Franz Radziwill und die Gegenwart

Eine Ausstellung der Kunsthalle Emden

von Jürgen Koller

Franz Radziwill und die Gegenwart
- Landschaft / Technik / Medien -
 
Von Jürgen Koller
 
Mit dieser Ausstellung, kuratiert von Dr. Stefan Borchert, dem neuen Direktor der Emdener Kunsthalle, ist erneut eine auf- und anregende Bilder-Schau von großer Intensität gelungen. Franz Radziwill (1895 – 1983) ist im Nord-Westen Deutschlands eine allseits geachtete und kunstgeschichtlich anerkannte, aber politisch-historisch zwiespältige Künstlerpersönlichkeit. So besitzt das Oldenburger Landesmuseum den größten Werkbestand Radziwills aller deutschen Museen. Geboren an der Nordseeküste, seit 1921 im Fischerdorf Dangast am Jadebusen lebend - übrigens auf Empfehlung Karl Schmidt-Rottluffs - war er zeitlebens der Wattenmeer-Region und der Marschlandschaft, aber auch den Marine- und Handels-Häfen Wilhelmshaven und Bremen auf's engste verbunden. Nach dem 1. Weltkrieg, an dem Radziwill als Sanitätssoldat teilnehmen mußte, beschloss er, das Architekturstudium nicht fortzusetzen und sich ausschließlich der Malerei zu widmen. Nach einer frühen expressionistischen Phase schuf er sein neusachliches und magisch- realistisches Hauptwerk in den zwanziger Jahren. Es folgte dann nach dem 2. Weltkrieg sein symbolistisch geprägtes Spätwerk. Sowohl sein magisch-realistisches Hauptwerk in den Zwanzigern, als auch das Spätwerk „kreis[en] um die Grenzen wissenschaftlicher Erkenntnis und die unabsehbaren Gefahren grenzüberschreitender Experimente.“ Diese Zivilisationskritik Radziwills wird in der Emdener Ausstellung in den Dialog zu den Schöpfungen zeitgenössischer Künstler gesetzt. Natürlich weiß Radziwill als Norddeutscher, daß erst Deiche und Siele ein Leben an der Meeresküste ermöglichen, und doch wirken Siele oder Wassertürme, aber auch Gasometer als Bestandteile notwendiger zivilisatorischer Infrastruktur bei ihm bedrohlich. Seine mit feinem Pinsel, fast schon pingelig präzise gemalten Sujets – Mauerwerk und Klinkerstein, aber auch Nieten in stählernen Schiffsplanken sind seine Markenzeichen – unterstreichen die ambivalente Faszination von Technik im urbanen Raum und im maritimen Umfeld. So gesehen war sein Interesse an der deutschen Romantik nicht rückwärts gerichtet, sondern als Auseinandersetzung mit der technischen Entwicklung seiner Gegenwart zu verstehen.
 
Radziwill verstand sich als „nationaler Sozialist“ und wurde deshalb bereits im Mai 1933 Mitglied der NSDAP. Das brachte ihm eine Professur an der Kunstakademie Düsseldorf ein, wo gerade solche links-liberale Professoren wie Heinrich Campendonk oder Carl Hofer von den Nationalsozialisten entlassen worden waren. Die „völkische Kunstauffassung“ eines Alfred Rosenberg lehnte Radziwill aber ab - „deutscher Bauer auf deutscher Scholle“ entsprach nicht seinem Ideal von norddeutscher Kulturlandschaft, zu der eben auch die Kriegs-Marine in Wilhelmshaven und die Atlantik-Liner Bremens gehörten. Im Jahre 1934 wurde Radziwills Gemälde „Sender Norddeich“, 1932 (siehe Einladungskarte o.l.), zur XIX. Biennale Venedig ausgestellt, ein Bild, das einerseits die damals beginnende weltumspannende neue Kommunikation versinnbildlicht, das andererseits aber bereits das wichtigste NS-Propagandamittel vorwegnimmt. Bereits 1935 verlor Radziwill seine Professur wegen „Kulturbolschewismus“. Hintergrund dazu war seine expressionistische Frühphase. Trotzdem blieb er aber NSDAP-Kreiskulturstellenleiter im Kreis Friesland. Im Rahmen der Aktion „entartete Kunst“ wurden von ihm trotzdem 50 Werke konfisziert (mit Grafikblättern 275 Arbeiten). Ab 1938 erhielt er ein Ausstellungsverbot für Einzelausstellungen. Nach Kriegsende wird Carl Hofer als Gründungsrektor der Kunsthochschule in West-Berlin vom „Naziwill“ sprechen, wenn die Rede auf Radziwill kam. Das unmittelbare Erlebnis der Zerstörung seiner norddeutschen Heimatstädte, besonders Wilhelmshaven und Bremen, hatte Radziwill in seiner kriegskritischen Haltung bestärkt. Davon zeugen viele seiner symbolistischen Gemälde der Nachkriegszeit und des bundesdeutschen Wirtschaftswunders. Ein zentrales Thema blieb für den Künstler die Zerstörung der Lebenswelt des Menschen und der Natur durch Krieg, technische Hybris und wirtschaftliche Expansion, als Sinnbild steht dafür das Bild von 1960 „Ist die Technik ein hohles Ei?“.
 
In der Emdener Ausstellung sind etwa die Hälfte der rund 120 Exponate Gemälde von Franz Radziwill, die anderen sind Werke zeitgenössischer Kunst. Präsentiert werden Arbeiten von Heiner Altmeppen bis zu Maik Wolf – insgesamt 24 Künstlerinnen und Künstler werden ausgestellt. So stehen Bernd und Hilla Bechers Fotografien von Wassertürmen und Gasbehältern im thematischen Dialog mit Radziwills Gemälden, bei Martin Spenglers Hochhaus-Objekten steht die technische Fragilität der modernen Bauten im Vordergrund, während bei Edward Burtynsky und Robert Schneider die Landschaftszerstörung durch unüberschaubare Ölfelder mit Radziwills Deich- und Siel-Bildern korrespondieren. Gegenüber der brachialen Macht großer Schlachtschiffe blieb der Maler aus Dangast indifferent, so im Bild „Auf Schilling Reede“ von 1927 oder „Deutsches Schlachtschiff in der Eckernförder Bucht“ von 1942. Als Pendant dazu ist von Sabine Moritz „Fregatte Berlin“ von 2013 zu sehen. Starke zeitgenössische Belege zur Medienwelt prägen die Bilderschau. So wie in unserer Gegenwart die Menschen nur noch auf ihr Smartphon starren, sah Radziwill Zeitungsleser, die die Außenwelt nicht mehr wahrnehmen. Die Leser, vertieft in ihre Blätter, sehen nicht den blutroten Himmel mit den Todesfliegern im Bild von 1950. Mit der Welt der Bilderflut in der Gegenwart setzen sich Nam June Palk und Wolfgang Stähle auseinander. Ersterer zeigt einen Buddha, der im TV-Gerät nur noch sich selbst sieht, wird er doch ständig von einer Kamera gefilmt, gewissermaßen ein ewiges Selfie. Wolfgang Stähle hatte 2001 mehrere Webcams auf New Yorker Wolkenkratzer installiert. Zufällig erfaßt dabei eine der Kameras die Attentate vom 11.September auf das World Trade Center – die Katastrophe als mediale Endlos-Schleife.
Radziwills Fragestellungen und apokalyptische Visionen in seinen magisch-realistischen und symbolistischen Bildern finden eine Gegenüberstellung in Werken der zeitgenössischen Kunst. So tun sich solche Fragen auf: Wer wacht über uns? Sind wir geborgen oder werden wir überwacht? „Vor dem Hintergrund der sich immer rasanter entwickelnden technischen Möglichkeiten spürt die Ausstellung Faszination und Schrecken des Fortschritts nach.“
 
Zur Ausstellung in der Kunsthalle Emden ist ein reich bebilderter, gebundener Katalog erschienen - an der Museumskasse für 24,95 € erhältlich.
 
Die Ausstellung
Franz Radziwill und die Gegenwart. Landschaft, Technik, Medien
wird vom 23. September 2018 bis zum 13. Januar 2019 gezeigt.
 
Kunsthalle Emden
Stiftung Henri und Eske Nannen und Schenkung Otto van de Loo
Hinter dem Rahmen 13, D-26721 Emden
Telefon +49(0) 4921 – 97 50 50
Info-Telefon +49(0) 4921 - 97 50 0
 
Öffnungszeiten:
Di. bis Fr. 10 – 17 Uhr, Sa./So./Feiertage 11 – 17Uhr
jeder erste Di./Monat 10 – 21 Uhr (Kunstabend)
Mo. sowie 23., 24., 25. und 31.12.geschlossen.
Zweiter Weihnachtstag und Neujahr geöffnet.