Die gestörte Versammlung

(Edward Gorey zum Gedächtnis)

von Joachim Klinger

Die gestörte Versammlung
(Edward Gorey zum Gedächtnis)


Die verkommene Socke,
die nicht zum Waschkorb kam,
die erblondete Locke
vom weichen Spalt der Scham,
die versilberte Tafelglocke
aus nutzlosem Nachlaßkram.


Sie alle waren versammelt
in stürmischer, finsterer Nacht.
Die Socke, schon ziemlich vergammelt,
hat hinterhältig gelacht.
Die Locke hat ängstlich gestammelt:
"Ich habe doch gar nichts gemacht."


Im Saal rief das Tafelglöckchen:
"Kommt her! Der Tisch ist gedeckt!"
Da raffte doch wer sein Röckchen
und hat mit Federn geneckt.
Da schlug auch wer mit dem Stöckchen
und hat das Tischtuch versteckt.


Im Schlafgemach aber des Grafen
lag auf dem Bett nur ein Hund.
Der konnte vor Schmerzen nicht schlafen,
so schlimm war sein Muskelschwund.
Die sich im Schloß heimlich trafen,
die hielten nun schüchtern den Mund.


Da hörte man strenge Schritte.
Nun nahte der Graf, dieser Schuft.
Einst aus seines Lebens Mitte
fuhr er hinab in die Gruft.
Und jede Nacht unerbittlich
spukt er im verdunkelten Schloss.
Ansonsten lebt es sich sittlich

vom Keller zum Dachgeschoß.


Joachim Klinger


Edward Gorey
phantastischer Autor und Zeichner
(22.2.1925 - 15.4.2000)