Die letzten Raucher

von Erwin Grosche

© 1958 Haus Bergmann
Die letzten Raucher
 
Die letzten Raucher sind scheue Wesen, die man im Winter zitternd auf Balkonen findet, notdürftig geschützt durch eine schnell übergeworfene Decke oder durch eine Sonnenbrille, die sie schützt. Die letzten Raucher, eine aussterbende Art, die ausgeschlossen wurde, nachdem man sie ein Leben lang von ihrer Einmaligkeit überzeugt hatte.
   Fand sich früher oft vor Haustüren oder anderen Biotopen eine einzigartige Gelegenheit, laut schwadronierende Raucherrudel zu beobachten, so kommt dieses nur noch selten vor.
   In Smoking-Areals, den letzten Raucherreservaten der Deutschen Bundesbahn, vergleichbar mit der immer kleiner werdenden Jazzabteilung eines Kaufhauses, finden sich die letzten Überlebenden einer Art, von denen die Kinder nicht mehr glauben, daß man sie früher auf der freien Wildbahn husten hören konnte.
1. (hustet) Raucherhusten
2. (hustet stark) Starker Raucherhusten
3. (hustet stark und sammelt Spucke) Starker Raucherhusten mit anschließender Markierung des Reviers.
 
   Wie kann man späteren Generationen diese Lust begreiflich machen, die so viele beim Ziehen an einer Zigarette empfanden. Wie erklären, wie das Aufsteigen der Rauchsignale immer auch ein Zeichen war von Geselligkeit und Frieden. Ich kannte Männer, die konnten fünf Kreise als olympische Ringe in die Luft aufsteigen lassen, andere überzeugten durch vereinfachte Darstellungen von Sophia Loren. Ich hatte mal einen Untermieter, der konnte durch seinen Rauchring einen Löwen springen lassen, wenn ich gerade persönlich nicht anwesend war. Wie beschreiben, daß das Rauchen einer Zigarette eine Zeiteinheit war für eine Frühstückspause. Deswegen gab es später auch sehr lange Frauen-Zigaretten, weil die für alles länger brauchen.
   Ich kann mich noch daran erinnern, daß die erste Zigarette, geraucht mit seinen Freunden oder seinem Erzeuger, als Aufnahmeritual in die Erwachsenenwelt galt. Denn erst, wenn es einem richtig schlecht war, galt man als erwachsen. Wie unschuldig wir alle waren und leichtsinnig, spielten mit den Gefühlen der Nichtraucher und Zimperlieschen.
   Ich kann mich auch daran erinnern, daß mir, als ich noch mein Geld beim Babysitten verdienen mußte, von den Eltern des Kindes gesagt wurde, wir sind in etwa 50 HB-Längen zurück. Und man dann diese Zigaretten parallel dazu im Kinderzimmer mitrauchte, damit die kleinen Glühwürmchen dem Baby die Angst vor der Dunkelheit nehmen sollten.
 
   Wie glaubhaft berichten, wie das Rauchen einer Zigarette beim Liebesakt als Nachspiel akzeptiert wurde. Raucher rauchen: Wenn wir Qualm wie Luft einhauchen.
Raucher rauchen: Und dabei wie Tiger fauchen.
Raucher rauchen: Weil wir Glück und Liebe brauchen.
Raucher rauchen.
  Früher war das Weiterreichen einer Zigarette ein intimes Vorspiel vor dem ersten Kuß. Heute wehren sich die Frauen dagegen und behaupten, dann könnten sie auch einen Aschenbecher auslecken.
   Meine Damen, früher waren wir froh, wenn wir einen Aschenbecher fanden, den wir auslecken konnten. Aber das nur am Rande.
Manche Frauen setzen nun diese letzten Raucher vor den Ferien aus oder lassen sie an Raststätten zurück, wo sie, von Touristen fotografiert, ein Dasein führen müssen wie die letzten Ureinwohner Neuguineas.
   Ich vermisse die kleinen possierlichen Kerle mit den gelben Fingerchen. Diese qualmenden Drachen mit den gelben Zähnchen, die früher jeden Balkon verschmutzten und ihre Zigarettenkippen in den unbewohnten Vogelhäusern ausdrückten, bis auch dort ein Schild angebracht war: Bitte nicht rauchen.
   Man vergißt sehr oft, daß Raucher oft auch nicht rauchen, hingegen Nichtraucher niemals rauchen. Das zum Austausch von Erfahrungswelten.
Einige Raucher schafften ein glanzvolles Comeback als stimmungsvoller Mittelpunkt einer Sechziger Jahre Retro-Party. Andere wurden hochbezahlte Indianer-Darsteller und rauchen zusammen mit Old Shatterhand und Winnetou trotz Bedenken des Gesundheitsamtes die Friedenspfeife.
   Ich habe jetzt mein Raucheretui in einen Q-Tips Ohrensäuberer-Halter umgestaltet. Ich stehe nun oft auf dem Balkon und biete Q-Tips an, um die Geselligkeit zu fördern.
   Manchmal glaubt ein letzter Raucher, noch einen letzten Artgenossen anzutreffen, und er macht sich schon auf, ihn um eine Zigarette anzuschnorren, dann war dies Lichtzeichen der Hoffnung doch nur ein Glühwürmchen, welches sich in die raucherfreie Welt der Menschen verirrt hatte.
Raucher rauchen: Weil wir Qualm wie Luft einhauchen.
Raucher rauchen: Und dabei wie Tiger fauchen.
Raucher rauchen: Weil wir Glück und Liebe brauchen.
Raucher rauchen: Ja, das Leben kann so schlauchen.
Raucher rauchen.
 
 
Erwin Grosche