Das Menschliche und das Göttliche

Caravaggio im Dresdner Zwinger - online

von Johannes Vesper

Caravaggio Dresden, Ausstellungsansicht - Foto: David Pinzer

Das Menschlicheund das Göttliche

Caravaggios künstlerisches Erbe im Dresdner Zwinger online
 
Schon zu Lebzeiten wurde er in Rom gefeiert. Michelangelo Merisi da Caravaggio (1571-1610) mischte in Rom um 1600 die Szene auf als Trunkenbold, Streithahn und Skandalnudel. Aus Rom mußte er schwer verwundet fliehen, weil im Mai des Jahres 1606 ihm Totschlag angelastet wurde, als nach einer bewaffneten Auseinandersetzung sein Kontrahent umgekommen war. Seit Jahren war Caravaggio da schon mit den Huren der Bordelle ebenso bekannt wie mit Personal der römischen Gefängnisse. Aber er galt als Star am römischen Kunsthimmel und wurde europaweit diskutiert. Sein berühmtes Gemälde des nahezu nackten, sich räkelnden Johannes des Täufers steht im Zentrum dieser Dresdener Ausstellung wie das knabenhafte Gemächt des Heiligen im Zentrum dieses Bildes. Das Bild wurde aus dem Kapitolinischen Museum in Rom für diese Ausstellung ausgeliehen. Aber wen hat er hier gemalt.? Einen Hirten, den schönen Paris aus Troja? Die Nacktheit des heiligen Johannes befremdet. Der Kreuzstab als sein Kennzeichen fehlt, und das Lamm ist hier zum zärtlichen Widder mutiert. Solche Fragen der Ikonographie werden von Valeska von Rosen im Katalog umfassend diskutiert.
 

Caravaggio, Johannes der Täufer, 1602

Karel van Mander aus den Niederlanden kannte Caravaggio selbstverständlich und lobte in seiner frühen Kunstgeschichte (Schilder-Boek von 1604) die Lebendigkeit seiner Gemälde. Der Einfluß Caravaggios auf die Künstlergenerationen nach ihm ist das Thema der Ausstellung in Dresden bzw. des Katalogs, was ein bißchen in die Irre führt. Von ihm selbst gibt es leider nur dieses eine Bild in der Ausstellung. Vor allem also auch nur anhand des Bildmaterials im Katalog kann nachvollzogen werden, wie Bildszenen übernommen und trotz Übernahme der Bildregie neu interpretiert worden sind. In der Ausstellung werden zahlreiche Bilder der Staatlichen Kunstsammlungen aus dem 17. Jahrhundert gezeigt, die durch Ankäufe von August dem Starken (100 Meisterwerke aus der Sammlung des Herzogs Francesco III. d Èste aus Modena 1646, 69 Gemälde 1649 aus der Kaiserlichen Galerie zu Prag 1649) nach Dresden gekommen waren. Caravaggio befand sich mit seinem Gegenspieler und ebenfalls berühmtem Zeitgenossen Annibale Caracci im Wettbewerb vor allem um attraktive, laszive Knabenbilder. Von ihm sind immerhin fünf Werke in der Ausstellung zu sehen. Zur Motivation der damaligen Sammler, meist hohen kirchlichen Würdenträgern, wird man sich heute kaum adäquat äußern wollen und können. Noch 2014 vermochte Caravaggio Skandale auszulösen, als das Publikum in Berlin verlangte, seinen „obszönen“ „Amor als Sieger“ abzuhängen. Kinderpornographie gehöre nicht ins Museum. Man war damals wegen eines kinderpornographischen Skandals in der Politik besonders sensibilisiert. Unter Hinweis auf die Freiheit der Kunst blieb das Bild aber hängen. Um 1600 dachte man da anders. Wie Judith, mit spitzen Brustwarzen voll im Licht stehend, den Holofernes köpft, ihm den Hals mit dem Säbel schon zur Hälfte durchtrennt hat, ist an blutiger Dramatik kaum zu überbieten. Seine Signatur auf dem Bild „Die Enthauptung des Johannes“, bildet dieser Maler aus dem Blut, das aus beim Köpfen auf den Boden rinnt. Über seine Kirchengemälde z.B. die Matthäus-Gemälde in der Contarelli-Kappel der römischen Kirche St. Luigi dei Francesi wurde er einem großen Publikum bekannt, auch weil er hier sein eigenes Porträt im dunklen Bildhintergrund aufleuchten läßt. Seine Apostel erscheinen als Tagelöhner, zum Teil mit dreckigen Füßen, seine Engel als lebensfrische, attraktive weibliche Wesen. Man ergetzte sich an der Lichtregie, an der Wucht der Emotionalität, am Realismus, an der Lebensnähe und Diesseitigkeit. Bei den geöffneten Mündern glaubt man die Schreckensschreie, das lustvolle oder schmerzhafte Stöhnen der Gemalten zu hören, also sozusagen mit den Ohren zu sehen. Keine Auseinandersetzung mit der Tradition und keine Nacktheit wurden gescheut.
 

Francisco de Zurbaran, Das Gebet des Heiligen Bonaventura 1628-29

 „Das Göttliche und das Menschliche“ die große Ausstellung in Dresdens Galerie Alter Meister (Zwinger) endete eigentlich schon am 17.01.20, wurde aber der Pandemie wegen verlängert. Und obwohl der Zwinger geschlossen ist, kann man in kostenlosen, virtuellen, lebendigen wie kurzweiligen Führungen und Youtube-Präsentationen der „Kuratorin im Gespräch“ folgen. Dr. Klaudia Gryza-Gersch erzählt und zeigt im Film interessant z.B. den Schwertransport der Marmor-Skulptur des Johannes des Täufers von (1580-1654) aus der Hofkirche auf den Sockel in der Ausstellung. Er war nur mit den Dresdener Ratchaisenträgern zu bewerkstelligen ist, die seit 1705 (!) sozusagen als Vorgänger des ÖPNV zunächst ihre hochgestellten Fahrgäste in Sänften durch die Stadt, später und noch heute vor allem museale Schwerlasten befördern. Wie Francesco Mochis marmorner Johannes dieser apokalyptische Prediger, der lange als ein Werk Berninis angesehen wurde, nach Dresden kam, ist eine eigene Geschichte wert. Der Bildhauer war damals sehr bekannt, schuf er doch u.a. die neun Meter hohe Heilige Veronika, die im Petersdom an einer der vier mächtigen zentralen Säulen die Vierungskuppel tragen. Dies und mehr erfährt man bei der Betrachtung von mehr als 50 Werken der Ausstellung. Wie die Museen das Aussperren der Besucher durch die Corona-Maßnahmen überstehen werden, weiß naturgemäß keiner. In diesen Tagen wandten sich die Museen sorgenvoll an die Kultusministerkonferenz und boten an „den Hunger auf Kultur“ unter Corona-Bedingungen nicht nur virtuell-digital zu stillen. Ob die virtuellen Video-Angebote dem Publikum auf Dauer reichen? Museumsbesuche könnte das Publikum auch in Präsenz unter Wahrung sämtlich verordneter Coronabedingungen angstfrei ohne signifikantes Risiko wahrnehmen. Fußball wird gespielt und der Besuch eines Supermarktes scheint gefährlicher! Kulturnation?
 
Über den Link der Galerie Alter Meister kann man mit etwas Glück an Führungen durch die Ausstellung kostenlos teilnehmen. Die Anzahl der Teilnehmer ist auf 100 begrenzt. Beim virtuellen Zoom-Besuch des Rezensenten 20 Minuten vor Beginn war die Höchstzahl der zulässigen Teilnehmer, bedauerlicherweise bereits überschritten.
 

Caravaggio Dresden, Ausstellungsansicht - Foto: David Pinzer

Zur Ausstellung erschien im Sandstein Verlag ein Katalog:
Caravaggio – Das Menschliche und das Göttliche
herausgegeben von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Stephan Koja, Iris Yvonne Wagner
Essays: Stefan Koja (Caravaggio), Valeska von Rosen (Im Wettbewerb um attraktive Knabenbilder), Iris Yvonne Wagner (Transformation und Innovation im Werk Caravaggios / Zwischen Sakralem und Profanem / David und Goliath), Christoph Orth (Grenzfälle / Von Heiligen und Helden), Anja Heitzer (Caravaggio in den Niederlanden)
Im Anhang: Verena Perlhefter („Una vita violenta“ Das Leben des Michelangelo Merisi da Caravaggio)
2020 Sandstein Verlag, 192 Seiten, fester Einband, 143 farbige Abbildungen, 28 x 24 cm - ISBN 978-3-95498569-2
35,-€
 
Zusätzliche Termine für virtuelle Rundgänge:
2.2. – 18.00 Uhr
5.2. – 18.00 Uhr
6.2. – 11.00 Uhr
9.2. – 18.00 Uhr
12.2. – 18.00 Uhr
13.2. – 11.00 Uhr