Sommerstunden des Lebens (11)

Tagebuchblätter und Skizzen

von Gisela von Baum
Sommerstunden des Lebens

Coraidelstein, im November

Mein lieber Michael... Ich möchte so gern ein wenig in der Welt herumbummeln und Dich ein Stückchen mitnehmen, aber ich bin angebunden, werde noch lange an den vielen Fesseln zerren müssen, ehe sie wieder locker werden, - da finde ich zu meiner Freude zwischen meinen Skizzen vier Blätter aus verschiedenen Zeiten, mit einer losen Gedankenverbindung, darum füge ich sie Dir zusammen; denn wäre es nicht herrlich, noch einmal über diese Plätze zu gehen, über die großen, auf denen man sich als ein Pünktchen verliert; über die Bühnen früherer Schicksale, auf denen wogende Menschenmassen einer Ketzerverbrennung genauso zujubelten wie einem fürstlichen Einzug oder dem Schauspiel einer fahrenden Truppe! -


Skizzenbuchblatt, Paris

 
Der Triumphbogen des Etoile sammelt und strahlt aus dem Atem dieser unvergleichlichen Stadt. Was
mag es nur sein, das dieser Großstadt einen besonderen Platz einräumt unter all den anderen, warum glänzen die Augen der Menschen und schwingen ihre Stimmen, wenn von ihr gesprochen wird? - Es ist nicht nur ihre Schönheit und Lage, es gibt noch viele baulich schöne Städte, es sind auch nicht nur die Bewohner, die sind in allen Weltstädten ein Gemisch alles Sprachen und Völker, es ist ein unerklärlicher Scharm, der über allem schwebt, auch noch über dem Häßlichsten und Banalsten. -

Auf dem Pont des Arts stehe ich lange und sehe in das fließende Wasser, das kalt und wenig lockend unter mir dahinzieht. Wieviel Großstadtelend mag seinen Kampf an dieser Brüstung beendet haben und wird es weiterhin tun? - Ewiger Kontrast! - Marmorne Paläste, malerische Armut und nackter Jammer des Alltags. - Kraftstrotzende Fülle der Natur auf Fäulnis und Verwesung, - erbittertes, verkümmertes Wachsen und Ringen auf kargem Felsen oder fliehendem Sand. -


Folgen Sie unserer jungen Freundin morgen weiter durch ihre "Sommerstunden des Lebens"!
 Illustrationen: Gisela von Baum