„Mon cher Rodin“

Rodin und Degas - Wucht und Eleganz in ästhetischer Vollendung

von Frank Becker

Camille Claudel Rodin, 1888 - Foto © Frank Becker
„Mon cher Rodin“
 
Rodin und Degas
Wucht und Eleganz in ästhetischer Vollendung
 
Rodin war einsam vor seinem Ruhme. Und der Ruhm, der kam, hat ihn vielleicht noch einsamer gemacht. Denn Ruhm ist schließlich nur der Inbegriff aller Mißverständnisse, die sich um einen neuen Namen sammeln.
Es sind ihrer sehr viele um Rodin, und es wäre eine lange und mühsame Aufgabe, sie aufzuklären. Es ist auch nicht nötig; sie stehen um den Namen, nicht um das Werk, das weit über dieses Namens Klang und Rand hinausgewachsen und namenlos geworden ist, wie eine Ebene namenlos ist, oder ein Meer, das nur auf der Karte einen Namen hat, in den Büchern und bei den Menschen, in Wirklichkeit aber nur Weite ist, Bewegung und Tiefe.
Dieses Werk, von dem hier zu reden ist, ist gewachsen seit Jahren und wächst an jedem Tage wie ein Wald und verliert keine Stunde. Man geht unter seinen tausend Dingen umher, überwältigt von der Fülle der Funde und Erfindungen, die es umfaßt, und man sieht sich unwillkürlich nach den zwei Händen um, aus denen diese Welt erwachsen ist. Man erinnert sich, wie klein Menschenhände sind, wie bald sie müde werden und wie wenig Zeit ihnen gegeben ist, sich zu regen. Und man verlangt die Hände zu sehen, die gelebt haben wie hundert Hände, wie ein Volk von Händen, das vor Sonnenaufgang sich erhob zum weiten Wege dieses Werkes. Man fragt nach dem, der diese Hände beherrscht. Wer ist dieser Mann?“
(Rainer Maria Rilke 1903)



Edgar Degas, Aktstudie um 1860  - Foto © Frank Becker
 
Wer Auguste Rodin war, wer sein Zeitgenosse Edgar Degas und was die beiden Genies, ich vermeide das Absolutum „Giganten“, möglicherweise miteinander verband – das versucht eine von Dr. Gerhard Finck kuratierte Ausstellung des Wuppertaler Von der Heydt-Museums zu ergründen. Jeweils rund 100 (!) Kunstwerke von Degas und Rodin hat der Direktor des Museums, das auch eigene Bestände beider Künstler hat, für den Vergleich aus aller Welt zusammentragen können. Diese beiden maßgeblichen Männer des französischen Impressionismus, der Maler Degas (1834-1917) und der Bildhauer Rodin (1840-1917) stehen für eine der kreativsten Epochen der Bildenden Kunst der Neuzeit. 77 Jahre lang lebten und wirkten sie nebeneinander in Paris, in der gleichen gesellschaftlichen und künstlerischen Umgebung - und doch bleibt nebulös, ob und wie sie miteinander in regelmäßigem Kontakt standen, ob sie sich aneinander maßen oder ausrichteten und was sie letztlich von einander hielten. Daß eine Verbindung bestand belegt ein einziger erhalten gebliebener undatieter Brief, dessen Anrede „Mon cher Rodin“ und dessen Gruß „Amitié“ allerdings auf ein vertrautes Verhältnis schließen lassen könnte.

 
Edgar Degas, Pferde-Studien 1881 - Foto © Frank Becker
 
Beide hatten nachgewiesenermaßen großes Interesse am Thema „Pferde“ und an Studien zu Tänzerinnen. Degas´ Wachsskulptur einer 14jährigen Tänzerin mit echtem Tutu, bemalten Lippen und Stoffschleife im modelliertem Haar sorgte 1881 für einen Skandal beim impressionistischen Salon, die sie in etlichen Varianten malten und modellierten. Eine erlesene Auswahl von Posthum gegossenen Studien Degas´ steht einer Serie von Tanzpositionen Rodins unmittelbar gegenüber. Obwohl ebenfalls ein begnadeter Bildhauer, zeigte Degas nach dem Skandal in der Öffentlichkeit keine Skulpturen mehr. Im Nachlaß fanden sich etliche unveröffentlichte Studien, die überlebt hatten.
Der weiblichen Akt, hier insbesondere das Bad als intimstes Beispiel der Nacktheit, der/das in der Wuppertaler Ausstellung ebenfalls prominent vertreten ist, einte sicher nicht nur Rodin und Degas – er war Thema aller Impressionisten, von denen übrigens eine delikate Auswahl von 22 Bildern in einem kleinen Kabinett, quasi zur Demonstration des künstlerischen Umfeldes, gezeigt wird. Auch ist bekannt, daß sich beide Künstler sehr für die aufkommende Fotografie interessierten, was aber seit Barbizon sicher viele Impressionisten taten. Degas besaß selbst einen Fotoapparat, und Rodin kaufte nachweislich Bewegungsstudien des Fotografen Eadweard Muybridge.
Apropos Skandal: Auch Rodin hatte seinen, als er 1864 mit seiner Maske „Der Mann mit der gebrochenen Nase“ vom Pariser Salon abgewiesen wurde. Der heute zu seinen berühmtesten Werken zählende Kopf war fraglos eine Reverenz an den von ihm verehrten Michelangelo Buonarotti, nicht er- und nicht anerkannt von der damaligen etablierten Kunstwelt. Nun zu sehen in Wuppertal.

 
 Auguste Rodin „Der Mann mit der gebrochenen Nase“, 1864 - Foto © Frank Becker
 
Warum nun diese Ausstellung in Wuppertal? Zum einen hat Gerhard Finckh mit seiner konsequenten und sensationellen Aufarbeitung des Impressionismus durch Ausstellungen zu Barbizon, Claude Monet, Auguste Renoir, Alfred Sisley, Pierre Bonnard und Camille Pissarro quasi den Grundstein für eine solche Präsentation gelegt. In einem Jahr wird die aufsehenerregende Reihe übrigens mit einer Ausstellung zu Edouard Manet fortgesetzt. Zum anderen hielt der Stifter und Namensgeber des Wuppertaler Museums Degas für den wichtigsten Impressionisten, schenkte dem Museum mehr als zehn Werke Degas´, und der Elberfelder Bankier und Kunstsammler August Robert Wichelhaus nahm 1900 über Rodins Sekretär Rainer Maria Rilke Kontakt zu Rodin auf, um ihn zu besuchen und für die Stadt Elberfeld ein Werk zu erwerben – es wurde „Der schreitende Mann“, der jetzt auch im großen Saal der Ausstellung zu sehen ist. Dort begegnen wir einigen der schönsten, kraftvollsten und seelenvollsten Skulpturen aus Rodins Schaffen: da ist „Johannes der Täufer“, der in Weiterentwicklung als Torso zu dem erwähnten „Schreitenden Mann“ wurde, wir sehen ein Modell des kraftvollen „Denkers“, dessen ureigene Wirkung durch ein Jahrhundert von Parodien, Persiflagen und Karikaturen zwar fast zum Kisch verkommen ist, in der unmittelbaren Konfrontation aber doch noch seine Wucht spüren läßt.


Rodin, Der Denker, 1880 - Foto © Frank Becker

Rodin/Carl Barks, Der Denker © Disney - Foto © Frank Becker























Der zarte „Kuß“, ebenfalls unendlich kolportiert, steht neben dem zeitlosen Ensemble „Der ewige Frühling“, dessen Hingabe ergreift. Auf ganz andere Weise packt den Betrachter das Modell der „Bürger von Calais“ von 1884, dessen ganze Dramatik auch in ausgestellten Einzelstücken fühlbar wird. Rodin entfernt sich damit bewußt vom glatten antiken Ideal wie bei Bertel Thorvaldsen, indem er Verzweiflung und Aufgebung zuläßt.  
Diese einzigartige und erste kombinierte Präsentation ihrer Art zu durchwandern, ist ein Bad in Wucht und Schönheit, Kraft und Eleganz in ästhetischer Vollendung.

Zu der eindrucksvollen Ausstellung ist mit Unterstützung der Jackstädt-Stiftung zum Preis von nur 25,- € (!) ein opulenter Katalog erschienen:
„Degas & Rodin - Wettlauf der Giganten zur Moderne“ (Hrsg. Dr. Gerhard Finckh)
© 2016 Von der Heydt-Museum Wuppertal in Zusammenarbeit mit dem Musée Rodin, Paris - 432 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, 24,5 x 30,5 cm, rund 500 Illustrationen und mit Text-Beiträgen von  Dr. Marlene Baum, Cyrielle Durox, Dr. Alexander Eiling,
Dr. Gerhard Finckh, Dr. Lukas Gloor, Dr. Nicole Hartje-Grave, Dr. Stefan Lüddemann, Aline Magnien, Dr. Anne Mitzen, Anne Pingeot, Dr. Ulrich Pohlmann, Dr. Arist von Schlippe
Ein Film von Ralph Goertz wird als DVD zur Ausstellung für 17,50 € angeboten.



Auguste Rodin, Der ewige Frühling, 1898 - Foto © Frank Becker


Am kommenden Sonntag, dem 23. Oktober wird die Ausstellung um 16.00 Uhr mit einer Vernissage in der Historischen Stadthalle Wuppertal eröffnet. Sie ist bis zum 26.2.2017 zu sehen.
 
Das Museum bietet ein hochinteressantes Begleitprogramm an:
Neue Vortragsreihe von Bergischer Universität und Von der Heydt-Museum
Am Dienstag, 25. Oktober startet pünktlich zur Ausstellung „Degas & Rodin – Wettlauf der Giganten zur Moderne“ im Von der Heydt-Museum Wuppertal, Turmhof 8, eine Vortragsreihe zur Kunst und Kultur des 19. Jahrhunderts in Kooperation mit der Bergischen Universität

Degas, Nach dem Bade, um 1891 - Foto © Frank Becker
(Philosophisches Seminar). Alle Vorträge finden jeweils dienstags um 18 Uhr im Von der Heydt-Museum statt. Den ersten Vortrag  hält Museumsdirektor Dr. Gerhard Finckh am kommenden Dienstag, 18 Uhr: „Die Ausstellung – eine Einführung“. Eintritt frei.
Hintergrund: In den Werken von Edgar Degas und Auguste Rodin zeigt sich, dass der Weg in die Moderne ein neues Spiel mit Form und Materie, Bewegung und Rhythmus, Natürlichkeit und Künstlichkeit, Raum und Zeit, Sichtbarem und Verstecktem eröffnet. Die sechs Vorträge werden die Impulse der ausgestellten Werke aufnehmen und in den Perspektiven der Kulturphilosophie und Ästhetik, der Literaturgeschichte und Romanistik sowie der Kunstgeschichte spiegeln. In den Vorträgen wird es um gemeinsame Reisen in die beeindruckende Kulturszene der Metropole Paris, der Hauptstadt des 19. Jahrhunderts (Walter Benjamin), gehen, die von der Malerei des Lichts und von impressionistischer Plastik geprägt war.
Alle Termine unter vdh.netgate1.net/Vortragsreihe
 
Dienstag, 25. Oktober, 18 Uhr
Dr. Gerhard Finckh, Von der Heydt-Museum
Die Ausstellung - eine Einführung
 
Dienstag, 8. November, 18 Uhr
Prof. Dr. Gerald Hartung, Wuppertal
Am Beispiel Rodins: Ästhetische und
kulturtheoretische Debatten um 1900
 
Dienstag, 22. November, 18 Uhr

Rodin, Suzon 1875 - Foto © Frank Becker

Prof. Dr. Ralf Konersmann, Kiel
Der bewegte Mensch
 
Dienstag, 6. Dezember, 18 Uhr
Prof. Dr. Karin Westerwelle, Münster
Charles Baudelaire. Ein moderner Dichter
in der Metropole Paris
 
Dienstag, 17. Januar, 18 Uhr
Prof. Dr. Hans Körner, Düsseldorf
Roher Stein und Bild
Die Materialität der Erinnerung im französischen Denkmal
des 19. und frühen 20. Jahrhunderts
 
Dienstag, 31. Januar, 18 Uhr
Prof. Dr. Claudia Blümle, Berlin
Der Vorhang fällt. Zum Halbversteckten in Edgar Degas‘ Werk
 
Von der Heydt-Museum
43103 Wuppertal – Turmhof 8 – Tel. 0202-563-6231
Öffnungszeiten: Di-So 11-18 Uhr, Do 11-20 Uhr
Montag geschlossen
 
Weitere Informationen, auch über die weiteren Ausstellungen: www.von-der-heydt-museum.de  -  www.degas-rodin-ausstellung.de