Kanzlers Kunst

Die private Sammlung von Helmut und Loki Schmidt

von Johannes Vesper

Kanzlers Kunst

Die private Sammlung von Helmut und Loki Schmidt
 
Von Johannes Vesper
 
Für die Kunstsammlung der Landgrafen in Kassel wurde bereits 1799 eines der ältesten Museen Kontinentaleuropas, das Friderizianum, fertig gestellt. Damit kann die private Sammlung von Helmut Schmidt, zwar kein Landgraf aber immerhin Bundeskanzler, natürlich nicht konkurrieren. Im Nachkriegsdeutschland gehörte er zu den wenigen, denen Kultur eine Herzensangelegenheit war. „Die Kunst spielt in meinem ganzen Leben ein große Rolle“ sagte er und ließ sich nach seiner Abwahl 1982 für die Galerie der Bundeskanzler vom DDR-Künstler Bernhard Heisig porträtieren. Auf seine Initiative hin wurde die Künstlersozialkasse in Deutschland gegründet und mit seinen Ausstellungen im Bundeskanzleramt die zeitgenössische Kunst gefördert.
 
Ca. 40 Jahre später wird das Interesse des Ehepaars Schmidt an Malerei und Kunst dokumentiert und ihre private Kunstsammlung im Barlach-Haus Hamburg ausgestellt. Schon als Schüler auf der Lichtwarkschule wurde Helmuts Kunstsinn gefördert. Später bekam er persönlichen Kontakt zur Künstlerkolonie in Fischerhude und Worpswede. Zurück aus dem Krieg, traten seine künstlerisch-musischen Interessen zunächst in den Hintergrund. Er arbeitete an seiner politischen Karriere, gründete als Verteidigungsminister immerhin die Bigband der Bundeswehr. Als Bundeskanzler aber (1975) betrieb er auf Empfehlung seines Pressesprechers Klaus Bölling Imagepflege, kaufte Henry Moore-Plastiken und stattete das neue Bundeskanzleramt mit Werken des deutschen Expressionismus aus. So wollte der ehemals begeisterte Hitlerjunge und jetzige Regierungschef Weltoffenheit darstellen und mit dem Noldezimmer wiedergutmachen, was Künstlern „entarteter Kunst“ in Nazi-Deutschland widerfahren ist. Das ist aus verschiedenen Gründen interessant. Helmut Schmidt hatte nämlich immer angegeben, anläßlich der Ausstellung „Entartete Kunst“ in München 1937 einen Bruch mit den NAZIs vollzogen zu haben, begeisterte er sich doch für dort diffamierte Künstler wie Ernst Barlach und den angeblich von den NAZIS verfolgten Emil Nolde. Seit den Forschungen von Bernard Fulda und der Ausstellung „Emil Nolde-eine deutsche Legende“ im Hamburger Bahnhof 2019 weiß man jedoch, wie sich der glühende Antisemit Nolde den Nazis angedient hat und wie liebend gerne er von ihnen, die ihn immer haben malen und verkaufen lassen, als Staatskünstler akzeptiert worden wäre. Opportunist Nolde pflegte erst nach Kriegsende seine Gegnerschaft zu den Nazis, erfand seine „innere Emigration“ und wollte diese mit kleinformatigen „ungemalten“ Bildern belegen. Und Siegfried Lenz unterstützte diese Sichtweise später wirkmächtig mit seiner „Deutschstunde. In Unkenntnis der Hintergründe stattete Helmut Schmidt seine Arbeitsräume unbefangen mit Noldes Werken aus und ließ sich solche auch von Unternehmerfreunden schenken. Das kann man ihm heute vorwerfen. Der Vorgang wird aber relativiert, wenn man erfährt, daß der in der deutschen Kunst- und Museumsszene herausragende Leopold Reidemeister, (Direktor der Kölner Museen und ab 1957 der ehemals staatlichen Museen Berlins, Gründer des Brücke-Museums), dieser engagierte Förderer moderner Kunst in Deutschland den Bundeskanzler bei seiner Wiedergutmachungskunst beraten hat. Irrwege sind auch in der Kunstgeschichte nicht nur Dilettanten vorbehalten. Geschenke wie Bilder renommierter Künstler im Wert von bis zu 150.000 DM an den amtierenden Bundeskanzler hat man damals nicht als Korruption angekreidet. Heute denkt man da anders.
 
Helmut Schmidts persönliches Verhältnis zur bildenden Kunst zeigt sich für mich besonders in dem Foto, welches ihn wenige Monate vor seinem Tod bei der Betrachtung der Skulptur „Das Wiedersehen“ zeigt (S. 149) sowie in seinem langjährigen, freundschaftlichen Verhältnis zum Dadaisten, Chaoten, erfolglosen Künstler und Wanderpropheten Franz Kaiser, der, jede bürgerliche Struktur bekämpfend, als „Universalgenie“ die „Diktatur der Gewalttätigkeit allen Feinden der Wahrheit gegenüber“ verfolgt hat.
 
„Kanzlers Kunst“ umfaßt rund 140 Werke, darunter einige Picassos, Dalis und Chagalls, viele Bilder norddeutscher und Hamburger Heimatkunst, kleinere Skulpturen und Tonarbeiten, auch etliche „Stehrümchen“ und spiegelt vor allem die Wohnsituation der Kanzlerfamilie wider, die aus einer Zeit stammt, als Kunst um ihrer selbst willen gekauft wurde und nicht um Geld anzulegen. Anläßlich der Ausstellung im Barlach-Haus Hamburg (bis 31.Jan 2021) erschien ein Katalog, in dem sich höchst informative und lesenswerte Essays zum Thema finden sowie zahlreiche Abbildungen. Der Katalog der Kanzlersammlung und der Abbildungsnachweis komplettieren das rare Werk, welches laut Auskunft des Verlags bei starkem Publikumsinteresse nicht in ausreichender Zahl produziert worden ist.
 
Kanzlers Kunst – Die private Sammlung von Helmut und Loki Schmidt
2020 Dölling und Galitz Verlag, 216 Seiten, gebunden, Fadenheftung, ca. 200 Abbildungen sowie Essays von Werner Irro, Reiner Lehberger, Bernhard Fulda, Saskia Bontjes van Beek, Antje Modersohn, Hendrik Heetlage, Karsten Müller, Kristina Volke und Friederike Weimar - ISBN978-3-86218-134-6
34,- €

Weitere Informationen: www.dugverlag.de