Aus Erwin Grosches Zettelkasten 1
1. DIE WINDPOSTKARTE: Es gibt eine Postkarte, mit der kann man sich Wind zufächeln.
Sie ist blau, man sieht einen Baum, der sich hin und her bewegt. Auf manchen Windpostkarten lächelt auch eine Frau, deren Haare im Winde flattern. Alles schreit nach Bewegung und Luft. Auf der anderen Seite liest man ein Gedicht: „Auch bei größter Hitze/ ich nicht zu sehr schwitze/ Eine Windpostkarte kühlt, dass man sich gleich besser fühlt/ Einfach hin und hergefächelt/ dass erfrischt, bis man nur lächelt.“ Nun ist der heißeste Sommer besser zu ertragen. Der Schweiß steht einem auf der Stirne, man fühlt sich schlapp, sehnt sich nach frischer Luft, da kommt einem die Windpostkarte gerade recht. Man nimmt sie in die Hand, wedelt sie auf und ab und kühler Wind streichelt einem das Gesicht. Nun spricht man das Windgedicht und der heißeste Sommer verliert seinen Schrecken.
2. Schütteln ist eine Sache für sich. Man schüttelt eine Hand und lässt sie nicht los. Schon gilt man als besitzergreifend. Man schüttelt einen Orangensaft vor dem Öffnen und stellt dann die Flasche unverrichteter Dinge in den Kühlschrank zurück. Alles wird in Bewegung gebracht und dann passiert doch nichts. So verwirrt der Vorgang des Kissen- und Bettenausschüttelns. Man wirft etwas fort und hält es trotzdem in der Hand fest. Man muss doch loslassen können. Es muss für ein Oberbett sonderbar sein die Fremde zu spüren und trotzdem wieder zu Hause zu landen. Bedenken wir, viele Oberbetten sind gefüllt mit Daunenfedern von Gans und Ente. Sie sind es gewohnt zu schweben. Ich habe schon Betten ausgeschüttelt, da habe ich bewusst nicht darüber nachgedacht. Ich weise etwas ab, um es dann doch nicht fortzulassen. Es erinnert mich an einen Hund, der einem Fahrradfahrer hinterherlaufen will, aber vergessen hat, dass er immer noch an einer Leine hängt. Es erinnert mich an eine Schlägerei, wo ich bereit war zu Boden zu gehen, aber dann der Angreifer sich doch nicht von mir lösen konnte, als wäre ich ihm inzwischen sympathisch geworden. Ich schüttele nicht gern mein Bett aus. Man wirft etwas fort und hält es trotzdem in der Hand fest. Ich gebe zu, ich habe schon größeren Unsinn ausgehalten, aber den Tag so zu beginnen ist grenzwertig. Ich benutze jetzt einen Rasierschaum, den ich trotz Aufforderung, vor dem Gebrauch nicht geschüttelt habe und rasiere mich trotzdem allmorgendlich. Danach schüttele ich mein Bett aus und denke nicht über das Leben nach. Manchmal schüttele ich danach mich, aber das ist wieder eine andere Sache.
3. Padermann trug Herrn Moritz über die Straße und beulte dessen zerbeulten Hut aus. „Mein Hut soll aber zerbeult sein“, beklagte sich Herr Moritz. „Außerdem haben sie mich diese Woche schon viermal gerettet und das, obwohl ich es nicht wollte.“ Padermann dachte nach. Schließlich fragte er: „Habe ich sie tatsächlich viermal aus dem brennenden Haus gerettet und dann wieder ihren Hut ausgebeult.“ Herr Moritz nickte. „Das erste Mal brannte das Haus noch wirklich, doch inzwischen retten sie mich auch aus dem brennenden Haus, wenn es gar nicht mehr brennt.“ Padermann gab Herrn Motz seinen ausgebeulten Hut zurück. „Mist“, sagte er dann, „dann stecke ich in einer Zeitschleife.“ „Meinen Hut haben sie aber schon ausgebeult, als sie noch wussten was sie taten“, sagte Herr Moritz erbost, schmiss seinen Hut auf die Erde und sprang auf ihm herum, als wäre er ein Trampolin.
4. „Eine gerundete Kugel des Wirbelns/ im Kreise sich freuend“, so zitierte Marc Aurel den Dichter Empedokles. Ich entdeckte diese Erdbeschreibung in einem Buchladen in Heidelberg, wo sie mich gleich ansprang wie ein Hund, der einen zu Hause begrüßt. So ein Satz wirkt in Heidelberg natürlich besonders, aber auch in Paderborn findet man Entsprechungen.
5. DIE WACKELTISCHPOSTKARTE: Wer kennt keinen Wackeltisch. Oft sitzt man an einem Wackeltisch in einem Restaurant, der hin und her wackelt und vielleicht nur deswegen frei war. Hier hilft die Wackeltischpostkarte. Man faltet diese Wackeltischpostkarte nach vorgegebener Anleitung und schiebt sie unter einen der vier Tischbeine. Schon hört das Wackeln auf und Ruhe kehrt ein am Tisch im Raum. Manche Frau bedankt sich bei dem Helden solcher Standfestigkeit mit einem Kuss, der alles zum Stehen bringt, was diese Welt oft so rastlos gemacht hat. Natürlich steht auf der Adressenseite der Karte ein passender Antiwackelspruch, mit dem man die Karte unter das Tischbein schieben sollte: „ Wenn der Tisch wie ein Schiff wackelt/ wird von mir nicht lang gefackelt/ klemm ich unter einem Bein/ lässt der Rest das Wackeln sein.“
© Erwin Grosche - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2007
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Erwin Grosche - Foto © Uwe Nölke
Erwin Grosche * 25.11.1955 in Anröchte.
Er lebt heute als Kabarettist, Schauspieler und Autor in Paderborn. Neben Kleinkunst- und Theaterproduktionen schreibt er Kinderbücher und dreht Filme. Er erhielt u.a. 1996 den „Prix Pantheon“,1999 den „Deutschen Kleinkunstpreis“, wurde im Jahre 2000 Kulturpreisträger der Stadt Paderborn und im Jahre 2004 von der Evangelischen Akademie Hofgeismar mit der „Silbernen Akademieze“ ausgezeichnet. Seit 2003 ist er Schirmherr von UNICEF PADERBORN. Er spült gerne und mäht den Rasen. Oft wäre er gerne weg, aber er geht nicht gern auf Reisen.
Werke (Auswahl): „Über das Abrichten von Grashüpfern“ (Kleinstadtgeschichten), „Vom großen G und kleinen Glück (Geschichten und Bühnentexte), „Alle Gabelstaplerfahrer stapeln hoch (Kriminalroman), „Der Schlafbewacher“ (Bilderbuch), „Warmduscherreport“, "Lob der Provinz", „Die Wirklichkeit und andere Übertreibungen“, „König bin ich gerne“, „Padermann, der Superheld“
Filme (Auswahl): „LiebesLeben“, „Die Bluthochzeit“, Tatort „Lastrumer Mischung“, „Jahrestage“, „Ich sing für die Verrückten...“, „Keiner liebt mich“, „Mutter der Braut“, „Blinde Leidenschaft“, „Wer der Welt den Atem nimmt“, „Hütchenzauber“
Rundfunk-Moderator (Auswahl WDR): „Bärenbude“, „Lilipuz“, „Unterhaltung am Wochenende“, „WDR-Liedernacht“
Weitere Informationen unter:
www.erwingrosche.de
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