Stehende Ovationen für Jun Märkl und das Sinfonieorchester Wuppertal

Die Eröffnung der 155. Spielzeit mit Ravel, Arutjunjan & Mahler

von Johannes Vesper

Ravel, Arutjunjan & Mahler
 
Eröffnung der 155. Spielzeit
des Sinfonieorchesters Wuppertal
 
Die vorangegangene Wuppertaler Konzertsaison Saison wurde nach dem Weggang von GMD Toshioku Kamioka im Sommer 2016 mit Gastdirigenten bestritten. Für die Nachfolge als GMD war Julia Jones als Generalmusikdirektorin gewonnen worden.
 
Auf dem Programm des Eröffnungskonzerts der neuen Saison 2017/18 stand zu Beginn die Ouvertüre zu „Shéhèrazade, ouverture de féerie“ des jungen Maurice Ravel (1875-1937) auf dem Programm. Mit 23 Jahren komponierte er diese Konzertouvertüre, die erst nach seinem Tode veröffentlicht wurde. Der junge Maurice war als Klavierschüler (vielleicht in Folge seiner kleinen Hände mit nur kurzer Spannweite) am Pariser Konservatorium nicht richtig erfolgreich gewesen. Nach mehreren nicht bestandenen Zwischenprüfungen im Fach „Klavier“ wechselte er deswegen und wurde mit 13 Jahren in die Kompositionsklasse von Gabriel Fauré aufgenommen. Ravel liebte Märchen, also auch Scheherazade, die, um ihr Leben zu retten, 1001 Geschichten erzählte. Später l nahm er den Märchenstoff noch einmal auf mit „Ma mére l`oye“. Märchenhaft eröffneten Harfe und Oboe die Saison und bei perpetuierender Rhythmik, die schon an den späteren Bolero erinnert, stimmte Jun Märkl, der viele große Orchester dirigiert hat (Saarbrücken und Mannheim, Orchestre national de Lion, MDR Sinfonieorchester Leipzig, Chicago und Boston Symphony Orchestra, NDR Sinfonieorchester, Münchener Philharmoniker - Auswahl), das Publikum ein.
 
Danach war das Trompetenkonzert des armenischen Komponisten Alexander Arutjunjan (1920-2012) zu hören, sein wahrscheinlich berühmtestes Werk und eines der berühmtesten Trompetenkonzerte überhaupt. Folkloristisch, romantisch, polyphon wurde seine Musik in Deutschland weniger zur Kenntnis genommen als die seines Landsmann Chatschaturian (1903-1978). Sein Trompetenkonzert von 1950 aber, mit brillanten, halsbrecherischen Kadenzen, herrlichen Melodien und Harmonien fordert jeden Solisten. Der Weltklasse-Trompeter Sergei Nakariakov, der vorgesehen Solist des Konzerts, mußte leider wegen ernsthafter Erkrankung in seiner Familie plötzlich absagen. Guy Touvron sprang dankenswerterweise sehr kurzfristig ein und schlug, begleitet vom aufmerksamen Orchester mit souveräner Musikalität und Technik die Sonntags-Abonnenten in den Bann. Starker Applaus.
 
Mit Gustav Mahlers 6. hatte sich vor 2 Jahren Kamioka aus Wuppertal verabschiedet. Die 5. Sinfonie war unter seiner Leitung vor einigen Jahren an gleichem Ort zuletzt zu hören gewesen. Jetzt nach der Pause wurde sie als Hauptwerk des heutigen Vormittags erneut gespielt, wenn „spielen“ als Begriff für die Aufführung des Riesenwerkes ausreicht. Kernig im Ton, souverän und makellos erfüllte die Auftaktfanfare der Solotrompete (Cyrill Sandoz) den Saal, mit ihrem „stets etwas flüchtig quasi accelerando zu spielenden“ Triolen-ta-ta-ta-tam an das schicksalsschwere Eingangsthema von Beethovens 5. Sinfonie erinnernd, wobei sich aber im Gegensatz zu Beethoven die anschließende Terz nach oben schwingt. Nach kurzen Orchesterakkorden und gedämpftem, bedeutungsschwangerem Trommelwirbel nimmt der Trauermarsch „gemessenen Schritts und streng wie ein Leichenzug“ (Anweisung des Komponisten) in cis-Moll seinen Lauf. Unter Ausreizung der Tonalität, bei raffinierter Instrumentierung hören wir stürmisch und vehement hinab in den teuflischen Orkus des 2. Satzes. Sotto voce beginnt das Cello erneut mit Trauermusik über leisem Paukenwirbel. Es kommt zu Zwiegespräch mit den ernsten Bratschen, bevor sich wüst zerrissen ein Choralthema hören läßt und im absteigenden Pizzicato der Kontrabässe der Satz endet. Im sogenannten Scherzo wechseln banale Ländler mit kurzen liedhaften Episoden. Blechbläser singen oder bringen auch das riesige Orchester zum Schweigen und die große Trommel mahnt ernst. Makellose, seelenvolle Hornsoli im Wechsel mit blitzsauberen, atmenden Holzbläsern lassen Lebensbilder ohne durchgehende musikalische Entwicklung vorüberziehen. Die Solovioline, mit Yusuke Hayashi als Konzertmeister endlich wieder besetzt, mischt sich einfühlsam in das musikalische Geschehen. Großes Orchester, großer Aufwand, großer Erfolg? Nein zunächst kam diese Sinfonie, im Kölner Gürzenich uraufgeführt, beim Publikum nicht gut an. Heute ist sie, vielleicht wegen der „Animiermusik für etwas sklerotische Jungverliebte“ (Eckhard Henscheid), also wegen des Adagiettos als Filmmusik bei Viscontis „Tod in Venedig“ eine der beliebteren Mahler-Sinfonien. „Ich bin der Welt abhandengekommen“ wird hier zitiert. Den melancholischen Satz schickte er seiner Alma als Liebeserklärung, woraufhin sich die beiden schnell verlobten. Mahlers Zwiespalt zwischen Banalität und großer Tragik charakterisiert vielleicht auch seine Zeit. Sein Hang zur zeitweisen Banalität mag auf den Beginn seines musikalischen Lebens zurück zu führen sein. Der kleine Gustav begann als Kind mit dem Akkordeon - das prägt-! -, bevor er sich dem Klavier bzw. mit 6 Jahren schon der Komposition zuwandte. Zu Beginn des letzten Satzes wird das Wunderhorn-Lied vom hohen Verstand zitiert, keine Zeichen mehr von Depression oder Resignation, nach der Verlobung ja plausibel. Bei Fugato, Rondo bis hin zur Wiederaufnahme des Choralthemas vor der Schlußapotheose gerät man ins Schwärmen und ist ergriffen. Stehende Ovationen für Orchester und den souveränen, sensiblen Dirigenten.
 
Man ist gespannt, wann sich die neue Generalmusikdirektorin Julia Jones zum ersten Mal mit einem vergleichbaren Werk dem neugierigen Publikum stellt. Nach ihrem Musikstudium in England begann sie als Korrepetitorin in Deutschland und startete ihre Karriere, in dem sie ad hoc für Giuseppe Sinopoli beim „Lohengrin“ im Teatro Communale in Florenz einsprang. Seitdem dirigiert sie immer wieder in den Opernhäusern von Wien, Berlin, Frankfurt und sonst wo. Das 2. Sinfoniekonzert hier am 14./15.1017 mit Fünfter und Schostakowitschs 10. Sinfonie dirigiert aber der hier nicht unbekannte Carl St. Clair.
 
Johannes Vesper