Kammermusik in der „Bandfabrik“: Mendelssohn und Borodin

Zwei zweite Streichquartette zweier Hochbegabter

von Johannes Vesper

v.l.: Axel Heß, Vera Milicevic, Nina Popotnik, Vera Milicevic - Foto © Karl-Heinz Krauskopf

Erstklassige Kammermusik in der „Bandfabrik“:
Mendelssohn und Borodin
 
Zwei zweite Streichquartette zweier Hochbegabter
 
Seit 20 Jahren bietet sie „Kultur am Rande“, im Osten Wuppertals, in Langerfeld. Direkt neben der A1 steht die historische Bandfabrik mit ihren großen Industriefenstern, durch die Sonne, Wolken und blauer Himmel auch im Innern an diesem schönen Sonntagmorgen (14.03.2019) präsent waren. Mit ihrem gemischten Programm (Jazz, Lesungen, Folk und Popmusik, Tanz) zieht die „Bandfabrik“ am Rande der Großstadt das interessierte Publikum an. Das funktioniert nur dank des großen Engagements zahlreicher ehrenamtlicher Mitarbeiter und dank Spenden von Privatpersonen und Sponsoren.
 
Iva Miletic, Axel Heß, Nina Popotnig und Vera Milicevic, alle Mitglieder des Sinfonieorchesters Wuppertal, spielten zu Beginn das Streichquartett Op. 13 (1827) von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Mendelssohn-Bartholdy (1809-1847) beeindruckte als 17jähriger bei seinem Besuch in Weimar den alten Goethe, komponierte als Primaner seinen berühmten Sommernachtstraum, entdeckte als 20jähriger Bachs Matthäuspassion neu und verhalf ihr nach nahezu 100jähriger Vergessenheit zur Rückkehr in Kirchen und Konzertsäle. Aus dieser Zeit stammt auch sein 2. Streichquartett Op. 13 A-Dur. Nach der ruhigen bedeutsamen Einleitung stürmt das Allegro vivace voran. Schon nehmen schnelle aufsteigende Sechzehntel Sommernachtsstimmung vorweg. Im lyrisch-ernsten Adagio cantabile mit gesanglicher Fuge und Orgelpunkten verschafft sich die 1. Geige mit einer ernsten Kadenz zuletzt doch Gehör und der Satz geht im ruhigen Fugato zu Ende bevor im 3. Satz (Intermezzo mit Pizzicato) wieder Sommernachtsstimmung aufkommt. Anklänge und Zitate erinnern an Beethoven, dessen letzte Quartette gerade die musikalische Welt erschüttert hatten. Der herrlichen Geige von Iva Miletic mit schlankem Ton stellte Nina Potpotnig den sonor-melancholischen vollen Bratschenklang entgegen, bevor im schnellen Zwischenspiel die Sommergeister virtuos und souverän fliegen. Bei der direkten Akustik des Raums wird jedes Detail und jede Stimme glasklar hörbar, bei diesem Ensemble ein Vergnügen der Sonderklasse. Die letzten Takte lassen schon die Dramatik des mit aufregendem Tremolo eingeleiteten letzten Satzes erahnen. Hoch differenziert im Zusammenspiel und engagiert in Dynamik und Agogik geht bei höchster Konzentration das Ensemble  den letzten Satz an. Nach einem anrührenden Rezitativ der 1. Geige endet das Quartett ruhig, wie es begann. Neben der Stärke des Applauses gilt die Stille bis zu seinem Ausbruch als Maß für die Ergriffenheit des Publikums, und es dauerte etliche Sekunden, bevor das Quartett mit starkem Applaus in die Pause entlassen wurde.
 
Bei Kaffee und Orangensaft erging sich das Publikum auch draußen, diskutierte Musik, freute sich an dem zum Tresen umgebauten alten Jacquard-Bandstuhl mit Lochkartensystem, Kettengatter, Warenbaum und Schiffchen und genoß den stilistisch hervorragend ausgestatteten ehemaligen Fabrikationsraum, der mit seinen Ausmaßen wahrlich für Kammermusik und kleinere Ensembles in besonderer Weise geeignet erscheint.
 
Im 2. Teil des Konzerts war das 2. Streichquartett von Alexander Borodin (1833-1887) zu hören. Wie Felix hochbegabt, schrieb er mit 9 Jahren seine 1. Klavierpolka „Helene“. Sein bekanntestes Werk sind wohl die berühmten „Polowetzer Tänze“. Geboren von der Mätresse eines georgischen Fürsten, der sich erst als alter Mann zu seinem Sohn bekannte, erhielt Borodin in St. Petersburg unter Aufsicht der Mutter eine umfassende Bildung, lernte Deutsch, Englisch Französisch und Italienisch, Klavier und Cello, welches er sein Leben lang liebte. Hochbegabt, würde man heute sagen, als Dilettant in der Musik, verdiente er sein Brot als Arzt und Chemiker. Er arbeitete als Chirurg im Militärlazarett und erhielt mit 29 Jahren den Lehrstuhl für Anorganische Chemie in St. Petersburg, förderte die akademische Ausbildung von Frauen im Rußland seiner Zeit und ging 1859 für einen Arbeitsaufenthalt nach Heidelberg. In Baden-Baden lernte er seine Frau Jekaterina Protopopowa kennen, die in Deutschland wegen Tbc und Asthma kurte. Für sie, die sehr gut Klavier spielte, schrieb er ca. 20 Jahre später als Liebeserklärung sein 2. Streichquartett, in dem das Cello eine hervorragende Rolle spielt. Vera Milicevic eröffnete temperamentvoll und mit großem Ton den 1. Satz und gestaltete seelenvoll den herrlichen 3. Satz, der, voll wunderbaren Celloklangs, mit dem er die Liebe zu seiner Frau ausdrückt. Virtuos und sicher, temperamentvoll und mit großer Spielfreude interpretierten die vier dieses spätromantische Quartett zum Vergnügen des Publikum, welches am Ende wieder seine Zeit bis zum losbrechenden, starken Applaus brauchte, welches sich damit bei den Musikern, beim Veranstalter (Vorstand Bandfabrik e.V. Karl Heinz Krauskopf) und auch beim Moderator Udo Mertens für seine kurzweiligen interessanten Bemerkung zum Programm bedankte. Im Anschluß gab es ein wunderbare selbst gekochte Kartoffel-Möhrensuppe und weitere Gespräche des glücklichen Publikums. Ein schöner Sonntagmorgen außerhalb etablierter Kulturpfade.
 
Zu Programm, Idee und Informationen siehe „ Verein Bandfabrik Wuppertal-Kultur am Rand“.
 
Johannes Vesper