Alles nur geklaut?

Ausstellung im LWL-Industriemuseum Zeche Zollern

Red.

Eine diebische Elster, zusammengesetzt aus vielen Einzelmotiven, ist das Titelmotiv der Ausstellung „Alles nur geklaut?“.
Grafik: baier+wellach projekte/Golasch

Alles nur geklaut? Ausstellung im LWL-Industriemuseum

Zeche Zollern zeigt die abenteuerlichen Wege des Wissens
 
Dortmund (lwl). „Alles nur geklaut?“, fragt der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) seit dem 23. März in seiner neuen Sonderausstellung auf der Zeche Zollern in Dortmund. Bis 13. Oktober 2019 dreht sich im LWL-Industriemuseum alles um die abenteuerlichen Wege des Wissens. Die Schau zeigt an Beispielen aus Geschichte und Gegenwart, wie Wissen geschaffen, geteilt und geschützt wird. Sie veranschaulicht damit die Entstehung der modernen Wissens- und Informationsgesellschaft. Schirmherrin der Ausstellung ist Bundesbildungsministerin Anja Karliczek.

„Die Ausstellung widmet sich einem hochaktuellen Thema. Denn der Umgang mit Informationen spielt in unserer digitalisierten Welt eine immer größere Rolle und betrifft jeden einzelnen von uns“, erklärte LWL-Direktor Matthias Löb bei der Vorstellung der Schau in Dortmund. „Was ist wahr, was falsch? Wem gehört eigentlich das Wissen? Muß es geschützt oder sollte es geteilt werden? Diese Fragen wurden schon immer kontrovers diskutiert. Das zeigt unsere Ausstellung mit modernen Inszenierungen, spannenden Exponaten und vielfältigen Möglichkeiten zum Entdecken und Mitmachen.“

 
Agentenwerkzeuge wie Mikrokameras und Pistolen, getarnt als Brosche, Manschettenknopf und Feuerzeug.
Foto: LWL/Hudemann

Auf insgesamt 1000 Quadratmetern Ausstellungsfläche geht es um Profit und Moral, Patente und Plagiate, Verrat und Geheimnisse. Besucher lernen Erfinder, Spioninnen und Whistleblower kennen.3D-Hologramme erwecken historische Personen wie den Universalgelehrten Georg Krünitz oder die Agentin Elsbeth Schragmüller zum Leben.
Das Spektrum der Exponate reicht vom 4.000 Jahre alten Scheibenrad über Agenten-Werkzeuge und die Verschlüsselungsmaschine Enigma bis hin zur elektronischen Fußfessel. Künstlerische Interventionen wie die Schreckenskarette von Jean Tinguely oder die Performance „Alles, was ich weiß - ein Selbstversuch auf Post-its“ von Florian Toperngpong setzen besondere Akzente.

Geheime Kammern des Wissens
Abenteuer und Rätselspaß versprechen sechs geheime Kammern des Wissens, die die Themen der Ausstellung aufgreifen. In kleinen Gruppen

Kostüm der berühmten Spionin und Tänzerin Mata Hari.
Foto: LWL/Hudemann
müssen Spieler Aufgaben lösen und Codes knacken, damit sich die Türen der Escape-Rooms öffnen. Zum Abschluss der gut einstündigen, auf Tablets angeleiteten Spielerunde wartet die Aufnahme in die „Loge des Wissens“. Mitmachen ist auch im Sachverständigenlabor für Original und Nachahmung gefragt. Gäste können zudem Selfies in eine „Cloud“ schicken, die über ihren Köpfen schwebt. Die von der Decke herabhängenden Stoffbahnen mit Foto- und Filmprojektionen sind ein zentrales Element der vom Berliner Büro „beier+wellach projekte“ gestalteten Schau.

Bereits bei der Konzeption hat das LWL-Industriemuseum mit zahlreichen Partnern zusammengearbeitet. So entstand im Rahmen eines EU-Projektes mit polnischen, irischen und deutschen Schulen und Museen die Wissenswerkstatt. Jugendliche beschäftigen sich in dem interaktiven Ausstellungsbereich unter anderem mit dem Thema Fake News und stellen verschiedene Perspektiven zur Diskussion. „Mit dieser Ausstellung zeigt das Museum seine Qualität als gesellschaftspolitischer Ort. 40 Jahre nach Gründung des LWL-Industriemuseums, der Geburtsstunde der Industriekultur, wird das Museum vom Hüter des Wissens zum Wissensgenerator und zum Ort der Diskussion“, erklärt Dirk Zache, Direktor des LWL-Industriemuseums. „Der kreative Austausch mit Partnern gehört dabei zu unserem Selbstverständnis als Forum. Neben Volkshochschulen und Schulen, die bei unserem Fotowettbewerb mitgemacht haben, ist auch das Zentrum für Medienkompetenz der Stadt Dortmund mit dabei, das ein Digitales Kulturlabor in unserer Ausstellung betreibt und das Diakonische Werk in Recklinghausen, dessen Werkstätten Hartz IV-Möbel fürs Foyer gebaut haben.“

Eng zusammengearbeitet hat das Team auch mit der Volx-Akademie für inklusive Kunst und Kultur der Stiftung Bethel. „Unser Ziel war es, die Ausstellung im Sinne eines 'Design for all' für möglichst viele Menschen zugänglich zu machen.
Deshalb transportieren wir das Wissen über mindestens zwei Sinne gleichzeitig“, erklärt Projektleiterin Anja Hoffmann, Referentin für Bildung und Inklusion im LWL-Industriemuseum. So gibt es in der Ausstellung Tastobjekte und Hörstationen, leicht verständliche Texte, Filme mit Untertiteln, Bildschirme mit Vorlesefunktion sowie einen Mediaguide mit Touren in Deutsch, Englisch, Einfacher Sprache, Gebärdenvideos und einer Audiodeskription für blinde und sehgeschädigte Besucher. Auch beim Begleitprogramm (s. u.) setzt das LWL-Industriemuseum auf Vielfalt: Aktionstage mit 3D-Druck, Gaming-Events und Trickfilm-Produktion gehören genauso dazu wie Vorträge und eine Schreibwerkstatt mit Wikipedianern.

Dieter Gebhard, Vorsitzender der LWL-Landschaftsversammlung, sprach zur Eröffnung der Ausstellung am Freitag (22.3.) auf der Zeche Zollern. Er lobte die neuen Wege, die das Industriemuseum im Jahr seines 40. Bestehens geht: „Die Ausstellung erzählt an herausragenden Exponaten und Biografien, wie die Mechanismen des Wissenstransfers als Motor des Wandels gewirkt haben. Das LWL-Industriemuseum erweitert insofern sein Selbstverständnis. Neben das kulturelle Gedächtnis tritt stärker als bisher der Ehrgeiz, das Wissen auf immer neuen Wegen für alle verfügbar zu machen und damit eigenes Nachdenken über Fortschritte und Entwicklungen anzuregen. Die vom LWL angestrebte Digitalisierung in den Museen bietet dazu ganz neue Möglichkeiten.“


Objekte aus dem Kunstprojekt „Duckomenta“ - Foto: LWL/Hudemann

Die Themen der Ausstellung
Wissen schaffen. Von Göttern und Menschen
War das Wissen ein Geschenk der Götter, eine kulturelle Entwicklung oder kommt es von einem anderen Stern? Der Gast begegnet zum Auftakt dem Prometheus-Mythos und sieht einen 1.500 Jahre alten Goldflieger aus Kolumbien. Bis heute beflügelt er den Glauben an Außerirdische. Die Erfindung des Rads steht dagegen für eine menschengemachte Innovation, die das Leben verändert hat. Gezeigt wird die ganze Vielfalt: vom steinzeitlichen Scheibenrad über das ICE-Rad bis zu winzig kleinen Mikrorädern. In Gestalt eines Hologramms erzählt Karl von Drais auf dem Fahrrad von seiner berühmten Erfindung.

Wissen für alle. Von Gelehrten und Experten
Vom Gehirn über die Wachstafel, das Buch, die Kassette und den USB-Stick bis zur modernen Cloud reicht das Spektrum der Medien, in denen Menschen Wissen speichern.
Eine Bücherwand mit dem 243-bändigen „Krünitz“ steht für die große Zeit der Enzyklopädien des 18. und 19. Jahrhunderts. Der Geist von Johann Georg Krünitz berichtet über sein Schaffen als Universalgelehrter. Gegenüber stellt die Wikipedia-Wand die kollektive Zusammenarbeit des Online-Lexikons vor.

Friedrich Harkort wird in der Ausstellung als Spionier des
Fortschritts vorstellt - Foto: LWL/Hudemann

Wissen wollen. Von Profit und Moral
Spionage und Wissenstransfer gehörten seit Beginn der Industrialisierung zum Repertoire der Unternehmen und der staatlichen Wirtschaftsförderung. Friedrich Harkort gilt als Industriepionier an der Ruhr. Das Knowhow für den Bau seiner Dampfmaschinen verschaffte er sich auf zwei Englandreisen 1819 und 1826. Wernher von Braun, Schlüsselfigur der deutschen Raketentechnik, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zusammen mit über 100 weiteren Wissenschaftlern in die USA gebracht. Fragmente von „V2“-Raketen und Gegenstände von KZ-Häftlingen stehen für Tod und Verderben, die die deutsche „Vergeltungswaffe“ bereits bei ihrem Bau forderte. Modelle von Nasa-Mondraketen zeigen das Ergebnis der Weiterentwicklung in Amerika.

Wissen schützen. Von Patenten und Plagiaten
Seit Gründung des Kaiserlichen Patentamtes im Jahr 1877 kann man Erfindungen schützen lassen. Die Patentschrift Nr. 1 zur Herstellung einer roten Ultramarinfarbe zeigt den Beginn der Entwicklung. Seither gibt es viele Versuche, Ideen unter Schutz zu stellen oder gewerbliche Rechte zu unterlaufen. Konrad Adenauer, vielseitiger Tüftler und Erfinder, scheiterte mit seinem beleuchteten Stopfpilz, andere wie der Physikprofessor Wilhelm Conrad Röntgen wollten bewußt kein Patent anmelden, damit ihr Wissen allen zu Gute kommt. Original oder Nachahmung? In einem Sachverständigenlabor können Besucher Warenproben auf Echtheit prüfen.

Wissen verraten. Von Geheimnissen und Spionen
Die eine war eine Schreibtischtäterin, die andere stand im Rampenlicht - beide waren Spioninnen im Ersten Weltkrieg. Elsbeth Schragmüller zog als Chefin des Nachrichtendienstes gegen Frankreich vom Büro aus die Fäden. Die Tänzerin Mata Hari nutzte Kontakte zu einflußreichen Männern, die sie aus noblen Nachtclubs kannte. Im Zweiten Weltkrieg hatte sich die Militärtechnologie rasant weiterentwickelt - dafür steht die „Enigma“, die erste Verschlüsselungsmaschine der Welt. Als Brosche oder Feuerzeug getarnte Minikameras zeigen, wie sich Agenten geheimes Wissen beschaffen.
Von James Bond, laut fiktiver Biographie in Wattenscheid geboren, sind Raumanzug und das Gebiß seines Gegenspielers aus dem Film Moonraker zu sehen.


BH mit eingebauter Kamera aus der Zeit des Kalten Krieges - Foto: LWL/Hudemann

Wissen freigeben. Was weiß denn ich?
Kirchenbücher gehören zu den ältesten Datensammlungen Europas; sie gehen ins 17. Jahrhundert zurück erfassten erstmals die gesamte Bevölkerung. Heute hat das Sammeln, Speichern und die Nutzung privater Daten ganz neue Dimensionen angenommen. Sie sind das neue „Gold“ der Gesellschaft. Wirtschaftsriesen wie Amazon, Google und Facebook wissen den Rohstoff erfolgreich zu nutzen. Macht uns die Digitalisierung zum gläsernen Menschen? Oder bietet sie ganz neue Chancen? Die Ambivalenz zwischen Freiheit und Sicherheit, Privatsphäre und Öffentlichkeit ist Thema der abschließenden Ausstellungsabteilung.

Begleitprogramm und Führungen
Jeden Sonntag und an Feiertagen 16 Uhr öffentliche Führung durch die Ausstellung. Regelmäßig Führungen für Gäste mit Sehbehinderung und in Deutscher Gebärdensprache angeboten (s. Internet).
Eine Spielerunde in den Escape-Rooms ist während der Öffnungszeiten möglich und dauert 60-90 Minuten. Einzelbesucher müssen sich nicht dafür anmelden. Wegen des begrenzten Zugangs kann es zu Wartezeiten kommen. Der Rundgang kann auch als Gruppenangebot zu festen Terminen gebucht werden.
In der „Wissenswerkstatt“ bieten Aktionstage für Kinder und Familien Experimente und Spiele zu Wissen aus der Natur, Kreatives aus der Fälscherwerkstatt, Prototypen und Duplikaten aus dem 3D-Drucker. Ab 7 Jahren. Termine: 7.4., 17.4., 5.5., 2.6., 7.7., 4.8., 1.9. und 6.10.2019, jeweils 11-17 Uhr. Kosten: 3 Euro.
Im „Digitalen Kulturlabor“ präsentiert das Zentrum für Medienkompetenz in Dortmund eine Auswahl an „serious games“. Die Angebotspalette reicht vom Retro Gaming aus den Anfängen der Computerspielszene bis hin zu innovativen kreativen Kunstformaten und eSport mit VR-Brille und Playstation. Auch hier finden regelmäßig Aktionstage statt.

Das komplette Programm unter http://allesnurgeklaut.lwl.org