Ich geh' als Cowboy

von Erwin Grosche

Erwin Grosche - Foto © Frank Becker
Ich geh' als Cowboy
 
Ich geh´ als Cowboy. Habe ich schon immer gemacht. Auch als Kind. Wenn Karneval war, irgendeine Kostümfeier, war für mich klar: Ich geh´ als Cowboy. Gibt es denn etwas Schöneres als `nen Cowboy?
   Andere gehen schon mal als Scheich oder als Teebeutelchen. Das wär nichts für mich. Ich geh´ als Cowboy. Ich wüßte gar nicht, wie man sich so als Teebeutelchen bei Tisch benimmt, gerade wenn es Tee gibt. Laß ich mich dann hängen?
   Komm ich als Cowboy in einen Tabakladen, muß ich gar nicht sagen, was ich will.
   Ein Cowboy hat einen Hut auf, eine Lederweste an und über dem Karohemd einen Sheriffstern. Eine zeitlos schöne Angelegenheit! Meine Frau sagte neulich, ich brauchte gar nicht das ganze Drumherum. Ich würde auch schon so aussehen wie ein Cowboy. Kann sein, das hat man so drin. Ich kaue gern Kaugummi, und abends gehe ich immer einmal um die Siedlung: „Na, Joe, alles klar? Übrigens, Joe, dein Gartenzaun ist kaputt, das müssen wir in Ordnung bringen lassen.“ Das paßt dann schon. Dabei habe ich natürlich den Sheriffhut auf. Das muß schon stimmen, das hat man so drin. Und wenn mich einer nach dem Weg fragt, dann sage ich immer: »Hör mal zu, Fremder. Einer von uns beiden ist zu viel in dieser Stadt. Am besten du fährst immer geradeaus, bis du das Schild siehst, auf dem steht: „Hier dürfen wir nicht rein!“ Und dann überlegst du mal, wie das gemeint sein könnte. Das ist nicht bös gemeint. Das kommt bei mir wie aus der Pistole geschossen. Das paßt dann schon.
   Meine Frau sagt, ich sähe so wild aus, ich brauchte gar keinen Cowboyhut zu tragen, um ein Cowboy zu sein. Ich hab” mit Cowboyhut geschlafen, meine Frau hatte an meiner Hutkrempe ihre Nachttischlampe angebracht. Das hat man so drin. Früher habe ich immer als Erstes den Briefträger abgefangen und seine Taschen durchsucht, aber man wird mit dem Alter auch ruhiger. Obwohl, gestern habe ich zu einem italienischen Kellner gesagt: „Das Vergessen meiner Bestellung ist nicht aus der Welt geräumt, indem Sie mir die Nudeln später bringen. Wenn Sie auch ein Mann sind, dann schnappen Sie sich auch einen Teller mit Spaghettis, und wir treffen uns im Innenhof. Dann wollen wir mal sehen, wer hier der Italiener ist.“
Ich habe John Wayne so gern gemocht. Wenn der von seinem Pferd gestiegen ist, auf dem er drei Monate lang gewohnt hatte, dann sah er immer aus, als käme er gerade aus einer Autopresse. Und wenn er sich dann den Sattel über die Schulter schmiß, dann guckte er immer so, als wollte er sagen: Bürschchen, ich habe jetzt drei Monate auf diesem Pferd gewohnt, und wenn du mich jetzt so anguckst, wie ich dich jetzt angucke, dann reite ich dich zu.
   Und ich glaube, deswegen schmeißen wir uns so lässig die Jacke über die Schulter, zumal wir auch keinen Sattel mehr haben, geschweige denn Schultern. Wir schmeißen uns also die Jacke über die Schulter, als wollten wir sagen: Ich habe jetzt zwei Stunden diese scheiß Jacke getragen, und wehe du schaust mich jetzt so an, wie ich dich anschaue, dann reite ich dich zu. Das ist das Vermächtnis von John Wayne, das große Vermächtnis von John Wayne.
   Ich habe einen Freund, der hat keinen Fernseher. Der kommt aus einer Gegend, wo man immer muffig ist und dicke Pullover trägt. Der weiß noch nicht mal, was Karneval ist, das muß man sich mal vorstellen, aber wie auch, er hat ja keinen Fernseher. Ich dachte, dem muß ich mal was bieten und lade ihn zum Karneval nach Paderborn ein. O.K., das ist nicht die Welt, aber man bekommt einen Eindruck von der Sache. Als ich ihn vom Bahnhof abhole, war ich natürlich als Cowboy verkleidet, und da guckt er mich an und sagt schließlich: „Mensch, was ist denn hier los, hättste doch was gesagt, dann hätte ich meine Armbrust mitgebracht“ Ich dachte erst, der will mich verscheißern, bis mir einfiel, daß er keinen Fernseher hat, der weiß ja gar nicht, was Karneval ist. Dann habe ich überlegt, als was wir ihn laufen lassen. Mit seinem Pullover hätte er als Drewermann gehen können, was bei uns aber nicht so auffällt, also habe ich ihm eine alte Bauplane besorgt, und damit ging er als Teebeutelchen. Und was soll ich sagen, der hat sich an dem Abend dreimal verlobt, hat sogar einen Preis gekriegt für das schönste Kostüm, und das als Teebeutelchen. Und nun ruft er mich dreimal im Monat an und fragt, ob wir denn nicht mal wieder ausgehen könnten, er als Teebeutelchen, ich als Cowboy. Ich brauche dann immer Stunden, um ihm zu erklären, daß es bei uns nicht immer so schön ist. Der hat doch von uns einen ganz falschen Eindruck.
   Ist echt eine arme Sau, hat aber Kontakte zum Jenseits. Das wäre mir zu früh, jetzt schon Kontakte zum Jenseits. Ich bin doch froh, daß es wenigstens auf den Friedhöfen ruhig ist und die nicht alle durcheinander quatschen. Ich brauche jetzt noch keinen Kontakt zum Jenseits, mir reicht meine Schwiegermutter, die weiß auch alles besser.
   Sagte die doch neulich, daß man bei meinem Revolver schon einen Waffenschein brauchen würde. Ich habe gesagt, daß ich sowieso nur knalle, wenn ich Zündplättchen dabei habe. Das wirkt sonst nämlich leicht albern, wenn man keine Zündplättchen dabei hat, gerade auf Kindergeburtstagen. Wie soll man sich denn sonst Respekt verschaffen, geschweige denn erreichen, daß sie einen wieder vom Marterpfahl losbinden.
   Ein Mann als Cowboy, was Schöneres gibt es nicht.
   Ich habe schon Frauen gesehen, die waren als Cowboy verkleidet, aber das hat mir nicht gefallen. Man muß sich nicht über alles lustig machen.
   Was soll ich sagen, letztes Jahr war bei uns doch wieder Karneval gewesen. Natürlich habe ich mich gefragt, als was gehe ich denn diesmal. Ich habe mir gedacht, jetzt bin ich schon so oft als Cowboy gegangen, jetzt geh doch dieses eine Mal als Cowboy, das ist klar, aber als Cowboy, der als Indianer geht. Das setzt ja eine ganz andere Bewußtseinsstufe voraus. Ich gehe also auf diese Karnevalsparty, da kam dann sofort so ein sogenannter Cowboy auf mich zu und ich merkte gleich, der will Stunk anfangen. Ich habe ihm sofort lässig meine Zigarettenrauchzeichen ins Gesicht geblasen und überlegt, wie ich diesem Stinktier verklicker, daß ich ein Cowboy bin, auch wenn ich Streifen im Gesicht habe und so wenig an. Ich habe ihm dann gesagt: „Wie müsste denn deiner Meinung nach ein Cowboy aussehen? Etwa so wie du? Nur weil ich deiner Vorstellung von einem Cowboy nicht genüge, kann ich trotzdem viel mehr Cowboy sein, als du jemals Cowboy sein wirst. Meinst du denn, ein Cowboy trägt eine Uniform? Du bist doch im Grunde ein Teebeutelchen geblieben.“
   Ich merkte schon, daß es für ihn langsam zu kompliziert wurde. Also habe ich nach einem Kraftausdruck gesucht, der ihn wirklich trifft: „Paß auf, du... Countrymusiker.“
   Und ich dachte, jetzt geht es rund, und dann sagt er auf einmal zu mir: „Hugh, weißer Bruder, rotes Herz.“ Da war das gar kein Cowboy gewesen, sondern ein Indianer, der sich als Cowboy verkleidet hatte. Und ich dachte, so etwas kann man nur bei uns erleben.
   Er wurde dann mein Freund Winni. Natürlich nannte er sich Winni-two, also Winni-zwei. Und wir sind dann singend nach Hause gegangen. Winni hat das Pferd übernommen und ich die Stimme von Gus Backus in „Mein Schimmel und ich“:
 
„Ich bin so allein, denn mein Pferd hat bei Nacht
die Augen für immer ganz leis' zugemacht.
Der Sattel ist schwer, und ich setz” mich darauf
und traurig schau ich zu den Sternen hinauf:
 
Wir sehen uns wieder, ja, das spüre ich,
mein Schimmel wartet im Himmel auf mich."
(…)
 
 
© Erwin Grosche
(Aus: Lob der Provinz)