Ich komme soeben von einer Vernissage

von Hanns Dieter Hüsch

© Jürgen Pankarz

Ich komme soeben von einer Vernissage

Es gab Reden und es gab Drinks
Keine Nackten und keine Toten
Der Künstler, ein Linkshänder, nahm auch die Drinks links
und meinte, das Linksauslegen im Malprozeß sei eine seiner
vielen persönlichen Noten.

Nolde sei ihm zu fleckig
Kokoschka zu scheckig
Juan Gris zu eckig
Und Buffet zu dreckig

Und da bildete sich auch schon ein Rund
Und ein Langhaarwesen öffnete offiziell den Mund:
Exzellenzen, Herr Kultusminister, etcetera,
Meine Damen und Herrn, schön, daß wir da.

Wir danken dem Staat und der Stadt,
dem Minister, der Industrie, der Gruppe 59 und dem Rat,
daß dies hier ist und so und so,
und gerade hier und nicht anderswo

Der Künstler aber meinte,
Lissitzki sei ihm zu arithmetisch
Kandinsky zu vordergründig-prophetisch
Klee zu hintergründig poetisch
Und Schwitters von vornherein zu synthetisch
Was er wolle, sei zwar noch sehr variabel
Schmidt-Rottluff sei für ihn völlig indiskutabel

Tja und dann defilierten auf einen Wink
Distinguierte Livrierte vorbei und es gab einen Drink
Und dann kam der erste Redner dran
Ein Kulturfetischist aus der neuen Gruppe 61 aus der Stadt nebenan
«Mir scheint hier die Materie, die graue und braune aufgerufen
ein Urschlamm entläßt kostbare, plastische Stufen
während eine gehaltene Farbigkeit alles im «Zwischen» hält
verraten Strukturen Geheimnis vom Sein einer zuhandenen Welt
Boccioni hat wohl hier Pate gestanden.»

Jetzt dachte ich wäre ein Drink wohl angebracht
oder der Rückzug, doch die Tür war bewacht
also bleib ich und lauschte der hohen Misere
denn ein weiterer Interpret hatte die Ehre.

Und der kannte den Meister nun ganz genau:
«Keine Natur-Eruptionen,
keine Nur-Emotionen,
kein konstruktivistischer Bau!

Aber auch kein korrigierter Zufall
auch nicht von Seelensynkopen der Abfall,
sondern: Leinwand im Sinne menschlicher Strömungen voll
Leben ausstrahlend, die weite Skala von Dur nach Moll! »

Spontan folgte hierauf esoterischer Applaus
Und man spürte, die Vernissage ist aus,
das heißt, es hieß noch: Der Künstler spricht!
Aber man glaubte zu hören: Der Künstler spricht nicht.

Jedenfalls drängten die meisten der Türe zu
Vorbei an des Meisters «Blinder Kuh»
Und der Künstler, der schon zum Sprechen da stand
Spreizte nur noch die Finger seiner linken Hand.
 

Hanns Dieter Hüsch


© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Zugabe" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Die Zeichnung stellte dankenswerterweise Jürgen Pankarz zur Verfügung.