Attrazione

Christiane Löhr im Skulpturenpark Waldfrieden, Wuppertal

von Jürgen Kasten/Bec

Christiane Löhr, Klettenröhre - Foto © Frank Becker

Attrazione
 
Christiane Löhr im Skulpturenpark Waldfrieden, Wuppertal
 
Attrazione“ übersetzt sich zum einen mit „Attraktion“; bedeutet aber auch Anziehung oder Anziehungskraft. All das trifft auf die Kunst von Christiane Löhr zu.
Tony Cragg, der ihre Arbeiten bis zum 01. Juli 2018 in der unteren Halle seines Skulpturenparks ausstellt, erzählte, daß sie zwar wie er auch an der Kunstakademie Düsseldorf tätig war, er sie aber nicht kannte. Vor zwei Jahren traf er sodann in Italien auf ihre Arbeiten und verliebte sich sogleich in ihre filigranen Artefakte. Es sind zumeist kleine Objekte aus organischen Materialien der Natur, mit denen Christiane Löhr architektonische Gebilde schafft. Sie benutzt zum Beispiel Pflanzen, Pflanzenteile, Samen, Hunde-, Katzen- oder Pferdehaar für ihre Gebilde.
„Dabei ist für sie die Linie ein Instrument der „Raumaneignung“. Ihre Beschaffenheit und ihr Verhältnis zur Raumumgebung haben für ihre Arbeit kategoriale Bedeutung. (Ausstellungstext)“
Gefragt, wie sie ihre Materialien verarbeitet und konserviert sagt sie, daß sie auch die kleinsten Objekte mit den Händen formt. Sie benutzt selten eine Pinzette, keinen Kleber und auch keine Unterbaukonstruktion. Gesammelte frische Pflanzen läßt sie ein paar Tage liegen, bis sie trocken sind. Dann beginnt sie mit der Formgebung, die so ohne weitere Konservierung bestehen bleibt.

 
Christiane Löhr, Kleine Kuppel - Foto © Frank Becker
 
Gezeigt werden zwanzig Arbeiten von Christiane Löhr. An der linken Hallenwand ältere Objekte mit Titeln wie „Klettenröhre“ oder „Kleine Wabenform“; an der Längsseite größere Gebilde wie den „Samenbeutel“ oder die „Samenwolke“  und an der rechten Wand meterlange „Haarsäulen“ aus Pferdehaar und Nadeln. Auf Podesten im Raum stehen sodann verschiedene Gebilde wie „Graspyramide“ oder „Kleine Kuppel“, überwiegend speziell für diese Ausstellung konzipiert. Zwar haben alle ihrer Arbeiten  einen Namen, der aber ist nicht sinngebend, betonte Christiane Löhr.
Bei der „Kleinen Kuppel“ ist das meines Erachtens allerdings durchaus so: Belaubte Pflanzenstengel, verblassendes Grün, im Rund aufgestellt und zu einer Kuppel geformt - hier drängt sich die Assoziation einer tatsächlichen Kuppel auf, etwa der gewaltigen Kuppel eines Domes, so klein das Objekt auch ist (3,5x3,5x3,5 cm). Dieses hat, wie auch die meisten anderen Ausstellungstücke etwas Erhabenes an sich, das berührt.

Samenbeutel - Foto © Frank Becker
 
Geboren wurde Christiane Löhr 1965 in Wiesbaden,  sie lebt und arbeitet derzeit in Köln und Prato (Italien). Zunächst studierte sie Ägyptologie und Geschichte, später Kunst und Germanistik auf Lehramt. Dann allerdings entschloß sie sich zu einem Kunststudium an der Akademie in Düsseldorf, wo sie bei Jannis Kounellis Meisterschülerin war. Während des Studiums war sie mit ihrem Pferd viel in der Natur unterwegs und überlegte dabei, wie man die Kunst mit der Natur verankern könnte. Schließlich kreierte sie für sich eine Kunstform, die jeden Betrachter begeistern müßte. Zahlreiche Auszeichnungen sprechen dafür und die weltweite Präsenz ihrer Arbeiten und Ausstellungen, zum Beispiel in Basel, New York, Japan und vielen Orten Italiens.
Im Wuppertaler Skulpturenpark können Sie sich selber davon überzeugen.


Christiane Löhr, Wäldchen - Foto © Frank Becker
 
Die Schriftstellerin Marion Pochmann widmet der Ausstellung ATTRAZIONE ein Gedicht, mit dem sie Christiane Löhrs Arbeit würdigt:
 
Ordnungen der Wildnis
Odenstrophen, Module
 
etwas wird zusammengesetzt, ganz neu, wie
man in eine Wohnung von Fremden erstmals
eintritt und die Wände noch weich, beweglich
findet, bis schließlich
 
Schnitt, und Abgeschnittenes, sich die Dinge
aus den Hintergründen entfernen, zarte
Halbschlafbilder stachliger Früchte, Disteln
Diminutive
 
Konglomerate
 
wie Insektenmüdigkeit, Winteranfang,
wenn Marienkäfer zu Hunderten die
kalten Fensterritzen besetzen, rote
zornige Gondeln
 
Punkte im Dunkeln
 
Arbeit mit Mustern
 
formvollendet würde ich hier verwildern
oder kahle Bäume aus Zügen sehen
dieser leichte graue Moment, der hinter
Glas gefaßt bleibt wie auf den Bildern alter
Meister der Ferne
 
Lärm der Verkehre
 
wieder las man Landtechnikmagazine,
Silo, Traktor, schweres Gerät, das Furchen
riß in dieser flachesten Gegend, schmale
Streifen auf Feldern
 
Ornamentales
 
wie man etwas anlaßlos anzieht und es
wäre später so und nicht anders, wäre
in die Symmetrien des Sachten einfach
eingefügt, wäre
 
wäre Wildnis, was aus der Fläche aufsteigt,
Kollektoren schneller Bewölkung, könnten
Kiefernstämme, haltlose Halme, die sich
Räume erfindent
 


Christiane Löhr, Graspyramide - Foto © Frank Becker
 
Skulpturenpark: Hirschstr. 12, 42285 Wuppertal, 0202 47898120
Dienstag bis Sonntag, 10 – 19 Uhr

Weitere Informationen: www.skulpturenpark-waldfrieden.de
 
Redaktion: Frank Becker