Hans Bellmer und Unica Zürn

Ausstellungen im Kleist-Museum Frankfurt/Oder und in der Berliner Galerie Brusberg

von Jörg Aufenanger

Foto © Kleist-Museum

Hans Bellmer und Unica Zürn


Warum kann man, muß man fragen, ist der deutsche Künstler Hans Bellmer in Deutschland kaum bekannt, während er in Frankreich verehrt wird, seine Zeichnungen, Graphiken, Photos begehrt sind, er eine Gemeinde besitzt, ihm vor zwei Jahren im Pariser Centre Pompidou eine große Ausstellung gewidmet wurde?


Zwei Gründe mag es geben.

Zum einen hat Bellmer Deutschland freiwillig den Rücken gekehrt, hat sich 1933 jeglicher Kollaboration mit Staat und Gesellschaft versagt, „Als“, wie er sagt „Verweigerung gegenüber dem deutschen Faschismus und der Aussicht des Krieges: Einstellung jeglicher gesellschaftlich nützlicher Tätigkeit.“ 1938 läßt er sich endgültig in Paris nieder und wird dort spätestens in den 60er Jahren ein berühmter Künstler, ein französischer Künstler, teilt so das Schicksal nicht weniger Emigranten, in seinem Heimatland nicht oder zu spät wahrgenommen, ja mißachtet zu werden.
Der andere Grund liegt in seinem künstlerischen Schaffen selbst, das vor allem in Deutschland als schockierend, ja pervers empfunden wurde, da er das dunkle Begehren des Menschen, seine geheimsten Wünsche ins Bild gesetzt hat. Davon wollte man im Deutschland der nationalsozialistischen Jahre aber auch danach in den Aufbaujahren nichts wissen und das im Land, das in zwölf Jahren seiner Geschichte jegliches Ethos eines menschlichen Zusammenlebens in Grausamkeit pervertiert hat.

Erst in den 80er Jahren machte eine Schau im Museum Bochum Bellmer auch in Deutschland bekannt. Nun zeigt das Kleist-Museum in Frankfurt/ Oder eine kleine Ausstellung mit Stichen zu Kleist Schrift „Über das Marionettentheater“. Bellmer besitzt in Heinrich von Kleist einen Geistesverwandten in der Stadt an der Oder, bewunderten doch beide die Anmut der Marionetten, der so überaus beweglichen, schwebenden Geschöpfe.

"Es ist ein Mädchen! - Wo sind ihre Augen? - Es ist ein Mädchen! – Wo sind ihre Brüste? – Es ist ein Mädchen! - Was sagt sie? – Es ist ein Mädchen! – Womit spielt sie? Es ist ein Mädchen – es ist ein Wunsch!"

Dieses Gedicht des französischen Dichters Paul Éluard begleitet das Photo einer Puppenkonstruktion des Hans Bellmer, erschienen in dem Buch „Die Spiele der Puppen“. Diese zeigt Teile eines Mädchen-Körpers, scheinbar willkürlich zusammengestellt, Beine übereinander gestapelt, ein Gesäß, vier Füße in Söckchen und Lackschuhen, aber nur scheinbar willkürlich, denn der Wunsch Bellmers nach einem Mädchen hat hier Regie bei der Konstruktion der Puppe geführt. Die innere Welt des Hans Bellmer ist von Kindheit und früher Jugend an bevölkert von Mädchen, und Mädchen als Puppen. Die äußere Welt hingegen wird von Mädchen und Frauen bewohnt, die sein Wunsch zu einer Puppe machen will. Und das Ich ? Schaut er dabei nicht auch in einen Spiegel und sieht sich ebenfalls als Mädchen, als Frau oder als zweigeschlechtliches Wesen und wird dann wunschlos glücklich?

Eine der schönsten Zeichnungen Bellmers ist zur Zeit in der Berliner Galerie Brusberg zu sehen. „La Dehabilleuse“. Auf ihr sehen wir einen Mädchenkopf, der auch einer Muse gehören könnte, schräg hinter einer Figur, deren zwei Brüste durch ihre Hände von zartem Stoff befreit werden. Doch schauen wir in das Gesicht dieses vermeintlich weiblichen Wesens, so entdecken wir das eines Mannes und meinen Hans Bellmer selbst zu erkennen. In der äußeren Welt des Hans Bellmer tauchen zuweilen auch Männer auf, doch diese sind keine Wunschgebilde, sind vor allem Künstlerfreunde wie etwa Max Ernst, Man Ray, Andrè Bréton, Tristan Tzara oder Georges Bataille. Der einzige Mann, den er begehrt, ist er selbst und wenn’s der Wunsch ist, als Mädchenfrau.

1902 in Kattowitz geboren, wächst er dort mit einem überaus strengen protestantischen Vater und einer milden Mutter auf, zieht in seine Kinderspiele nicht andere Jungen sondern Mädchen hinein, vor allem seine Cousine Ursula, die er liebt, mit der er Puppen- und andere Spiele spielt, mit der er auch Jahre später noch den Inzestwunsch umgehen, umspielen  kann, ist sie doch nicht Schwester sondern als Cousine nur eine mögliche Schwester, denn eine wirkliche hat er nicht.
Den Vater haßt er. „Er hatte das schwere Fett des toten Herzens“ wird er über ihn schreiben. Und so provoziert Hans Bellmer ihn, schminkt sich als Mädchen. Eines Tages, als beide mit dem Zug nach Berlin fahren, wo er auf Wunsch des Vaters Mathematik studieren soll, geht er als Junge zur Toilette und kommt als Mädchen geschminkt und gekleidet in das Abteil zurück, um dem Vater zu beschämen und sich selbst seiner Existenz zuzuführen.

Der 21 jährige Hans Bellmer lebt nun in Berlin, studiert aber kaum, gerät in den Umkreis des Malik Verlags von George Grosz und Wieland Herz- felde, entwirft als Gebrauchsgrafiker Werbung für AEG-Kühlschränke, reist erstmals nach Paris, entdeckt dort die Werke der Surrealisten, die de Chiricos aber auch die Bilder des Erotikkünstlers Jules Pascin und kommt zurück nach Berlin als ein anderer. Er will Maler werden. In seinem Wohn-Atelier malt vor allem Portraits von Mädchen. Ein Photo aus jenen Tagen zeigt: Ein bezopftes Mädchen sitzt ihm Modell, er hat es seinen Wünschen nach portraitiert, Ähnlichkeit zeigt sich im Bild auf der Staffelei kaum,  an den Wänden hängen mehrere Mädchenportraits neben- und untereinander.
Er heiratet Margarete Schell, weil er, wie er später schreiben wird, „Das Unglück diese Mädchens nicht ertragen konnte.“ Zugleich wächst die Zuneigung zu seiner Cousine Ursula. Sie wohnt in einem Nachbarhaus.

Er malt Bilder, die Mädchen nicht realistisch, sondern durch seinen Wunsch verfremdet abbilden,


© Kleist-Museum
indem er Kopf und Gliedmaßen erotisierend mechanisiert, zerstückelt in einzelne Glieder wie die einer auseinandergenommen Puppe. Er ist auf seiner künstlerischen Bahn angelangt. 1933. Doch der weitere Weg wird ihm in Deutschland verbaut. Er bricht ja nicht nur vehement mit der Gesellschaft, indem er keine nützliche Tätigkeit verüben will, er befreit sich in diesem Moment, in dem er nach seinen Wünschen ein künstliches Mädchen baut, 1,40 m groß. Die Puppe. Ein Gerippe aus Holz- und Metallstäben mit Leim überzogen, mit einem Kugelgelenksystem für den Unterkörper, um kindliche Posen zu erzielen. In das Innere des Bauches baut er ein Panorama ein, in dem in sechs Kästchen Zierat aus Mädchenkinderzeiten durch den Nabel zu sehen ist, eine Art Wunderkammer im Mädchenkörper. Diese Puppe fotografiert er in unzähligen Posen, hat ihr Haare angeklebt, kleidet sie mit Schleifen, setzt sie auf Stühle, legt sie ins Bett, stellt sie in die Küche, auf Treppen, in den Wald an einen Baum. Die Photos veröffentlicht er mit einer Schrift zur Puppe auf eigene Kosten in einem Buch auf rosafarbenem Papier.

Paris entdeckt Bellmer. Die Surrealistenzeitschrift „Minotaure“ druckt die Puppenfotos ab. Cousine Ursula, die inzwischen an der Sorbonne studiert, hat sie unter den Surrealisten in Umlauf gebracht. Die sind begeistert, sehen sie doch ihre eigenen Träume darin bebildert. „La Beautè sera convulsive“, hat André Breton prophezeit. Hier ist sie es schon. 
1935 fährt Bellmer für einige Wochen nach Paris, lernt die Männergruppe der Surrealisten um André Bréton kennen. Doch als er nach Berlin zurückkehrt, fühlt er sich isolierter als je zuvor, denn was soll er mit seiner Kunst im Nazideutschland. Er wartet auf Briefe aus Paris. Und: André Bréton lockt ihn dorthin, schreibt: „Sie sind der große Auslieferer des Geheimnisses.“ Paul Eluard verfaßt Gedichte zu den Puppenbildern.

Anfang 1938 stirbt Bellmers Frau. Was soll ihn nun noch in Deutschland halten? Er verläßt es, läßt sich in Paris nieder, lebt in mitten der Surrealisten, nimmt an ihren berühmten von Bréton autoritär


© Kleist-Museum
geleiteten Sessions an der Place Blanche teil. Alle sind sie dort versammelt, vor allem Dali, Duchamp, Man Ray, Eluard, der ihm Picasso vorstellt, der sich ebenfalls begeistert von Bellmers Puppen zeigt. Was für eine Welt! Was für ein Leben! Nach der düsteren Zeit in Berlin!
Doch Frauen und Mädchen sind rar in dieser surrealen sich so wichtig nehmenden Männerwelt, nur die Malerin Leonor Fini und das Man Ray Modell und Schöpferin von pelzbesetzten Tassen Mereth Oppenheim sind dabei, indes nur am Rande.

Bald scheint es, der Traum ein anerkannter Künstler zu werden, wird Wirklichkeit, kann Bellmer doch seine Werke ausstellen und Bücher erscheinen mit seinen Zeichnungen. Doch da holt ihn sein Vaterland ein, denn es hat seinem neuen Heimatland Frankreich den Krieg erklärt. Und wie alle Deutschen, egal ob Nazigegner oder nicht, wird auch Bellmer als „feindlicher Staatangehöriger“, interniert. In Les Milles bei Aix en Provence. Wieder ist der Weg versperrt. In Les Milles trifft er auf andere deutsche Künstler, wie Max Ernst, mit dem zusammen er « Creatures de l’imagination“ zeichnet. Und er lernt im Lager Wolfgang Schulze kennen, der sich Wols nennt, einen Maler und Fotografen, der wie er mit Puppen experimentiert hat, aber den Weg ihrer Auflösung in Phantasmen weitergeht.

Als Bellmer aus dem Lager entlassen wird, soll er seinen deutschen Pass zerrissen haben, um endgültig jede Brücke zur alten Heimat niederzureißen. Er versteckt sich in Südfrankreich und arbeitet der Resistance zu, indem er mit dem Geschick eines Zeichners Stempel für gefälschte Papiere herstellt.
Nach der Liberation läßt er sich in Carcassonne nieder, trifft auf einen Seelenverwandten, den Dichter Joe Bousquet. Der in seinem Bett seit jeher von Puppen träumt. Er ist kriegsverletzt, gelähmt, kann das Bett nicht verlassen, nimmt Opium, nicht allein um die Schmerzen zu ertragen, sondern um sich in eine zweite Welt hineinträumen zu können. Bousquet ist wohl der einzige wirkliche Freund des Homme à Femmes Bellmer in seinem Leben. In beider Doppelphantasien tritt ein Wesen in den Blick, das sowohl Junge als auch Mädchen ist, der Hermaphrodit, der die Bindung an ein Geschlecht auflöst. Bellmer notiert daraufhin: „Das männliche und das Weibliche werden zu vertauschbaren Bildern: Das ein und das andere streben zu einer Verschmelzung im Hermaphroditen.“  Im Winter 1945 illustriert Bellmer das Buch eines weiteren Weggefährten, Georges Bataille. „Die Geschichte des Auges.“ Und da des Auges Blick, wenn auch zumeist verborgen, die Bisexualität in sich trägt, zeichnet Bellmer ein Mädchen, dem zwischen den Beinen ein Phallus wächst, woraufhin dessen Blick völlig überrascht auf sein zweites Geschlecht fällt.

Ebenfalls in Carcasonne trifft er auf die Dichterin Nora Mitrani. Sie schreibt über ihn, Bellmer erobere seine Kindheit immer wieder zurück, und zwar „durch das Bild der Frau, dieser beunruhigenden und steten Projektion seines eigenen Narzissmus“. Er macht obszöne Photos von ihr, sie hingegen führt ihn in die Kunst des Anagramms ein, jene Form eines Gedichts, das aus dem Buchstabenmaterial eines einzigen Satzes geformt wird. Das Anagramm begleitet von nun an den Dichter Bellmer im Künstler Bellmer, denn es ist Spiel, ist erotisierte Duo-Dichtung, denn es entsteht am besten im freien Spiel zwischen Mann und Frau, nun eben mit Nora Mitrani, zehn Jahre später mit einer anderen Frau.

1949 kehrt Bellmer nach Paris zurück, mietet sich im „Hotel de l’Esperance“ ein, in der rue Mouffetard am Rande des Quartier Latin, wird dort sechzehn Jahre lang leben.
Heute ist diese Straße eine einzige Freßmeile und hat ihren morbiden Charme und das autochtone Leben völlig verloren. Am Eingang der Straße lag bis in die 80er Jahre hinein ein Zentrum des Pariser Bohèmelebens. „Bois et charbons“, eine Holz- und Kohlenhandlung also, in der es aber auch einen Tresen und einige Stühle gab, an Tische erinnere ich mich nicht. Hier traf man sich vom späten Nachmittag bis in die Nacht hinein. Jeder kam mal hier vorbei. Das  Panoptikum von „Bois et charbons“ hat Bellmer in einer Prosaskizze eingefangen, die den Titel trägt: „Sackgasse der Hoffnung 88“, und die sich wiederum auf das „Hotel de l’Esperance“ bezieht, das in der Nummer 88 der rue Mouffetard liegt.

Doch so idyllisch das Bohèmeleben erscheinen mag, es ist bitter gewesen, denn Bellmer lebt in Armut, seine Bilder verkaufen sich kaum und die Bücher, die er illustriert, ebenso. Da organisiert der Kunsthändler Rudolf Springer eine erste Ausstellung seines Werks in Berlin. Nach 15 Jahren betritt Bellmer erstmals wieder deutschen Boden. Sein Leben erreicht völlig überraschend einen Wendepunkt, wenn nicht gar seinen Zielpunkt. Er lernt bei der Vernissage eine Frau kennen. Die Frau. Als er sie sieht, soll er gesagt haben: „Da ist die Puppe.“ Unica Zürn. Die Einzige. Er nimmt sie mit nach Paris ins „Hotel de l’Esperance“. Auch eine Heimkehr? In die Kindheit ? In die deutsche Sprache?
Er animiert die 37 jährige Frau. Zu Anagrammen. Und stellt fest: Es ist ihre Kunst. Ureigen. Sie ist eine Meisterin des Spiels mit Worten:

Achtundachtzig rue Mouffetard


© Kleist-Museum

Der Mond taucht auf, ich zage, ruft
Die Frau. Ach, magre Notzucht, Duft
Der achtzig Affen. O Traum, du Tuch,
Geruch am Du, Tod traf zu tief nach
Achtundachtzig rue Mouffetard

Er zeichnet sie in diesem Jahr 1953. Kopf, Augen, Mund, Haare. Alles ist Ebenbild jener Puppe, die er 1934 konstruiert hat.
Trotz der ärmlichen Verhältnisse in denen sie leben, beginnt nun für beide eine durch künstlerische Arbeit ausgefüllte Zeit im „Hotel de l’Esperance“, auf den wenigen Quadratmetern des Zimmers 42, indem es von Bilder an den Wänden und Puppen, die von der Decke hängen wimmelt. Zwischen ihnen sitzt nun die Frau, die für Bellmer die Fleisch gewordene Puppe ist. Er fotografiert und zeichnet sie. Sie dichtet.
Ich habe das „Hotel de l’Esperance“ Anfang der 70er Jahre besucht, dieses Domizil vieler „artistes maudits“, die wie in Paris damals üblich ein Zimmer für den Monat mieteten, dann aber für immer weitere Monate, so daß es irgendwann zu ihrem fixen Domizil wurde. Direkt neben dem Eingang wachte der Patron, Monsieur Blot, über Kommen und Gehen, enge Wandelstiegen führten hinan, beengte Zimmer, mit einem kleinen Waschbecken und einem Gaskocher, einige Zimmer in einem Hinterhaus mit Blick in einen Hof. Da lag das Zimmer Bellmers und der Zürn. Die Zimmertüren waren zumeist nicht verschließbar, sie wurden mit einem Strick um die Klinke und einen Haken befestigt. Die Beleuchtung funktionierte nur, wenn Monsieur Blot die Sicherungen einschaltete und das geschah nur abends, weil sonst zu viel Strom verbraucht werde. Meinte er.

Man kann sich vorstellen, daß das Leben in diesem Hotel nicht einfach war für den nicht einfachen Hans Bellmer und Unica Zürn, die schon einige Nervenkrisen hinter sich hatte. Und so streiten sie, trennen sich, kommen wieder zueinander. Geraten in Abhängigkeit zu und voneinander.
Da wagt Bellmer ein Experiment. Er verschnürt seine Lebensgefährtin, nackt, wie zu einem Paket, fotografiert sie. Für mich seine einzigen abstoßenden Bilder. Hatte er doch keine Puppe vor sich, tat aber so, als wäre sie, Unica,  eine Puppe, die zu mechanisieren wäre. In ihrem Journal schreibt Unica Zürn über ihn und sich in der dritten unpersönlichen Person: „Bellmer und sie, seit 1953 Kameraden im Elend, eine große Freundschaft...mit Schrecken für sie.“

Ruth Henry schrieb dazu in ihrem Erinnerungsbuch : „Zwei Wege, die jeder auf seine Weise am Abgrund entlang führten.“ Zu Ruth Henry, der deutschen in Paris lebenden Freundin, flüchtete Unica Zürn häufig in ihr Haus am Montparnasse. Sie war die Frau eines Künstlers aus dem Umkreis der Surrealisten, Maurice Henry, den Bellmer seit langem kannte. Er gehörte einer Abspaltung der Surrealisten an, akzeptierte nicht den Diktator André Bréton. Die Gruppe nannte sich „Die Simplisten“ und diese experimentierten mit Äther und anderen Rauschmitteln, um durch sie in die Nähe des Todes zu gelangen und um nach dem Rausch zu zeichnen oder aufzuschreiben, was sie erlebt hatten.

Die frühen sechziger Jahre machen Bellmer in der Kunstwelt endgültig bekannt, vor allem in Paris mit zahlreichen Ausstellungen und gar in London und New York.              
1965 haben Unica Zürn und Hans Bellmer die rue Mouffetard verlassen, eine moderne, komfortable, aber sterile Wohnung nahe der Place de la Nation bezogen. Sie schreibt den Roman “Der Mann im Jasmin“, den Ruth Henry ins Französische übersetzt. Er fertigt 1969 Zeichnungen zu Kleists „Marionettentheater“ an. Es ist sein letztes Buch. Ein Jahr zuvor hat Bellmer eine Tänzerin gezeichnet, als wäre es ein Vorspiel zu den Marionetten, wie im Aufsatz von Kleist, der ja einen Tänzer bedauern läßt, daß er nicht die Anmut der Marionetten besitze.

Wenige Monaten nach den Zeichnungen zu Kleist erleidet Bellmer einen Schlaganfall, ist halbseitig gelähmt. Eine gewisse Unfähigkeit zu leben hatte er vierzig Jahre lang mit den Mitteln der Kunst negieren können. Die Lähmung des Körpers macht dieser Möglichkeit ein Ende. Obwohl er auf Hilfe angewiesen ist, kann er Gegenwart Unica Zürns nicht mehr ertragen. Er will sich von ihr endgültig trennen. Im Oktober 1970 springt sie von der Terrasse des Hauses in den Tod. „Der Tod ist die Sehnsucht meines Lebens“ hatte sie in einem Gedicht geschrieben.


Hans Bellmer - Foto © Kleist-Museum

Ruth Henry, die im letzten Herbst überraschend gestorben ist, hat ihr, der Dichterin und Zeichnerin mit dem Büchlein“ Die Einzige –Begegnung mit Unica Zürn“ ein bewegendes Denkmal gesetzt, das sie auch aus dem Schatten des Hans Bellmer, in dem sie gelebt,  gedichtet, aber auch verkümmert ist, herausholt.


Ausstellung:
Hans Bellmers Radierungen zu Kleists Aufsatz „Über das Marionettentheater“
Bis 24. März  im Kleist-Museum -
Faberstraße 7,  D-15230 Frankfurt (Oder)
www.kleist-museum.de
, 03.02., 11 Uhr, Eintritt 2,- € / ermäßigt 1,50 €
täglich außer montags 10 – 17 Uhr,
Eintritt 3,- € / ermäßigt 2,- €


Bellmer “La deshabilleuse“
bis 29.3
Zu sehen in der Galerie Brusberg  Kurfürstendamm 213, Berlin

Ruth Henry: Die Einzige – Begegnung mit Unica Zürn
Edition Nautilus Hamburg


© Jörg Aufenanger - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2008