Nur der Schönheit weiht ich mein Leben...

Klaus Florian Vogt & die Staatskapelle Weimar

von Peter Bilsing

Foto: Philharmonie Essen

Nur der Schönheit weiht ich mein Leben...
 
Klaus Florian Vogt & die Staatskapelle Weimar
 
Philharmonie Essen, 22.10.14
 
Da bietet die Essener Philharmonie für günstiges Geld (die Karten kosteten gerade einmal 15 bis 55 Euro) den vielleicht besten deutschen Tenor und neben ihm als „Begleitorchester“ auch noch das sicherlich renommierteste und traditionsreichste deutsche Orchester auf, und dieser Galaabend ersten Ranges war noch nicht einmal ausverkauft. Weltklasse für kleines Geld - was ist mit den Musikfreunden im klassischen „Kohlenpott“ los? Warum laßt ihr einen so phantastischen Abend quasi links liegen? Ich hatte Schlangen an der Abendkasse erwartet, statt dessen sah ich leere 2. Ränge im schönsten und akustisch beglückendsten Konzertsaal Deutschlands.
Natürlich waren diverse Wagnerverbände aus dem Umfeld angereist, wobei deren Durchschnittsalter meinen Glauben an jegliche Weiterexistenz der Gattung Oper einfrieren ließ. Gibt es denn keine jungen Leute mehr, die sich für solch grandiose Musik interessieren? Es stand ja keineswegs nur Wagner auf dem Programm, sondern im zweiten Teil gab es neben Mozart und Flotow die Höhepunkte der Operette - also durchaus populären Stoff.
Ich beginne mit einer Träne im Auge für die Nichtgekommenen: Oh ihr Opern-/Operettenfans, die ihr zuhause geblieben seid, was habt ihr da verpaßt! Es war ein einmaliger Abend. Noch eines gleich vorweg: Klaus Florian Vogt ist für mich nach Rudolf Schock und Fritz Wunderlich der beste Operettentenor, den ich bisher live gehört habe. Wenn die Plattenfirmen nicht endlich mit ihm mal eine komplette Operette aufnehmen, ist das ein Verbrechen, und wir werden diese wunderbare große Gattung nie wieder revitalisieren können.
Klaus Florian Vogt ist ein intelligenter, sympathischer Sänger und höchst eloquenter Conferencier. Er läßt es sich nicht nehmen, vor jedem Stück entweder etwas zur Musik zu sagen oder eine amüsante Anekdote darüber zu erzählen, was ihn wo und warum mit eben genau dieser Arie verbindet. So informiert uns der charmante Plauderer erst einmal über seinen maßgeschneiderten Cut, den er wie verlautet bei einer Meistersinger-Produktion angepaßt bekam; wobei die Bühnenpräsentation des edlen Stoffes ihm dann kurz vor der Premiere versagt wurde, da die Regisseurin (Urenkelin eines ganz großen Komponisten) bei der ersten Hauptprobe wieder alles über den Haufen warf und ihre Künstler komplett umdrapieren ließ. (Pers. Anmerkung: Wir ham´s ja so dicke an unseren Opernhäusern...). Es spricht für Vogt, daß er sich das gute Stück, welches wohl auf dem Sperrmüll des Opernhauses oder in der Altkleidersammlung gelandet wäre, dann doch selber zulegte. Und ich muß sagen, auch als Nicht-Couturier, es stand im perfekt; ein gestanden schöner Mann in einem so edlen Zwirn!
 
Sanglich standen im ersten Teil des Abends Wagners lyrischste Tenorpassagen auf dem Programm: „Fanget an“ und „Am stillen Herd“ (Meistersinger) wonach die „Winterstürme“ dem „Wonnemond“ wichen. Eine wirkliche Wonne, die so wunderschön lyrisch intoniert wurde, wie ich diesen Wagner seit Jahrzehnten nicht mehr gehört habe. Gekrönt wurde das Leitmotiv schönster Wagner-Passagen mit der natürlich wie immer gekürzten Gralserzählung aus Lohengrin. Für alle Wagnerfreunde, die sich nicht für die mir stets seltsam anmutende Version seines Konkurrenten Kaufmann erwärmen können, eine brillante Alternative. So schön kann Wagner klingen. Selbst Kollo hat die Geschichte in seinen besten Zeiten nicht besser gesungen.
Und wenn zwischendurch der traditionsreichste Klangkörper der Welt, die Staatskapelle Weimar (gegründet 1491) unter der bravourösen Leitung von Stefan Solyom weitere wagnersche Orchester-Glanzstücke (nach der Meistersinger-Ouvertüre kamen die richtig dicken Dinger: Walkürenritt und Lohengrin-Vorspiel zum 3.Akt) aufs Feinste zelebrierten, dann war das keine lästige Pausenmusik, wie wir es bei ähnlichen Starabenden leider öfter erleben, sondern diesmal sinfonischer Klang und Orchesterkultur vom Allerfeinsten. Trotz nicht komplett originaler Wagner-Besetzung leuchtet das Blech golden, sicher und wuchtig wie beim London Symphony Orchestra vor einem halben Jahr, und auch die Holzbläser brilliertem auf internationalem Niveau - einzig die Streicher hätten für den Begriff „Weltklasse“ ein paar mehr sein können. Nichts desto trotz war dies der wahrscheinlich zur Zeit einzig pure Wagner-Originalklang, denn die Staatskapellianer spielen in der Originalstimmung von 443 Herz und pushen den Kammerton „a“ nicht, wie allseits international üblich, um einen vorgeblich „seideneren Klang“ zu ereichen - bestes Negativ-Beispiel sind die Wiener Philharmoniker. Ein großes Dankeschön für diesen ehrlichen Klang, den viele Besucher leider gar nicht so zu schätzen wußten, also mußte der Kritiker mal wieder einsam bravieren.
 
Selten erklang nicht nur die wunderbare vergessene Martha-Ouvertüre so feinsinnig differenziert, sondern auch Mozarts Zauberflöten-Auftaktmusik habe ich nur gelegentlich in den letzten Jahren so luftig locker und transparent vernommen. Und wenn uns dann Lehárs „Gold und Silber“-Walzer (op. 79) einlullt, könnte man sich durchaus in den Wiener Sophiensälen wähnen, beim traditionellen Neujahrskonzert.
Ein tolles Orchester ist diese Staatskapelle. Hier wird das Wort „Orchesterkultur“ noch mit Leben gefüllt. Bravi!
Im zweiten Konzerteil zeigte Ausnahmesänger Klaus Florian Vogt, was eigentlich sein Metier ist - sein sollte, denn hier brilliert er mit seiner wunderschön hohen Tessitura, seinem geradezu traumhaften Legato und einer exemplarischen Atemtechnik mit Lehárs nicht nur populären, sondern auch ausgesprochen anspruchsvollen Höhepunkten („Dein ist mein ganzes Herz“, „O Mädchen...mein Mädchen“, „Immer nur Lächeln“). Wobei letzteres als Zugabe dann noch von „Freunde, das Leben ist lebenswert“ unter großem Publikumsjubel übertroffen wurde. Das war wirklich Weltklasse! Hier gibt es für den charmanten Künstler keine sich auch nur annähernde Konkurrenz. Wer Operette liebt, muß Klaus Florian Vogt einfach gehört haben, muß ihn lieben, denn er setzt längst verklungene Maßstäbe neu.
Ein traumverloren schöner Abend auf allerhöchstem Niveau. 
 
Peter Bilsing 23.10.14