Handwerk wird modern. Vom Herstellen am Bauhaus

Stiftung Bauhaus Dessau, bis 07.01.2018

von Rainer K. Wick

Walter Gropius, Werkstattflügel des Dessauer Bauhaus-Gebäudes - Foto © Rainer K. Wick

Handwerk wird modern.
Vom Herstellen am Bauhaus
 
Stiftung Bauhaus Dessau, bis 07.01.2018
 
Daß das Handwerk seit geraumer Zeit als Gegenpol gegen industrielle Produktionspraktiken und neue, auf Digitalisierung zielende Entwicklungstendenzen wie Industrie 4.0 eine gewisse Renaissance erlebt, läßt sich allenthalben beobachten. Claudia Perren, seit drei Jahren Direktorin der Stiftung Bauhaus Dessau, erwähnt in diesem Zusammenhang die schon länger aktive DIY-Szene, also die Do it yourself-Bewegung, die sogenannten FabLabs (Fabrication Laboratories), die Crafter- und Maker-Szene – alles das läßt sich nicht trennscharf auseinanderdividieren – wie auch die aufstrebende Textilkunst. Das ist die Folie, vor der nun in Dessau nach der Rolle des Handwerks am Bauhaus in den Jahren von 1925 bis 1932 gefragt wird.
 
Sieht man von Einzelaspekten ab, bietet die das „Herstellen am Bauhaus“ thematisierende Schau in den Räumen der einstigen Weberei des Dessauer Bauhaus-Gebäudes kaum Einsichten, die dem hohen Anspruch einer „Neubetrachtung“ (Perren) der Bauhaus-Geschichte gerecht würden. Die Ausstellung versucht mit dem Klischee aufzuräumen, daß mit dem Wechsel des Bauhauses von Weimar nach Dessau das Handwerk zugunsten einer dezidierten Umorientierung der Schule in Richtung auf die industrielle Sphäre dramatisch an Bedeutung verloren habe. Dagegen soll deutlich gemacht werden, daß dem Handwerk auch in Dessau eine prominente Rolle zukam– freilich einem gegenüber traditionellen Bestimmungen neu gefaßten Begriff und einer andersartig ausgestalteten Praxis von Handwerk. Das alles sind aber keine neuen Erkenntnisse, sondern bekannte Fakten, die in der Ausstellung allerdings durch zahlreiche Exponate unterschiedlichster Objektklassen gut belegt sind: Entwurfsskizzen, Unterrichtsaufzeichnungen, Materialproben, Fotografien, Möbel, Gefäße, Lampen, Textiles. Gezeigt werden auch Werkbänke,

Werkbank und Webstühle, im Hintergrund Webarbeiten von Gunta Stölzl (1928)
und Anni Albers (1927), Foto  ©  Thomas Meyer, OSTKREUZ
Werkzeuge und Gerätschaften aus der Holz-und Metallwerkstatt des Bauhauses sowie Webstühle aus der Bauhaus-Weberei, also Gegenstände, die den Fokus nicht auf die fertigen Produkte, sondern aufs Prozessuale, aufs Machen, richten. Das eindrucksvollste Dokument der Tatsache, daß dem Handwerk nicht nur in der Frühzeit des Bauhauses in Weimar, sondern auch in Dessau ein hoher Rang beigemessen wurde, findet sich aber nicht in der Ausstellung, sondern ist das Gehäuse selbst, das die Exponate beherbergt, sprich: der Werkstattflügel des von Gropius entworfenen Bauhaus-Gebäudes, jenes kühne, für die damalige Zeit geradezu revolutionäre, transparente und scheinbar schwebende Gebilde mit seinem die einzelnen Geschosse übergreifende Glasvorhang. Eine deutlichere architektonische Akzentuierung ist kaum denkbar, und daß die dort untergebrachten Werkstätten den Dreh- und Angelpunkt der Ausbildung am Dessauer Bauhaus bildeten, steht außer Frage. Leider kann die Ausstellung von der Offenheit und Transparenz dieser Inkunabel der Architekturmoderne nichts vermitteln, da der Raum angesichts der Empfindlichkeit mancher Exponate aus konservatorischen Gründen gegen Tageslicht abgeschirmt werden mußte, eine verständliche Maßnahme, die einmal mehr zeigt, daß das als moderne Kunstschule errichtete Bauhaus-Gebäude für museale Präsentationen kaum geeignet ist. Für Abhilfe soll demnächst das im Dessauer Stadtpark entstehende neue Bauhaus-Museum mit einer Nutzfläche von rund 3500 m2 sorgen, dessen Eröffnung 2019 aus Anlaß des Jubiläums „100 Jahre Bauhaus“ geplant ist.
Die im 19. Jahrhundert rapide fortschreitende Industrialisierung zog breite Diskussionen über die Rolle und den zukünftigen Stellenwert des Handwerks nach sich, die in unterschiedlichen Hinsichten – technisch, sozial, politisch – zu Kursänderungen und Neujustierungen führten. Kräften, die das traditionelle, zünftig organisierte Handwerk mit Zähnen und Klauen zu bewahren suchten, standen Karl Marx und andere Beobachter gegenüber, die die Ansicht vertraten, daß das Handwerk hoffnungslos dem Untergang geweiht und der Handwerker zur Proletarisierung verurteilt sei. Wiederum andere sahen in der Maschinenproduktion einen gravierenden Qualitätsverlust gegenüber dem handwerklich gefertigten Produkt und deuteten diese Entwicklung als Symptom eines kulturellen Niedergangs. Die englische Kunstgewerbliche Reformbewegung mit ihrer Galionsfigur William Morris suchte dem in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts durch eine Neubelebung des Handwerks ebenso entgegenzuwirken wie auf dem Festland etwa der 1907 gegründete Deutsche Werkbund, in dem noch kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs erbittert über das Verhältnis von Kunst, Handwerk und Industrie gestritten wurde. Im Frühjahr 1919 wurde in Weimar das Bauhaus gegründet, dessen Geschichte zugleich die Geschichte des Versuchs war, dieses Verhältnis unter den sich wandelnden gesellschaftlichen Randbedingungen der Weimarer Republik immer wieder neu zu kalibrieren.
 

Alfred Schaefter, Vierarmiger Leuchter, 1930, und schmiedeeiserner
Leuchter, 1929, Foto Thomas Meyer, OSTKREUZ
Am Anfang stand eine entschiedene Hinwendung zum Handwerk. So formulierte der Bauhaus-Gründer Walter Gropius im Bauhaus-Manifest von 1919: „Architekten, Bildhauer, Maler, wir alle müssen zum Handwerk zurück! Denn es gibt keine ‚Kunst von Beruf‘. Es gibt keinen Wesensunterschied zwischen dem Künstler und dem Handwerker. Der Künstler ist eine Steigerung des Handwerkers.“ Jeder Studierende, so Gropius, müsse neben seiner künstlerischen Ausbildung ein Handwerk erlernen. Doch es dauerte nicht lange, bis nicht mehr das (kunst-)handwerklich gefertigte Einzelstück im Fokus der handwerklichen Ausbildung am Bauhaus stand, sondern die Schaffung von Prototypen für die Serienproduktion, eine Zielsetzung, die Gropius 1923 auf die klassisch gewordene Formel „Kunst und Technik eine neue Einheit“ gebracht hat. Damit waren die Weichen in Richtung einer verstärkten Ausrichtung der Entwurfsarbeit auf eine Zusammenarbeit mit der Industrie gestellt, die dann vor allem nach dem Umzug des Bauhauses von Weimar nach Dessau im Jahr 1925 forciert wurde. In Dessau kam es zu einer durchgreifenden Reorganisation der Werkstätten, und zwar sowohl hinsichtlich ihres Zuschnitts als auch ihres Personals. Weitgehend aufgegeben wurde das konfliktträchtige duale Weimarer Leitungssystem der Werkstätten durch zwei Personen, einen Künstler (Formmeister) und einen Handwerker (Werkmeister). Nun lag die Leitung der Werkstätten in den meisten Fällen in den Händen eines Einzelnen, eines sogenannten Jungmeisters, der – am Bauhaus ausgebildet – über eine künstlerisch-handwerkliche Doppelqualifikation verfügte. Typisierung, Normierung, technische Reproduzierbarkeit, serielle Herstellung, Massenproduktion wurden für das Bauhaus zu handlungsbestimmenden Leitbegriffen, was zur Folge hatte, daß die Einzelkunstwerkproduktion stark beschnitten und auf die Sphäre der Privatateliers zurückverwiesen wurde.
 
Mit der Fokussierung der Entwurfsarbeit auf die industrielle Sphäre hatte das Handwerk am Bauhaus aber keineswegs ausgedient, wie zahlreiche Exponate der Dessauer Schau anschaulich zeigen. Regina Bittner, stellvertretende Direktorin der Stiftung Bauhaus Dessau und Co-Kuratorin der Ausstellung, charakterisiert die Werkstätten des Dessauer Bauhauses als „Transitraum [...] zwischen Fabrik und Handwerksbetrieb, zwischen Lehrwerkstätten der Kunstgewerbeschulen und Laboratorien für industrielle Prototypen.“ Die Ausstellung macht nicht nur diese komplexe Gemengelage deutlich, sondern führt auch die unterschiedlichen Geschwindigkeiten der einzelnen Werkstätten, mit denen sie sich zu modernen „Laboratorien für die Industrie“ entwickelten, vor Augen. Und sie deutet das Konfliktpotential an, das sich daraus ergab, daß das Bauhaus im Spannungsfeld zwischen einem zunehmend avancierten Begriff von Handwerk und einer traditionsverhafteten Praxis handwerklichen Tuns, wie sie von den Handwerksverbänden gepflegt wurde, agierte. Denn wie zuvor schon in Weimar machten die Absolventen auch in Dessau ihren Abschluß nicht nur am Bauhaus, sondern sie legten mit dem Ziel einer formalisierten gestalterisch-handwerklichen Doppelqualifikation zusätzlich vor der

 Josef Albers, Sessel 'ti 244', 1928, Foto © Rainer K. Wick
örtlichen Handwerkskammer die Gesellenprüfung ab. Daß hier zwei Universen zusammentrafen, die sich einander mehr und mehr entfremdet hatten, läßt sich umstandslos nachvollziehen. Aus unterschiedlichen Gründen hatte sich das Bauhaus von Anfang an der heftigen Kritik der Handwerksbetriebe ausgesetzt gesehen, und hinsichtlich der Frage, was eine handwerklich fachgerechte Arbeit sei, konnte es erhebliche Meinungsunterschiede geben – Josef Albers befürwortete sogar explizit die „unfachliche (das heißt, nicht durch Lehre beschwerte) Versuchsarbeit“, um dadurch zu neuen, unkonventionellen Lösungen zu gelangen. Erwähnt sei nur sein in der Ausstellung präsentierter Armlehnsessel „ti 244“von 1928, ein aus neun Einzelelementen und achtundzwanzig Schrauben do it yourself montierbarer Bugholzsessel mit gepolsterter Sitzfläche und Rückenlehne, der den tradierten Vorstellungen und handwerklichen Standards eines Möbeltischlers der damaligen Zeit sicherlich kaum entsprochen haben dürfte. Wie tief die Kluft auch in ästhetischen Fragen war und sich in einer und derselben Person manifestieren konnte, zeigen in der Ausstellung zwei Arbeiten von Alfred Schäfter, der – kaum bekannt – zeitweise Werkmeister in der Metallwerkstatt am Dessauer Bauhaus war: ein „bauhäuslerischer“ vierarmiger Silberleuchter von formaler Strenge, schnörkelloser Klarheit und fast industriell anmutender Glätte aus dem Jahr 1930 und daneben, als Meisterstück für die Prüfungskommission der Innung, ein schmiedeeiserner Leuchter mit verschnörkelten Zierformen, der die Formensprache des vorletzten Jahrhunderts spricht und von der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen erzählt.
 
Unter dem Stichwort „Objektbiografien“ geht die Ausstellung auf die „unterschiedlichen öffentlichen Karrieren“ einiger am Bauhaus entworfener und als Prototypen für die Industrie handwerklich hergestellter Gebrauchsgegenstände ein, sei es des berühmten Stahlrohrsessels „B3“(bekannt als „Wassily Chair“) von Marcel Breuer oder der KANDEM-Leuchten, die von der Leipziger Firma Körting & Mathiesen in hohen Stückzahlen produziert wurden. Dabei werden auch Fragen des Urheberrechts, des Patentschutzes und der Entwurfshonorare thematisiert sowie das Problem der „Anerkennung der Autorenschaft“ in den Blick genommen. Während Breuer es früh verstand, seine Tätigkeit am Bauhaus öffentlichkeitswirksam

Marcel Breuer, Sessel 'B3' (Wassily Chair), 1928, Foto © Wick
mit seinem Namen zu verbinden, gelang es zum Beispiel Marianne Brandt „nicht, ihre Rolle als Entwerferin öffentlich zu markieren“ (Regina Bittner), obwohl sie schon in der Metallwerkstatt in Weimar mit herausragenden Entwürfen hervorgetreten war und in Dessau maßgeblich die Zusammenarbeit mit der Industrie vorangetrieben und den Schritt vom ästhetisierenden Kunsthandwerk zu einem der Forderung nach Funktionsgerechtigkeit gehorchenden Industriedesign vollzogen hatte.
So konzis die Dessauer Ausstellung ihren historischen Gegenstand mit einer Fülle von Exponaten zur Anschauung bringt, so schwierig erscheint das Bemühen eines Brückenschlags in die Gegenwart. In einem separaten Raum haben Regina Bittner und ihre Co-Kuratorin Renée Padt einige zeitgenössische internationale Positionen alternativen, selbstbestimmten und nachhaltigen Handwerkens versammelt. Für sich genommen allesamt interessant, stehen die in Dessau präsentierten Projekte mit dem Bauhaus, sofern überhaupt, allenfalls in einem lockeren Zusammenhang. Insofern läßt sich der Eindruck einer gewissen Beliebigkeit nicht von der Hand weisen, zumal dem Besucher der Ausstellung die Kriterien für die Auswahl der genannten Positionen nicht ohne weiteres deutlich werden. Vielleicht wäre angesichts der Überfrachtung der im Kern aufs Historische zielenden Dessauer Schau durch den Versuch, sie unter der Leitthese „Handwerk wird modern“ zu aktualisieren, das klassisch gewordene Motto „less is more“ des dritten Bauhaus-Direktors Ludwig Mies van der Rohes kein schlechter Ratgeber gewesen.