Beethovens Klavierkonzerte unter Corona
Die 22. CD des Wuppertaler Sinfonieorchesters
Zum Beethoven-Jubiläum 2020 sollte der bedeutendste Komponist der westlichen Kunstmusik auch in Wuppertal besonders geehrt werden. Nicht nur sollten beim „Beethoven Pastoral Project“ Klezmer und Sufi-Musik der „Pastorale“ gegenübergestellt werden; auch seine fünf Klavierkonzerte waren an zwei Abenden im Juni 2020 vorgesehen mit Artur Pizarro aus Portugal als Solisten, der im Febr. 2019 im Großen Saal mit dem 4. Klavierkonzert Beethovens sein eindrucksvolles Debüt gegeben hatte. Damit wollte man anschließend auf Tournee gehen und z.B. in Lissabon auftreten. Große Pläne, die auf dem Altar der Corona-Pandemie geopfert werden mußten. Aber daraus entstand das Projekt, alle Klavierkonzerte auf CD aufzunehmen. Das gemeinnützige Label Odradek Records, produziert unabhängig von üblichen marktbestimmenden Faktoren und war interessiert. Es stellte von sich aus dafür den modernen Bechstein-Flügel D282 mit dem Werksstimmer zur Verfügung. Diese Aufnahme wäre nicht die einzige Aufnahme auf dem Markt. Die größten Pianisten (z.B. Kissin, Zimmermann, Gilels, Richter, Barenboim, Brendel u.a.) mit den berühmtesten Orchester (Wiener Philharmoniker, Cleveland Orchestra, Berliner Philharmoniker u.a.) haben die 5 Klavierkonzerte Ludwig van Beethovens (1770-1827) eingespielt.
Der erste Aufnahmetermin im Januar 2021 reichte wegen Coronaeinschränkungen nur für die Klavierkonzerte 1-3. Die Immanuelskirche mit ihrer auch ohne Publikum legendären Akustik erwies sich für dieses Projekt als sehr gut geeignet. Der große Saal der Stadthalle neigt dagegen ohne Publikum zu Überakustik. Bei zunehmenden Infektionszahlen lag das Projekt nach dem Abbruch der Aufnahmen dann erst einmal auf Eis. Am 14. März aber galt dem RKI (Robert Koch Institut) Portugal plötzlich nicht mehr als Virusvariantengebiet, sodaß für den Pianisten die Reisebeschränkungen plötzlich und unerwartet wegfielen. Sofort liefen die Telefone heiß: Immanuelskirche, Flugkarten für den Pianisten (aus Portugal) wie für den Klavierstimmer aus Berlin wurden gebucht und der Toningenieur alarmiert. Das Orchester war bereits schon in der Woche zuvor wegen Aufnahmen für ein Streaming-Sinfoniekonzert aus der Kurzarbeit geholt worden. Also konnte am 21.03.21 die erste Probe unter den ausgeklügelten Bedingungen der aktuellen Coronaschutzverordnung stattfinden, die anders wo schon seit langem vieles möglich gemacht hat. In Berlin haben die Philharmoniker kürzlich gar ein Präsenzkonzert ermöglicht. Zu den Proben hier werden alle Bläser, die Dirigentin und der Solist alle 48 Stunden getestet. Neun erste, sechs zweite Geigen, vier Violoncelli und 4 Bratschen, zwei Kontrabässe sitzen unter den zahlreichen Aufnahmemikrophonen auf gehörigem 2m Abstand immer mit Mund-Nasenschutz, dahinter Holz- und Blechbläser ohne wie auch Dirigentin und Solist. Und ganz hinten thront der Schlagzeuger über seinen Barockpauken vor rotem Tuch, welches „vom Himmel“ herabhängt. Wie immer hat er alles im Blick. Georg Kreislers Erotik der Instrumente will sich hier noch nicht recht einstellen. Der Solist fingert sich auf dem Flügel ein, die Musikerinnen und Musiker auf ihren Instrumenten: noch keine Musik aber klangvolles, produktives Chaos. Schließlich bittet Konzertmeister Nikolai Mintchev mit fast drohend erhobenem Bogen um Ruhe bzw. zum Stimmen. Da erscheint die Generalmusikdirektorin Julia Jones, kündigt an „Bitte 4. Klavierkonzert, 3 Satz“, hebt den Stab und beginnt. Nach wenigen Takten bricht sie schon wieder ab, möchte die Phrase von den Violinen noch lebhafter, organischer hören, bittet darum mit ausgebreiteten Armen und tiefer Verbeugung. Beim 3. Durchgang ist sie endlich zufrieden. Subtil spürt sie der Atmung und Agogik des Solisten nach und vermittelt mit Händen, Armen und Stab dem Orchester den musikalischen Fluß dieses Rondos, diskutiert mit den Bratschen, die als Mittelstimme untergehen könnten. Plötzlich läuft der Konzertmeister hinaus: „Es zieht wie Hechtsuppe. Ich wollte nur schauen ob die Türen geschlossen sind“ erklärt er der überraschten Dirigentin. Höchst konzentriert wird in der nächsten Stunde der ganze Satz nahezu Takt für Takt durchgearbeitet. Die Kommunikation gelingt trotz des ungewohnten Abstands und aus den Augen des Pianisten funkeln Zufriedenheit und Humor. Bei dieser ersten Probe nimmt der Tonmeister - er sitzt außerhalb des Kirchsaales in der ehemaligen Sakristei“ – noch nicht systematisch auf, sondern testet seine Mischpulte und regelt die Mikrophone ein. In dieser Weise wird zweimal drei Stunden pro Tag, fünf Tage lang geprobt. Auf die Aufnahme wird der Tonmeister darüber hinaus Einfluß nehmen und auch von sich aus über die Lautsprecherverbindung zum Saal unterbrechen, um eine Passage gegebenenfalls erneut aufzunehmen. Seinen Ohren entgeht nichts. Aus den sogenannten Tracks, von denen es zahlreiche -vermutlich mehr als hundert - geben wird, kann er endlich die Musik so zusammenschneiden, wie sie auf der CD zu hören sein wird. Ihr Genuß im Wohnzimmer ist also mit dem sinnlichen Konzerterlebnis im Saal nicht zu vergleichen. So eine Orchesterprobe hat ihre ganz eigene Atmosphäre. Mit Kritik, Selbstkritik, gegenseitigem Respekt folgen die ca. 50 Musiker hochmotiviert den musikalischen Vorstellungen und setzen sie um. Vielleicht gibt es in der Zusammenarbeit zwischen Dirigenten und Orchester in den letzten 100 Jahren tatsächlich Fortschritte, und die Toscaninis sterben aus. Sie haben als machtbesessene Tyrannen und Imperatoren des Taktstocks - Gendersternchen fällt hier wirklich weg - geglaubt, nur Macht, Hohn und Demütigung trieben ein Orchester zu Höchstleistungen an.
Mit diesen Aufnahmen verabschiedet sich nach zunächst Frau Jones aus Wuppertal. Ob es ein leibhaftiges Abschiedskonzert im Großen Saal geben wird?
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