Einsamkeit

von Johannes Vesper

Foto © Frank Becker

Rückzug, Einsamkeit und Corona

Mitmenschen zu treffen ist riskant. Die Zahl der Neuinfektionen nahm trotz Lockdown light nicht ab, die Zahl der täglichen Toten aber deutlich zu. Ende September hatten wir in Deutschland 9 Corona-Tote pro Tag, heute mehr als 950!  Keiner will, auf dem Bauch liegend beatmet, einsam sterben. Die rund 17 Millionen Singles in Deutschland fühlen sich in diesen Zeiten besonders einsam. Die haben zu Hause nicht mal jemanden, mit dem sie sich in Ruhe streiten können. Reisen werden aus Gründen des Infektionsschutzes gestrichen.  „Was hilft es auch viel gesehen zu haben“ fragte sich Hugo von Hofmannsthal und wir alle uns, wenn wir nicht reisen dürfen? „Was suchen wir andere Länder unter anderer Sonne? Entkommt, wer sein Land hinter sich lässt, sich selber? (Horaz 65 - 8 v. Chr.). Das klingt ernst, noch ernster, wenn uns das Reisen faktisch verboten wird. Aber immerhin kann in Erwartung der letzten Reise inzwischen mit Hilfe von Animation oder Foto das Wunschgrab auf dem Friedhof vorab per Mausklick im Internet nach Lage, Ausstattung und Preis ausgesucht und bezahlt werden. Praktisch und dabei gibt es bisher trotz Corona keinen Engpaß. 
 
Scherz beiseite: bei „social distancing“, also bei physischer Trennung und fehlender Nähe geliebter Menschen infolge der Pest war bei Albert Camus sogar das Briefschreiben verboten. Was heute als Kurznachricht elektronisch den Mitmenschen antwittert, wurde damals per Telegramm übermittelt. Helfen digitale Videoschalten menschliche Nähe zu erreichen?  Was aber, wenn ein Ende solcher Beschränkungen nicht absehbar bzw. unter dem Gesichtspunkt des Infektions- und Lebensschutzes Einsamkeit auf Dauer angesagt ist? Wilhelm Busch sah das locker: „Wer einsam ist, der hat es gut, weil keiner da, der ihm was tut“.  Natürlich gab es schon vor Pandemiezeiten Gründe für Einsiedelei. Jesus, einer der ersten Einsiedler, fastete 40 Tage einsam in der Wüste und konnte nur so allen Versuchungen des Satans widerstehen. Hätte die Partyjugend heute doch bloß im Konfirmationsunterricht aufgepaßt! Im christlichen Mittelalter suchten die Einsiedler einsam in den Klausen das Heil ihrer Seele. Unter den Philosophen, die ja eigentlich immer den Diskurs mit anderen suchen, fällt Blaise Pascal (1623-1662) auf, der meinte, alles Unglück der Menschen rühre, „daß sie nicht verstehen sich ruhig in der Stube zu halten“. Mit solchen Bemerkungen gehörte er, der bereits mit 39 Jahren verstarb , sicher nicht der Spaß- und Partygeneration seiner Zeit, schrieb er doch: „Der Mensch, ausgestattet mit einer guten Portion Eigenliebe, haßt nichts so sehr als mit sich allein zu sein“ da „findet er in sich eine Masse von unvermeidlichen Schwächen und einen Mangel an wahren und sicheren Gütern...“ und mahnte, daß Belustigung und Zeitvertreib keinen anderen Zweck habe, als Lebenszeit tot zu schlagen bzw. und zu verbraten, vor allem wenn die Party heiß war, was man ja immer hofft. Arthur Schopenhauer, ein Misanthrop der Sonderklasse, wohnte zusammen nur mit seinem Pudel alleine in der Wohnung und erzählte ihm von unserer „Unfähigkeit, Einsamkeit, eigene innere Leere... zu ertragen“, glaubte, daß wir derentwegen reisen und Partys veranstalten. Ist der Mensch prinzipiell eher ein Herdentier? Der unglückliche Franz Kafka überwand eine seiner Lebenskrisen einsam, fühlte sich in der Einsamkeit wohl und schrieb an seinen Freund: „mein einziges Ziel , meine größte Lockung , meine Möglichkeit und, vorausgesetzt, daß man überhaupt davon reden kann, daß ich mein Leben „eingerichtet“ habe, daß sich die Einsamkeit darin wohlfühle“ (Kafkas Brief an seinen Freund Max Brod vom 11.09.22, wurde jetzt vom Literaturarchiv Marbach erworben). Kurze Zeit nach dieser Äußerung verlor er seine Stimme durch Ausbreitung der Tuberkulose auf den Kehlkopf, wurde bettlägerig, schrieb alleine für sich weiter und weiter bevor er zwei Jahre später starb.    
 
Aktuell lotet Cécile Wajsbrot den Zusammenhang zwischen Einsamkeit und Zerstörung von Kultur, zwischen der Leere der Welt und diffuser Angst aus (Roman „Zerstörung“). Trost bietet sie nicht.          
Aber dann ist da noch Friedrich Rückert (1788-1866) mit seinem Gedicht:
 
Ich bin der Welt abhanden gekommen,
Mit der ich sonst viele Zeit verdorben,
Sie hat so lange nichts von mir vernommen,
Sie mag wohl glauben, ich sei gestorben!

Es ist mir auch gar nichts daran gelegen,
Ob sie mich für gestorben hält,
Ich kann auch gar nichts sagen dagegen,
Denn wirklich bin ich gestorben der Welt.

Ich bin gestorben dem Weltgetümmel,
Und ruh' in einem stillen Gebiet!
Ich leb' allein in meinem Himmel,
In meinem Lieben, in meinem Lied!
 
Gustav Mahler hat dieses Lied vertont, wahrhaft Gänsehautmusik, wenn die wunderbare Jessy Norman in Begleitung der New Yorker Philharmoniker unter Zubin Meta singt. Immerhin bieten Geige, Oboe, Harfe, Liebe und Lied starken Trost in schlimmen Zeiten. Musik hilft beim „vertrauten Umgang mit sich selbst“. So definierte Robert Schumann die Einsamkeit, die schon immer eine philosophische Herausforderung bedeutete, jetzt aber in Pandemiezeiten gar Leben rettet.