The Accidental Poet (Dichter durch Zufall)

Bill Beckley - Arbeiten aus den 70er Jahren in der Düsseldorfer Galerie Hans Mayer

von Christian Sabisch

The Accidental Poet

Dichter durch Zufall
Bill Beckley - Arbeiten aus den 70er Jahren
 
Eine Betrachtung von Christian Sabisch
 
 
Am 20. März 1969 bereitete Bill Beckley, damals noch Student der Malerei an der Tyler School of Arts der Temple Universität in Philadelphia, eines seiner Landschaftsgemälde vor. Wie schon zuvor, nicht indem er ein Gemälde wie in der Tradition europäischer oder amerikanischer Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts anfertigte, sondern durch Wiesen, Wege spazierte und alles, was sich ihm in den Weg stellte, sei es ein abgefallener Ast, ein Gestrüpp oder schlicht Gras mit einem  Farbstrich überzog. Anstatt also das Wesen des romantischen Tales entlang des Hudson darzustellen, überzog er die Landschaft mit einem breiten Pinsel und Latexfarbe und hinterließ so eine einen Meter breite Linie in der Landschaft als Spur seiner Wanderung und als Beleg für seine Gegenwart an einem besonderen Ort zu einem bestimmten Zeitpunkt. Einmal malte er so vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang und changierte die Farbe entsprechend dem Tageslicht, vom klaren Gelb der morgendlichen Sonne über strahlendes Blau des Mittags bis zum tiefen Orange des Sonnenuntergangs. Auf einer dieser Landschaftserkundungen überquerte er einen Bachlauf. Natürlich wusste er, dass er den Farbstrich nicht im Wasser fortsetzen konnte, da das Wasser die Farbe auflösen würde, dennoch setzte er seinen Anstrich fort. Das brachte ihn auf die Idee, einmal einen regelrechten Fluss bei der Durchquerung zu bemalen. Also verstaute er an jenem kalten Morgen des 20. März etliche Farbeimer in seinem alten Morgan Kabriolett und fuhr zu dem nächsten Fluss, zufällig dem Delaware. Als er sich dem Flussbett näherte sah er ein Schild: Er befand sich an jener Stelle, wo George Washington den Delaware am Weihnachtsabend des Jahres 1776 im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg überquert hatte.
            Der Tag im März 1969 war sicherlich nicht so kalt wie jener, als Washington trotz Sturm, Eis und Schnee und einer Kälte, dass der Fluss am Ufer zu gefrieren begann, zur Überquerung ansetzte. Wir kennen das Bild des Kommandanten umringt von Getreuen seiner Revolutionsarmee, mit einen Fuß im Boot, der andere leger auf dem Rand. Unter den Wetterbedingungen hätte Washington, wie einige Kunsthistoriker ausgeführt haben, niemals den Fluss überqueren können; er wäre schlicht über Bord gegangen in die reißende Strömung. Aber Emanuel Leutze, der in Deutschland geborene amerikanische Maler, der an der Düsseldorfer Kunstakademie studierte und später wie einige seiner Kommilitonen die Düsseldorfer Malerschule in Amerika etablieren sollte, erschuf sein Mammutwerk am Rhein. Es ist erstaunlich, dass dieses Gemälde für Amerikaner zur Ikone des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges wurde. Trotz der Ungenauigkeit in Washingtons Haltung und Pose wurde das Gemälde zum Inbegriff amerikanischen Heldentums und Selbstbehauptung. Als amerikanische Patriot erschuf Leutze ein Bild, das größer war als sein wuchtiger Historienschinken. Was wir in diesem Bild sehen, ist weitaus mehr als wir betrachten.
            So riskant wie Washingtons dargestellte Heldenpose war auch die Querung, die Bill Beckley sich vorgenommen hatte - allerdings ohne Boot. Er wollte nicht nur den Fluss anmalen, während er ihn zu Fuß durchwatete, sondern den Vorgang auch noch mit der Kamera festhalten, um einen Beleg dafür zu haben, dass er getan hatte, was er getan hatte. Um genug Farbe für den Malvorgang bei sich zu führen, hatte er mehrere Farbeimer an den Gürtel geschnallt.  Kurz nachdem er jedoch in die Fluten gestiegen war, neigte sich das Flussbett schneller als erwartet, die Strömung nahm zu und er verlor seinen Halt. Das Gewicht der Farbeimer zog ihn unter Wasser, er verlor seine Kamera. Zum Glück konnte er sich schnell genug von den Farbeimern befreien, wieder auftauchen und die Mal-Aktion zu Ende führen. Später kombinierte er eine Abbildung des Leutze Gemäldes mit einem Papierschnipsel, auf dem er nonchalant seine Durchquerung festhielt: „Am 20. März 1969 fuhr ich zu 'Washingtons Überquerung' am Delaware und zog weiße Latexfarbe hinter mir her, während ich von Osten nach Westen durch den Fluss lief. Ich startete um 1h mittags und erreichte das andere Ufer um 2:10h. Der Fluss war 1,67m tief und sehr kalt.“ Im Rückblick bekennt er: „Das war meine Epiphanie als Künstler.“ Diese Arbeit, so unscheinbar sie auch sein mag, ist erhellend, den zum ersten Mal greift der Künstler auf ein vorgegebenes Bild, wenn man so will auf ein ready-made wie in der Kunst zu Anfang des 20. Jahrhunderts, zurück und ergänzt es mit einer kurzen Erzählung - ein Weg, den er bei vielen seiner Arbeiten einschlagen sollte.
            Kurz nach der Washington-Erfahrung am Delaware inszenierte er ein Porträt von sich selbst mit gepuderten, leicht auf gebürstetem Haar und erzeugte so eine verblüffende Ähnlichkeit zum ersten Präsidenten der USA. Das Bild trägt den Titel „Ich als Washington“. Dieses frühe Bild zu Beginn seiner künstlerischen Karriere ist ein Schlüssel zu seinem Werk. Wir sehen in dem Werk durchaus einen Menschen, der wie Washington aussieht, dieser strenge Blick, die Entschlossenheit im Ausdruck, seine Haltung; und doch sind wir uns bewusst, dass wir den Künstler vor Augen haben, der auf humorvolle Weise das Wesen, dessen, was wir als Washingtons Charakter erkennen, zum Ausdruck bringt. Das Porträt hält sich formal gänzlich an die Vorgaben der Porträtmalerei, doch hat es die Textur, Farb- und Lichtgebung einer schwarz-weiß Fotografie.
            Bill Beckley studierte Malerei und nicht Fotografie. Natürlich ist er sich der Tradition, der Regeln und Werte der Fotografie - Stieglitz, Bresson, Blossfeldt, Adams - bewusst, dennoch hat er nie versucht ein fotografierender Fotograf zu sein, sondern ein fotografierender Maler. Seine Fotoarbeiten waren immer als die großformatigen Kompositionen eines Malers angelegt, der anstelle von Pinsel und Farbe seine Kamera zum Einsatz bringt. Zu Beginn einer jeden Arbeit machte er sich Notizen, Skizzen auf Papier für die er dann Entsprechungen in der gegenständlichen Welt suchte. Für die Arbeit „Bus“ engagierte er ein Fotomodell um die „Frau an sich“ darstellen zu können. Ihr abgehobener Blick in die Kamera, ihr Make-up auf den Wangen, den Kopf leicht auf die linke Hand gestützt, das Haar akkurat gekämpft, all das lässt sie so aussehen, als wäre sie der Werbung eines Modemagazins entsprungen. Die Arbeit beinhaltet einen Text, der auf den ersten Blick direkt Bezug zu den Bildtafeln nimmt. Linker Hand sehen wir den Bus schlechthin, einen Doppeldecker, der einen sofort an London denken lässt. Aber der Leyland-Bus, eindeutig für den amerikanischen Markt umgerüstet - man betrachte nur die Stoßstange und das Nummernschild -, tourte durch New York, vom Broadway über Riverside Drive zur 178. Straße. Die Erzählung in der Mitte führt den Betrachter mit den Worten: „Der Bus hielt bei Rot an.“ Und wir tauchen sofort in eine Geschichte: „Oben war eine Lippenstift-Werbung, unten eine für Fußnagellack.“ Vor unserem geistigen Auge bewegen wir uns vom Kopf zum Fuß, um dann zu erfahren, dass die Frau ausstieg. Ein Winkelzug linearer Erzählung, der nirgendwo hinführt und den Leser allein lässt.


Bill Beckley, Bus 1976

            Erwartungen erzeugen und sie nicht erfüllen, das gehört zu Bill Beckleys Prinzipien dichterischen Erzählens, nicht nur in seinen Texten, sondern auch in seinen Bildern. Etwa in „Roses Are, Violets Are, Sugar Are“ (1974). Hier sehen wir nicht, wie wir vom Titel erwarten, Blumen und eine Zuckerdarstellung, etwas als Würfel oder als Hut. Stattdessen konfrontiert uns der Künstler mit einem blattlosen Dornenzweig, einem grünen Blumenstängel und einer Puderlinie wie für einen Junkie. Der Gegensatz zwischen Titel, Erzähltext und Bild mag uns verwirren, aber nur wenn wir uns auf das Abbild auf der Netzhaut verlassen. Aber das tun wir nie, wir sehen immer mehr als wir betrachten. Die Bilder, die wir sehen, reichern wir stets mit eigenen Bildern an. Wie in „Drop and Bucket“ (1975). Auf zwei Tafeln sieht man einen Wasserhahn mit weich gezeichnetem Schatten und darunter einen Wassereimer in der Vogelperspektive, in dem ein Wassertropfen die Oberfläche in Wallung versetzt. Zwischen diese Bildquadrate fügt sich ein spitz zulaufendes gleichschenkliges Dreieck, das den Tropfen zeigt, wie er aus dem Wasserhahn in den Eimer fällt, abgebildet in hoher Auflösung mit einem Schatten, der den des Wasserhahns darüber nachbildet. Vor dem geistigen Augen sehen - und  hören - wir förmlich mit einem Schmunzeln, wie der Tropfen in den Eimer plumpst.
            In der zeitgenössischen Kunst sind Manifeste aus der Mode gekommen. Diese Proklamationen, in denen Künstler früher einzeln oder als Gruppe ihren Standpunkt, ihren Glauben und ihre Visionen bekräftigten, waren stets sehr hilfreich für ein tiefgreifendes Verständnis. Man hätte etwas entsprechendes auch von jener Gruppe von Künstlern erwarten mögen, die unter dem Banner der Konzept-Kunst segelten, umso mehr als diese Bewegung häufig narrative Elemente in ihre Werke einbezog. So sehr sich Bill Beckley mit Konzept-Kunst identifizierte und bis heute identifiziert, so wichtig ist es, dass er sein Credo nicht selbst schrieb, sondern ein amerikanischer Dichter. Wenn die beiden sich doch nur hätten kennenlernen können! Bill Beckley und Frank O'Hara. Aber Bill war noch zu jung, um diesem großen Stadtpoeten New Yorks zu begegnen, der kritischen Muse von Malern wie Larry Rivers oder Helen Frankenthal, William de Kooning und Philip Guston. Jener ausgesprochen diesseitige Prediger und Erzähler dessen, was zur Kunstszene New Yorks der 1950er und 1960er Jahre werden sollte, bevor Kommerzialisierung und die Globalisierung einsetzten.  Aber Frank O'Hara starb durch einen Unfall mit einem Beach-Buggy auf Long Island in einer Sommernacht 1966 im Alter von 40 Jahren, als so vieles noch möglich war und so vieles noch aus der Schreibmaschine hätte kommen sollen, auf die Frank O'Hara seine Gedichte hämmerte und dabei einer Stadt voller Visionen nachspürte, die anspornen, bereichern, beeindrucken und durchdringen konnte. (Die posthum erschienene Gesamtausgabe der Gedichte umfasst annähernd 600 Seiten.) Damals war „Content“ nicht bloß eine Schablone für allzu schnell verdaute Nachrichten, die wir heute beim Surfen im Internet erleben; Content als Inhalt bedeutete Nachdenken und Erklären, sei es in der Welt der Kunst, der Welt widersprüchlicher Gefühle, Bilderkompositionen oder Gegenüberstellungen, Schönheit, forschenden Blicks und stets ein Beitrag zu einer ästhetischen Debatte, die tiefer ging als die Schlagzeilen-Weisheiten, an die wir uns längst gewöhnt haben. Bill Beckleys Wunsch, diesem Schriftsteller, Dramatiker, dieser zentralen Figur der aufkeimenden Kunstszene und Kustos am MOMA zu begegnen, führte zu einer Auseinandersetzung mit Frank O'Hara, auf der Suche nach dem, was sie verbindet, was sie interessiert und zur Erkenntnis, was sie trennt. So überrascht es kaum, dass Bills Lieblingsgedicht von Frank O'Hara stammt. Er nennt es sein Credo. „Im Gedenken an meine Gefühle“, ein Gedicht, das die unterschiedlichen Ebenen unserer Existenz, unseres Bewusstseins, unseres Erkennens, unserer Wahrnehmung und Interpretation erkundet, die verzweifelten, widersprüchlichen Ebenen unseres Daseins und das mit einem wunderbaren Geheimbund von Kunst und Dichtung endet:
 
Und doch
habe ich meine Lieben vergessen, und hauptsächlich jene, die krebshafte
Statue, die mein Körper nicht länger halten kann,
gegen meinen Willen
gegen meine Liebe
wird zur Kunst,
ich kann sie nicht in Geschichte verwandeln
und so ihrer erinnern,
Und ich habe verloren, was stets und überall
gegenwärtig ist, die Szene meiner Selbsten, die Gelegenheit dieser Listen,
die ich selbst und allein jetzt töten muss
Und die Schlage in ihrer Mitte retten.
 
            Später schuf Bill eine Hommage-Installation mit dem Titel „Frank“, einem gewaltigen Bilderrahmen, den er auf einen rechten Winkel verkürzte, indem er die untere Leiste einfach abschnitt und den linken Schenkel im Nichts enden ließ. Dieser offene Rahmen ruht auf einem Flügel-Bein (Musik) und einem meterhohen Zeitungsstapel der New York Times von einem Tag (Wort). In der Mitte ist ein Stück Tapete mit Rosenmotiv zu sehen und eine schwarz-weiß Fotografie von Frank O'Haras Grabstein. Eine vertrocknete Rose liegt auf der Inschrift: „Grace to be born and live as variously as possible“ [Gnade, geboren zu sein und so vielfältig zu leben wie möglich].
            In Frank O'Hara fand Bill einen Seelen verwandten. Man bedenke nur die Arbeit „Hopscotch“ [Himmel und Hölle] von 1971. Ein schwarzes Zahlenfeld gibt die Route vor, entlang derer man von unten nach oben springt, Bewegung für Körper und Geist. Wahrscheinlich wird man jedoch zunächst den Text von oben links nach unten lesen, Bewegung für Augen und Geist, und dann (vielleicht) sich besinnen, nicht zu springen: zwei entgegengesetzte Richtungen. Körperbewegung und Gehirnfutter. Die Worte erschaffen eine Atmosphäre, die der eines spielenden, Welt vergessenen Kindes zuwider  läuft; der Erzähler betrachtet die Welt in diesem Gedicht, nimmt alles auf, und doch sind die Zeilen so in sich geschlossen wie ein Kind, das mit größter Konzentration spielt. In demselben Jahr entstand eineInstallation mit dem Titel „Schildkröte in einer Kiste“ mit einer lebendigen Schildkröte in einem Bretterkasten, der in den Türrahmen der Holly Solomon Loft gezimmert war.  Die Performance „Lied für einen Klimmzug“ wurde von einem Studenten der Julliard School of Music aufgeführt. Eine Melodie aus drei Noten—ein mittleres, ein hohes und ein mittleres C als gesanglichem Sinnbild der Bewegung - wurde von einem Tenor gesungen, während er sein Kinn über ein Reck hievte. Bill komponierte auch ein „Lied für eine Rutsche“. Ein Sopranistin kletterte eine Leiter  hoch, sang ihre Melodiemethapher in ein Mikrophon und glitt die Rutsche herunter.
            Seinen Sätzen, Erzählungen, aphoristischen Erzählsträngen dasselbe Gewicht in seinen Kompositionen zu verleihen wie den fotografischen Abbildern, sollte zu einem jener Leitprinzipien werden, mit denen er sich spielerisch auseinander setzte, wie in „The Cake Story“ [Die Kuchengeschichte] (1973). Die Arbeit teilt sich in zwei gleich große, übereinander gesetzte Tafeln auf, wobei oben ein Stück Kuchen auf einem Teller auf einem runden Tisch prangt - die scharfen Kontraste von Licht und Schatten rufen entfernt Stilllebenmalerei der Renaissance in Erinnerung; auf der unteren Tafel steht ein einfacher Text. Darin versetzt ein Erzähler den Leser in eine ganz alltägliche fiktionale Situation: Er sitzt allein in einem Restaurant, sinnt über den Spruch „Man kann den Kuchen nicht essen und behalten“ nach und erinnert sich seiner kürzlichen Reise nach Rom. So taucht der Künstler Bild und Text in eine melancholisch angehauchte, doch mit seiner reduzierten Sprache gänzlich poetische Szenerie. In „The Kitchen“ [Die Küche] (1977) enthält die Cibachrom-Arbeit - gestaltet wie die Umrisse eines Dosenöffners - unterschiedliche Gegenstände wie den Deckel einer Konservenbüchse, umschmiegt von einem Text, an den sich ein Foto von einer Campbell Tomatensuppe anschließt und im schiefen Winkel - quasi als Griff - das romantische Bild einer Berglandschaft, der ein schwarz-weiß Foto einer Gardine entgegen gesetzt ist.


      Bill Beckley, Hot and cold Faucets 1975
            In „The Underarm“ [Der Unterarm] (1977) sehen wir eine behaarte Achselhöhle, Teile einer Schulter und eines Oberarms eines Menschen. Eine Texttafel verdeckt die Brust, daneben fügt sich das Foto von einem Strand mit seichten Wellen im milden Licht eines Sonnenuntergangs. Der Künstler fügt jedoch nicht die gesamte Fotografie dieser Landschaftsszene in die Komposition ein, sondern teilt sie in der Mitte und lässt im Zentrum eine Leere, sodass die Fotografie die Form eines auf der Seite liegenden Buchstabens U annimmt. Die Texttafel gibt eine romantische Ahnung vor: „Sie stand unter der Brücke, ihr gelbes Haar wehte unter ihrer Kappe in der Abendluft“, und die folgenden Zeilen bauen eine dichterische Bildwelt über Verlust und Rettung auf.
            Sex, Erotik, Körperlichkeit, Humor und, schlimmer noch, Farbe in seine Arbeiten einzubringen, löste unter seinen Künstlerkollegen eine polemische Debatte aus. Sie befassten sich lieber mit der eher puritanischen Ausarbeitung ihrer Gedanken, bei der das Kunstwerk als Objekt, seine physische Präsenz eine eher untergeordnete Rolle spielte. Aber Beckley hielt unbeirrt Kurs, baute die Warze einer weiblichen Brust oder ein in die Luft gestrecktes Bein mit Tennisschuh und Ringelsöckchen ein. In „Rising Sun, Falling Coconut“ [Aufgehende Sonne, fallende Kokosnuss] kann man förmlich das Augenzwinkern des Künstlers sehen, während er schmunzelnd mit der Aufwärts- und
Abwärtsbewegung in den hochformatigen Tafeln entlang einer Kokospalme spielt. Nicht weniger humorvoll ist das offensichtlich Sexuelle in „Hot and Cold Faucets with Drain“ [Heiß- und Kaltwasserhähne mit Ablauf] angelegt. Um die Bilder dieser als traditionelles Triptychon, also Altarbild, angelegten Arbeit herzustellen, besorgte sich der Künstler einen einfachen Wasserhahn, befestigte ihn auf einer Plexiglasscheibe und verband ihn mit einem Schlauch. Er beleuchtete die Scheibe von hinten mit dem Licht in den gewünschten Farbtönen. Eine höchste provokante Arbeit, nicht nur aufgrund des möglichen sexuellen Inhalts („Sollten mir hier erotische Sicherungen durchbrennen, macht nichts: Wasser reinigt.“), sondern vor allem aufgrund der leuchtenden Strahlkraft der Farbgebung.
            Bill Beckley war sicherlich einer der ersten, wenn nicht gar der erste Künstler überhaupt, die Cibachrom in ihren Arbeiten einsetzten und damit eine Auflösung erzielte, die sonst nicht möglich ist. Der Vorteil: der kontrastreiche Effekt wie in der Werbung. Der Nachteil: die enormen Kosten. In diesen Cibachrom-Werken ist die Fingerabdruck des Künstler nicht zusehen, und doch wurden sie zum Kennzeichen seiner Handschrift. In jüngerer Zeit hat er sich mit subtileren Formen der Erotik in seiner Blumen-Serie auseinander gesetzt, in denen üppige Mohnblüten das Auge verführen oder Blumen in Bewegung einen ganz und gar sinnlichen Tanz andeuten. Diese Arbeiten sind nicht Teil der Ausstellung, stattdessen sehen wir eine Retrospektive, die sich auf Arbeiten der 70er Jahre beschränkt.
            Bill Beckley und Hans Mayer arbeiten seit 1974 zusammen, begehen also mit dieser Ausstellung ihr 40jähriges Jubiläum. Beim Rundgang durch die Präsentation kann man nicht anders, als Künstler und Galerie zu dieser Rückschau auf ein zukunftsweisendes, für nachfolgende Generationen einflussreiches Werk zu gratulieren. Sie weist Bill als Literaten aus, der Sprache, Erzählung, Dichtung so präzise setzt wie seine Bilder und damit zum Vorreiter einer bildenden Kunst wurde, die die Verarbeitung von Buchstaben und Texten pflegt, mal plakativ, mal im übertragenen Sinn.  Die Ausstellung zeigt auch, wie ein Maler, durch reinen Zufall und aus schierem Willen ein Dichter von Worten und Bildern wurde, der spielerisch Worte und Bilder zusammensetzt. Schon wahr, Kunst ist ein ernstes Geschäft, und vielleicht kein Spiel. Aber, wie Bill mir einmal sagte: „Das wichtigste in der Kunst ist die Möglichkeit zum Spiel“.


Bill Beckley, Homage to Frank O´Hara 1987
 
Noch bis 28. Juni 2014
Galerie Hans Mayer GmbH
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