Mit Columbus zum Niederrhein (3)

Geschichten von abenteuerlichen Mahlzeiten - Jugendlichen Lesern ab 11 Jahren erzählt

von Hermann Schulz

Hermann Schulz - Foto © Frank Becker

Mit Columbus zum Niederrhein (3)

Geschichten von abenteuerlichen Mahlzeiten


Berühmte Tafelrunden

Der sagenhafte  keltisch-britische König Artus (um 500 n.Ch.) versammelte in seiner Tafelrunde Helden, die in aller Welt große Taten vollbrachten. Vermutlich wurde gut gegessen und viel erzählt. So ist es kein Wunder, daß viele der Heldensagen und Mythen mit dieser Runde von Kämpfern und Genießern zu tun haben: Zum Beispiel die Geschichten vom Heiligen Gral, von Parzival oder Tristan. Auch lange nach dem Tod von König Artus gab es in Europa Artushöfe. Das waren Festvereinigungen, wo man sich zum friedlichen Essen und Erzählen traf.
Ein berühmtes Festessen, das böse endete, soll der Sage nach in Ungarn stattgefunden haben. Krimhild, die Frau des Hunnenkönigs Etzel, hatte ihre Verwandten zu Gast an den Hof ihres Mannes geladen. Sie wollte für den Tod ihres Mannes Siegfried Rache nehmen. Zum Gastmahl am Königshof legten denn auch alle, wie es üblich war, ihre Waffen ab. Nur der finstere Hagen von Tronje witterte eine Falle und blieb bewaffnet. Die Gäste aus Worms am Rhein wurden hinterhältig überfallen und kamen alle ums Leben.
Selbst der der nicht gerade zart besaitete Etzel war entsetzt über das, was seine Frau da angerichtet hatte. Denn ein Gast zu Tisch war immer heilig.

Geheimnisse aus dem Keller (Rußland)

Ein Erlebnis ganz eigener Art hatte ich in der Nähe von Moskau. Ich war mit Freunden unterwegs, um ein Kloster in der Nähe eines kleinen ärmlichen Dorfes zu besichtigen. Das Dorf interessierte mich aber mehr als das muffige Kloster. Die meisten Häuser waren aus Holz gebaut, schön verziert mit Schnitzereien; in den Vorgärten arbeiteten Frauen und Männer bei der Kartoffelernte. Ich war an einem Zaun stehen geblieben, um einer alten Frau zuzusehen und sie, obwohl ich kein Russisch konnte, zu grüßen. Sie lachte mich an und machte eine einladende Bewegung mit Kopf und Händen. Sie zeigte auch auf zwei meiner Freunde, die ein wenig entfernt standen; wir sollten zu ihr ins Haus kommen. Das war eine willkommene Einladung, denn jeder von uns war neugierig, wie es drinnen aussehen würde.
Wir mußten uns an den großen Tisch setzen. Die russische Frau öffnete eine Kellerluke im Fußboden und stieg hinab. Wir hörten sie rumoren und vor sich hin singen. Als sie wieder an die Oberfläche kam, hatte sie beide Arme voller Gläser und Töpfe. Zu unserer Überraschung lud sie uns zum Essen ein.
In keinem Moskauer Restaurant hatte man uns eine solche Vielfalt geboten: verschiedene Sorten eingelegter Pilze, Gurken in allen Geschmacksrichtungen, Sülze und Wurstsorten, Kaviar und Blinys (gefüllte Teigtaschen), eingemachtes Obst, dazu Äpfel aus dem Garten. Sogar frisches Brot zauberte sie herbei – ich weiß nicht, woher. Wir genossen alles, was man in Geschäften nicht kaufen kann, was die Natur freigiebig den Menschen schenkt.
Die Frau sah uns strahlend beim Essen zu, denn in Russland Gäste zu haben, ist eine besondere Ehre.

Entsetzen in Togo (Afrika)

Nicht immer war ich glücklich über das, was ich mit fremden Küchen erlebte. Das lag zwar manchmal am schlechten Essen, oft aber nur an meiner Unfähigkeit, mich auf den fremden Geschmack einzustellen.
Ein togolesisches Arztehepaar lud meine Freunde und mich zu Mittagessen ein. Es gäbe etwas Typisches, sagte die Hausfrau und verschwand in der Küche, wo ihre Dienstmädchen herumhantierten. Erwartungsvoll saßen wir am Tisch.
Die Hausfrau brachte eine große Schüssel mit einer grasgrünen dampfenden Speise; dazu wurde frisches Brot und Reis gereicht. Der Geruch hätte mich warnen sollen!
Wir hielten unsere Teller hin. Was uns da vorgelegt wurde, zog lange zähe Fäden, als bestünde die Speise aus Gummimasse. Was sonst noch darin verborgen war, konnte ich nicht sofort erkennen.
Als ich den ersten Löffel gegessen hatte, bin ich vor Entsetzen durch die offene Tür in den sonnigen Garten gerannt, denn ich fürchtete, ich müßte mich übergeben. Nicht nur der fremde Geschmack hatte mich schockiert, sondern auch die Tatsache, daß sich in der Masse irgendwelche Fischstücke, Fleisch, Muscheln, kleine Krebse und Unbekanntes verbargen. Wie der Suppenkasper im Kinderbuch sagte ich: “Nein, das esse ich nicht!“ Alle lachten. Meine deutschen Begleiter allerdings löffelten begeistert weiter, während mir ein Küchenmädchen Rührei zubereitete.
Der Hausherr, der auch Ernährungswissenschaft studiert hatte, klärte uns auf:
„In diesem Nationalgericht sind alle wichtigen Mineralien, Vitamine, Fette, Eisen, Eiweiß und Spurenelemente enthalten, die der Mensch zum Leben braucht. Die Blätter kommen ganz frisch aus dem Garten! – Und weil wir hier in Togo gesünder essen als Ihr in Europa, haben wir auch alle so tolle Zähne.“ Zum Beweis entblößte er sie. Ein solch gesundes Gebiß findet man tatsächlich kaum bei Europäern.
Um dieser Speise für alle Zeiten aus dem Wege zu gehen, wollte ich wissen, was man mir da aufgetischt hatte. Es handelte sich um eine Pflanze, die sich von Ägypten aus über Afrika bis nach Indien verbreitet hat. In Englisch heißt sie Jews Mallow, in Deutsch Muskraut oder Gemüsejudenpappel, eine spinatähnliche Malvenart, aus deren Stengel Jute hergestellt werden kann. Sie war später eines der Lieblingsgerichte in jüdischen Gemeinden, deshalb der Name.

Deftiges vom Niederrhein

Als ich elf Jahre alt war, hörte ich von meiner Mutter, daß es in unserer Verwandtschaft einen Jungen gäbe, der im Alter von sechs Jahren noch an der Brust seiner Mutter trinken würde. Weil meine Mutter gerne Scherze machte, wollte ich ihr nicht auf den Leim gehen und diese Geschichte nachprüfen. Für den Besuch bei der Bauernfamilie in Neukirchen-Vluyn, einem Nachbarort, brauchte ich natürlich einen Vorwand: Ich würde fragen, ob ich bei ihnen in den Ferien in der Ernte helfen könnte.
Es war Mittagszeit, ich saß mit der Bäuerin in der Küche. Sie schälte Kartoffeln, ich bestellte Grüße von meiner Mutter und erzählte irgendwelche Geschichten, um die Zeit zu überbrücken. Denn der kleine Arnold war noch in der Schule. Endlich stürmte er in die Küche und schmiß seinen Tornister in die Ecke. Dann rannte er auf seine Mutter zu und rief in seinem niederrheinischen Dialekt: „Mamm, lott meck an de Memm!“ (Mama, lass mich an deine Brust!). Tatsächlich nuckelte er geräuschvoll gut zehn Minuten lang auf beiden Seiten, bis er satt war. Er rülpste zufrieden und wischte sich mit der Hand die Milchspuren vom Mund. Dann endlich fand er Zeit, mich zu begrüßen.

Aus dem kleinen Arnold vom Niederrhein ist nicht etwa der Schauspieler und Muskelmann Arnold Schwarzenegger geworden; aber auch unser Arnold von Niederrhein wurde ein starker Kerl.


Ein Buch mit diesen Texten wird im August 2008 als Gemeinschaftsproduktion mit „Brot für die Welt“ im Sauerländer-Verlag (Patmos) Düsseldorf erscheinen.

© Hermann Schulz – Vorveröffentlichung in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung des Autors

Weitere Informationen unter: www.patmos.de