Die Katze, die Eichhörnchen hieß

von Hanns Dieter Hüsch

© Jürgen Pankarz
Die Katze, die Eichhörnchen hieß
 
Es war einmal ein ganz kleines Kätzchen, das sah aus wie ein Eichhörnchen, und deshalb nannten wir es: Hörnchen. Wir hatten das Kätzchen nicht gekauft, sondern Hörnchen saß eines schönen Tages vor der Haustür und machte Männchen und meine Tochter nahm das Kätzchen auf den Arm und mit in unsere Wohnung. Na und, sagte ich. Wie, na und, sagte meine Tochter, es ist doch ganz zerzaust und noch so klein. Ja, das seh ich, sagte ich, wollen erst mal sehn, was die Mutti sagt. Die Mutti, sagte meine Tochter, die Mutti ist doch ganz wild auf Katzen. So so, sagte ich. Ja ja, sagte meine Tochter, wo drei essen, können auch vier essen, gelle? Ich gab mich geschlagen.
    Außerdem ist so ein Kätzchen ja sonst so allein, sagte meine Tochter, und bei uns kann es sogar mit mir spielen, ich wollte ja auch schon mal ein Schwesterchen. Das ist doch ganz was anderes, sagte ich. Ja, aber das weiß die Katze doch nicht, sagte meine Tochter. Also gut, sagte ich, rein in die gute Stube, hoffentlich ist sie stubenrein. Du magst doch Tiere leiden, fragte meine Tochter. Doch, doch, sagte ich. Magst du Tiger leiden und Pudel? Ich mag alle Tiere leiden, sagte ich, nur wenn sie anfangen zu sprechen, dann hab ichs nicht so gern. Tiere sind doch keine Menschen, sagte meine Tochter. Gottseidank, sagte ich, und führte die Katze meiner Frau, der Frieda Vor. Och, wie suzel, sagte sie (suzel ist bei uns ein besonders wertvolles Prädikat und heißt so viel wie: sehr süß), also sie sagte, ein übers andere Mal wie suzel, ein Kätzchen. Es kann Männchen machen, sagte meine Tochter, und sogar Pfötchen geben. Milch haben wir wohl nicht im Haus, sagte ich. Doch, doch, sagte die Frieda, wem gehört denn das Tier? Weiß nicht, sagte ich. Mir gehört sie, sagte unsere Tochter, ich hab sie gefunden, jawohl, sie läuft schon seit ein paar Tagen auf der Straße rum und heute saß sie vor unserer Tür, sie wollte zu uns und jetzt hat sie es schön warm und kann mit mir spielen. Was meinst Du, sagte ich. Ja, sagte die Frieda, das Sofa ist gerade neu überzogen, vor mir aus kann es wieder kaputt gehen. Sie ist ja noch so klein, sagte ich. Auja Mutti, sagte meine Tochter, wenn wir sie behalten, geh ich nicht mehr in die Schule. Du gehst in die Schule, sagte ich, und die Katze geht immer um den heißen Brei, sagte meine Tochter. Ich gehe und hole ein Körbchen und ein Kistchen mit Torf, sagte die Frieda. Also, klarer Fall, Wir behalten die Katze, nun, wenn ein Elefant gekommen wäre, hätten wir ihn wahrscheinlich auch behalten. Hörnchen, unser Kätzchen, lebte sich ein, tobte sich aus, machte Weitsprung, Stabhochsprung, spielte Fußball mit sich und mit uns und war Thema Nr. 1. Am Tag und in der Nacht. Machte Hörnchen nachts mal Miau, raus aus dem Bett: Es wird doch nichts passiert sein, ob es Zahnschmerzen hat. Unsre Tochter lag am Tag meist auf dem Bauch und unterhielt sich stundenlang mit dem Tier, wie mit einem Menschen.
    14 Tage später war Hörnchen weg, weggelaufen, durch Tür und Angel wahrscheinlich. Alles Suchen war umsonst. Das Kätzchen war und blieb weg und wir waren einen Moment sprachlos. Vielleicht hat es jemand gefangen, sagte unsere Tochter, oder vielleicht ist es verunglückt. Vielleicht, sagte ich. Darf man Tiger fangen, Vati?
Tiger sind Raubtiere, sagte ich. Die Frieda sagte: Das ist die Natur. Katzen wollen ihre Freiheit. Was ist das Freiheit, fragte unsere Tochter. Vielleicht hat das Kätzchen ein Brüderchen gesucht, sagte ich, hättest du es wohl laufen lassen, wenn es zu dir gesagt hätte, ich möchte mir ein Brüderchen suchen?
    Ja, sagte meine Tochter. Siehst du, sagte ich, das ist Freiheit, so lieb muß man auch ein Tier haben. Alle Tiere? fragte meine Tochter. Alle, sagte ich.
    Zu Weihnachten, sagte unsere Tochter, wünsch ich mir einen Hund, den nennen wir Hörnchen, dann haben wir wieder eine Katze, und der sage ich dann, was Freiheit ist, vielleicht bleibt sie dann hier, obwohl es ein Hund ist. Und die Frieda sagte: Die Hauptsache ist, man tut den Tieren nicht weh. Man darf sie zu nichts zwingen, sagte ich.
    Und unsere Tochter setzte altklug hinzu: Opa hat gesagt, tue keiner Fliege was zuleide, Tiere sind auch nur Menschen und Opa ist immerhin schon 67 oder 68 und hat zwei Kaninchen und trägt eine Brille. Vielleicht hat er unser Kätzchen gesehen.
 

© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Zugabe" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Die Zeichnung stellte freundlicherweise Jürgen Pankarz zur Verfügung