdrossenheit
 
- Der Erste Weltkrieg im Spiegel expressiver Kunst -
 
Um es vorweg zu sagen, diese Ausstellung im Städtischen Kunstmuseum Spendhaus Reutlingen, die noch bis zum 20. April 2014 gezeigt wird, ist informativ, in ästhetischer Sicht vielseitig anregend, aber zugleich in ihrer Düsternis bedrückend. Von den Historikern wurde der Weltkrieg 1914 -1918 als “Urkatastrophe“ Europas definiert, trotzdem war dieses Völkermorden bei uns Deutschen vom 2. Weltkrieg und dessen Folgen überlagert worden, ganz im Gegensatz zu den Briten oder Franzosen. Diese Ausstellung verweist auf Kriegserfahrungen und Kriegsauswirkungen an Hand authentischer Zeichnungen, Druckgrafiken und Stücken der Malerei von deutschen Künstlern, die aktiv an den Fronten gekämpft haben. Die Schau basiert auf der Privatsammlung von Dr. Gerhard Schneider aus Olpe sowie auf Künstlernachlässen. Schneider hat sein Sammlungsprofil auf expressive Kriegskunst von solchen Künstlern ausgerichtet, die bisher kaum gewürdigt wurden oder in Vergessenheit geraten sind. Die Spannbreite der Ausstellungsexponate reicht vom „Hurra“-Patriotismus der ersten Kriegsmonate über anekdotische Darstellungen des Soldatenalltags, der symbolischen Überhöhung des Kriegsgeschehens bis hin zur kritischen Sicht auf die Kriegswirklichkeit des modernen Maschinenkrieges. Am Ende des Krieges war die expressionistische Kunst zum Synonym für Kriegsgegnerschaft und Pazifismus geworden.
Maßstab bildkünstlerischer Umsetzung soldatischen Leidens und menschlicher Tragödien, zugleich kritischer Auseinandersetzung mit dem Kriegsgeschehen bleiben die 50 Radierungen „Der Krieg“ von Otto Dix aus dem Jahr 1924 als „eindrucksvollstes und wirkungsmächtigstes“ Zeugnis. Schon damals galt Dix als „Beschmutzer“ der Ehre des deutschen Soldaten. Später, nach 1933 waren Grafiken und die Malereien von Dix „gemalte Wehrsabotage“.
 
In der Ausstellung ist anschaulich der Spannungsbogen vom anfänglichen „Hurra“-Patriotismus (z. B. bei Max Liebermann, Ernst Barlach, Lovis Corinth) zur Kriegsmüdigkeit (bei Otto Dix, Willy Jaeckel, aber auch bei Ernst Barlach mit dem „Totentanz“) nachvollziehbar. Wenn schon ein Thomas Mann von „der reinigenden Wirkung (des Krieges) auf das deutsche Volk“ sprach und hoffte, daß „der Krieg zur Katharsis führen möge“, ist verständlich, daß sich 185.000 junge Männer, vorwiegend Intellektuelle, als Freiwillige meldeten, darunter etliche etablierte Künstler wie Kokoschka, Marc, Macke, Slevogt, Beckmann, Dix. Letzterer sagte bei Kriegsbeginn von sich, daß er ein „Wirklichkeitsmensch“ sei, der „alle Untiefen selbst erleben“ müsse.
Mit erschütternden, nachdenklich machenden, zugleich ästhetisch gewichtigen Arbeiten werden Künstler vorgestellt, die heute oftmals nur noch von Experten gekannt werden. Aus der großen Fülle der Namen und vorgestellten Arbeiten seien einige wenige hervorgehoben. Adam Weber (1887-1968) schuf 1915 expressive Holzschnitte mit dem Vermerk „im Felde geschnitten“. Kriegskritische Lithographien von Josef Eberz (1880-1942) konnten interessanterweise noch 1915 gezeigt werden. Willibald Krain (1896–1945) schuf die Folge „Krieg“, sieben allegorische Blätter, „gewidmet allen Völkern“. Otto Fischer-Trauchau (1878–1958), Mitglied der Hamburgischen Sezession, hat seine Tempera-Blätter in kubistisch-expressionistischer Bildsprache gearbeitet, so das Blatt “Nächtliche Rückkehr zur Front“, das als Motiv für den Titel des Katalogs genutzt wurde. Weniger Kampfhandlungen, dafür die Kriegsauswirkungen finden sich bei Waldemar Flaig (1892-1932), und Max Pechstein (1881–1955) radierte in unterkühlter Sachlichkeit Szenen der Sommeschlacht, während Fritz Fuhrken (1894-1943) in der Gefangenschaft in kubistischer Formensprache, einem Farbfeuerwerk gleich, seine Aquarelle schuf. Dem Thema „Kreatur im Krieg“ setzte Otto Schubert

Willy Jäckel, Der Haß - 1918
(1892–1970) mit „Das Leiden der Pferde im Krieg“ ein erinnerungswürdiges Denkmal.
Eine wichtige Sonderrolle nimmt Heinrich Stegemann (1888–1945) ein. Seine Lithografien von 1936/37 beruhen auf Kriegsmotiven von 1918. Er verstand seine großformatigen Lithographien als Warnung vor einem neuen Krieg, auf den Nazi-Deutschland hinarbeitete.
 
Ein grafisch meisterliches Anti-Kriegsmappenwerk „Memento 1914-1915“ von 10 Blättern zeichnete Willy Jäckel (1888-1944) auf Stein. Der Künstler war als nicht fronttauglich in der Etappe im Einsatz, trotzdem sind die Blätter ausgesprochen expressiv-realistisch. Mit Hell-Dunkel-Kontrasten gelang ihm eine große Plastizität. Da die Szenen extrem „nahsichtig“ gezeichnet wurden, erzielte Jaeckel intensive Suggestivität. Die Blätter sind bewusst an Goyas Desastres de la Guerra angelehnt - „Memeneto“ ist ein anti-heroisches Werk, primär getragen von „Phantasie und bildnerischer Imagination“.
Als Dokumente besonderer Art sind Ölskizzen aus dem Nachlaß von Fritz Steisslinger (1891–1957) zu sehen, die der junge Offizier im Unterstand in Öl gemalt hat. Auf kleinen Leinewandstücken sind Szenen aus dem soldatischen Alltagsleben, keine Kampfszenen, mit expressiv-groben Pinselstrichen festgehalten. Gerhard Schneider schreibt im Katalog, daß diese Öl-Skizzen, gemalt im Unterstand, einmalig seien.
Zu erwähnen wären noch, daß Belegbeispiele der „Künstler-Flugblätter“ (August 1914 - Dezember 1915) , des „Kriegsbilderbogens“ Münchner Künstler (1914-1915) und der Publikation “Krieg und Kunst“ (1914-1918) in der Ausstellung zu sehen sind.
 
Der sehr informative, gut lesbare Katalog mit über 300 Bildtafeln kostet 25 € (zuzüglich Porto) und ist z.Zt. nur über das Kunstmuseum Spendhaus Reutlingen zu beziehen:
 

 

Städtisches Kunstmuseum Spendhaus

Spendhausstraße 4  - 72764 Reutlingen, Tel: 07121 303-2322 Fax: 07121 303- 2706

 

kunstmuseum@reutlingen.de
www.reutlingen.de/kunstmuseum

Die Ausstellung wandert weiter:

Südsauerlandmuseum Attendorn vom 18. Mai bis 13. Juli 2014
und
Kunsthalle Jesuitenkirche Aschaffenburg vom 27. September 2014 bis 11. Januar 2015