Nicht sehr überzeugend zusammengekrampft

„Sieben Sekunden Ewigkeit“ von Peter Turrini im Theater in der Josefstadt

von Renate Wagner


Wien / Theater in der Josefstadt:

Sieben Sekunden Ewigkeit
von Peter Turrini
Uraufführung

Premiere: 12. Jänner 2017 (besucht wurde die Generalprobe)
 
Großaufnahme vom Gesicht einer jungen, dunkelhaarigen Frau: Sie wendet den Kopf hin und her, einmal, zweimal, dreimal. Dann die Totale: Sie läuft durch einen Wald, man sieht sie aus der Ferne. Erst als sie sich am Ende hinkauert und dann aufrichtet, realisiert man eine Sekunde lang, daß sie wirklich ganz nackt ist. 7 Sekunden dauert die Sequenz, die man im Theater in der Josefstadt nun zahllose Male (gelegentlich auch im Rücklauf) sehen kann. „Sieben Sekunden Ewigkeit“ nennt Peter Turrini seinen von Genre her nicht näher bezeichneten Monolog der Hedy Lamarr. Ja, 1933 konnte man mit 7 Sekunden Nacktheit auf der Filmleinwand noch berühmt werden…
 
Die „schönste Frau der Welt“ war Hedwig Kiesler, damals keine 20, noch lange nicht: ein hübsches Gesicht, ein schlanker Körper mit kleinem Busen, keine Idee von den gewaltigen Formen, mit denen Sexbomben später prunkten. Hollywood hat sie allerdings geholt und „schön“ gemacht, bildschön sogar, ein rassiger Elizabeth Taylor-Typ lange vor dieser, nur eben gar keine Schauspielerin: Man kann sich noch so viele Lamarr-Filme ansehen – und sie machte von den dreißiger bis in die fünfziger Jahre mehr als zwei Dutzend – , immer steht man vor dem schönen, leeren, talentlosen Gesicht.
Dafür war sie nicht dumm: Als man 2014 die Artikel zu ihrem 100. Geburtstag schrieb, stand die Tatsache im Mittelpunkt, daß sie (zusammen mit Pianisten George Antheil, was Turrini verschweigt) „Frequency Hopping“ erfunden hatte, während des Zweiten Weltkriegs eine Grundlage zur Feindabwehr unter Wasser, später eine Voraussetzung für die Handy-Technologie. Das kluge Köpfchen hatte gut aufgepaßt, als sie ihre Nase in die Waffenfabrik ihres sehr miesen ersten Gatten steckte. Es folgten auf ihren Wiener Waffenhändler noch fünf Ehemänner, die mittelmäßige Hollywood-Karriere, der übliche tragische Abstieg mit Alkohol und Drogen, Ladendiebstahl und Polizeigewahrsam. Da gäbe es sehr viel zu erzählen für Peter Turrini.
 
Dieser aber wollte nicht die glatte Biographie der Lamarr auf die Bühne zu bringen, das wäre der Kritik vermutlich zu billig gewesen, die Vorwürfe vorprogrammiert. Die aufgeplusterte Kunstfigur, die er sich stattdessen ausgedacht hat und die nie zu wirklichem Leben erwacht, ist allerdings wahrlich keine überzeugende Alternative.
Das arme versoffene Menschenkind der späten Jahre, das tragische Frauenwrack, das sie im hohen Alter zweifellos war – so schickt Turrini sie hinaus, wegen Trunkenheit am Steuer von einem (nicht auftauchenden) Polizisten aufgegriffen und zu sich heimgenommen, wofür er sich Teile ihrer Lebensgeschichte anhören muß. Eineinhalb pausenlose Stunden lang. Der Mann ist nicht zu beneiden, und das Publikum der Josefstadt, die eigentlichen Zuhörer, auch nicht.
 
Die Hauptdarstellerin muß den Großteil des Abends in einem Nacktheit vortäuschenden, fleischfarbenen Body absolvieren, dem auch noch ein paar Speckfalten eingearbeitet sind, die Haare unter einer Haube verborgen, auf die sich nur selten die schwarzhaarige Lockenperücke stülpt, am Körper nur selten ein Glitzerkleid. Grundsätzlich erleben wir eine abgehalfterte Frau, deren Schicksalsweg uns nicht wirklich klar wird, denn nur wenige der von Turrini bunt durcheinander gewählten Lebensstationen sind sonderlich signifikant. Die meisten zielen auf Judentum, auf Österreich-Kritik ab.
Am Ende dichtet Turrini Hedy Lamarr, die dergleichen nie erlebt hat, aus gänzlich unerfindlichen Gründen noch ein Kinderschicksal der Vertreibung aus Galizien (!) an, um ihren (angeblich realen) Wunsch, daß man ihre Asche im Wienerwald (Höhenstraße, Kilometerstein 21, wie Turrini weiß) verstreuen möge, quasi zu verorten. Damit wird ihr ein extremes jüdisches Schicksal auferlegt, das sie in diesem Sinne nie so getroffen hat – sie war schon in den USA, als die Nazis an die Herrschaft kamen, und sie lebte in Hollywood, einer Welt, wo es keinen Nachteil bedeutete, jüdisch zu sein. Abgesehen davon hat Hedwig eine sehr gepflegte Kindheit in Döbling verbracht… Und einen Teil ihrer Asche haben ihre beiden Kinder tatsächlich im Wienerwald verstreut, der andere Teil liegt (wie es sich gehört) in einem Ehrengrab auf dem Zentralfriedhof. Und eine Hedy-Lamarr-Gasse gibt es im antisemitischen Wien mittlerweile auch.
 
Ganz schlimm ist dann das Ende des Stücks, das der Autor wohl als Akt seiner persönlichen Gnade empfindet: Da öffnet sich eine Tür im Hintergrund, ein Mann in Chauffeursuniform mit einem Tablett und Wodkaflasche erwartet sie. Das ist noch nicht alles: Die Aufschrift auf der Chauffeursmütze identifiziert ihn als „Gott“. Gott Alkohol, die ultimative Seligkeit…
 
Regisseurin Stephanie Mohr stellt die einsame Protagonistin auf ein Podest vor einer Leinwand (Bühnenbild: Miriam Busch): Wenn hier nicht die 7 Sekunden „Ekstase“ laufen, ist es eine Autofahrt durch den Wienerwald, außerdem werden (um das Publikum nicht allzu sehr zu verwirren) die jeweiligen Stationen der Handlung auf der Leinwand aufgeschrieben. Um das Podest stehen Kleiderpuppen, die Kostüme reichen vom Dirndl bis zum Abendkleid, Pelze, Brillen, Perücken, was eine Diva so braucht (Kostüme: Alfred Mayerhofer). Die Hauptdarstellerin muß nicht alles anziehen, da hätte sie viel zu tun, im Gegenteil, nur selten reißt sie einer Puppe das Kleid herunter und schlüpft hinein.
 
Die meiste Zeit muß Sandra Cervik zeigen, daß sie vor allem uneitel ist, bereit, in die abgehalfterte, tragische Alte hineinzukriechen. Im übrigen hilft die Regisseurin dabei, daß die Theaterklischees, die in diesem Monolog abgefeiert werden, als Virtuosenstück herauskommen, das Auf- und Ab-Spielen von Emotionen, Aggressionen, himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt, oft im lallenden Ton der Betrunkenen, meist überdreht. Vordergründiger, oft unter der Gürtellinie angesiedelter Turrini’scher Theaterdonner. Er ist es schließlich seinem Ruf schuldig, ein „unbequemer Autor“ zu sein.
Wenn man die Biographie der Hedwig Kiesler alias Hedy Lamarr wirklich kennt, ein Leben, das so bunt und turbulent und natürlich auch tragisch war und das der Autor großteils verschmäht, muß man sagen, daß die echte Hedy Lamarr um einiges interessanter und spannender war als die Kunstfigur, die Turrini da nicht sehr überzeugend zusammengekrampft hat.
 
Renate Wagner

Eine Übernahme aus dem Online-Merker, Wien mit freundlicher Erlaubnis der Autorin