Sommerstunden des Lebens (5)

Tagebuchblätter und Skizzen

von Gisela von Baum
Sommerstunden des Lebens

Ahrenshop, Ostsee

Tagelang habe ich mich auf den Anblick des Meeres gefreut, schneller wird mein Schritt, denn schon füllt das kräftige Brausen mein Ohr, die Brandung kann nicht mehr weit sein. Der Geruch von Salz und Tang bringt Erinnerungen an frühere Tage, Wanderungen mit nackten Füßen im Sand, Spiel der Hände mit seinem Rieseln und Zusehen dem immerwährenden Wechsel der Farben und Wellen. Die See macht den Menschen Glücklich, der träumen kann, und dem es schon eine Lust ist, die kräftige Luft und die starke Sonne auf der nackten Haut zu spüren; den, der sich kindlich an den bunten Schätzen begeistert, die sie mit ungestümer oder zärtlicher Hand vor Dir ausbreitet. -

Du mußt sie abstreifen, die Ungeduld der Großstadt und ihre Jagd hinter der Zeit her, denn was können der See menschliche Stunden bedeuten, der See, die aus einem Felsblock in ein paar hundert Jahren einige Schaufeln voll Sand macht, mit dem Deine Hände heute spielen. -

Endlich liegt sie vor mir, die See, ruhig, gleißend mit dem Himmel verschmolzen, nur am Rand ein
paar spielende Kämme und Kräuseln, doch die Küste, die steil, zerklüftet vor mir abfällt, zeugt von ihrer herbstlichen Wut, die mit starken Fäusten Stück um Stück abreißt und mit gierigen Zähnen verschlingt. -

Ich ziehe meine Schuhe aus und renne hinunter, gleitend, bis meine Füße vom Wasser genetzt sind, tauche meine Hände hinein, werfe die Kleider von mir und springe in die Brandung, lasse von den Wogen mich werfen und tragen und lecke das Salz von den Lippen. - Am Horizont zieht langsam ein rostrotes Segel. -





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Illustrationen: Gisela von Baum