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                         Faust-Monolog  
                          
                        Habe nun, ach! Philosophie,  
                        Juristerei and Medizin,  
                        und leider auch Theologie 
                        durchaus studiert, mit heißem Bemühn.  
                        Da steh' ich nun, ich armer Tor,  
                        und bin so klug als wie zuvor!  
                        Heiße Magister, heiße Doktor gar,  
                        und ziehe schon an die zehen Jahr' 
                        herauf, herab und quer und krumm 
                        meine Schüler an der Nase herum - 
                        und sehe, daß wir nichts wissen können!  
                        Das will mir schier das Herz verbrennen.  
                        Zwar bin ich gescheiter als alle die Laffen,  
                        Doktoren, Magister, Schreiber und Pfaffen;  
                        mich plagen keine Skrupel noch Zweifel,  
                        fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel - 
                        dafür ist mir auch alle Freud' entrissen,  
                        bilde mir nicht ein, was Rechts zu wissen,  
                        bilde mir nicht ein, ich könnte was lehren,  
                        die Menschen zu bessern und zu bekehren.  
                        Auch hab' ich weder Gut noch Geld,  
                        noch Ehr' und Herrlichkeit der Welt;  
                        es möchte kein Hund so länger leben!  
                        Drum hab' ich mich der Magie ergeben,  
                        ob mir durch Geistes Kraft und Mund 
                        nicht manch Geheimnis würde kund;  
                        daß ich nicht mehr mit sauerm Schweiß 
                        zu sagen brauche, was ich nicht weiß;  
                        daß ich erkenne, was die Welt 
                        im Innersten zusammenhält,  
                        schau' alle Wirkenskraft und Samen,  
                        und tu' nicht mehr in Worten kramen.  
                          
                        Johann Wolfgang von Goethe  
                        Faust I, 1. Akt, Studierzimmerszene 
                          
                          
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