Spätromantik und Ende der Belle Epoque

Sitkovetsky Trio – „Ravel & Saint-Saëns piano trios”

von Johannes Vesper

Spätromantik und Ende der Belle Epoque
 
Sitkovetsky Trio - Ravel & Saint-Saëns piano trios
 
Komponiert hat Maurice Ravel sein Klaviertrio von April bis August 1914 und zwar bei einem Aufenthalt im Baskenland, aus dem er stammte. Da lag sein Trauma des nie erhaltenden Rompreises schon Jahre hinter ihm. Das Klaviertrio folgt in der Reihenfolge seiner Werke auf die schon 1911 uraufgeführten Valses nobles et sentimentales für Klavier. Im ungewöhnlichen 8:8 Takt des 1. Satzes (Modéré), nach Betonung geteilt in 3:2:3 oder 3:3:2, erinnert dieser an den 5-er Zortziko-Rhythmus baskischer Volksmusik. Im 2. Satz assoziiert der Komponist musikalisch an das Pantun, eine damals in Frankreich beliebte malaysische Gedichtform. „Assez vif“ ist der Satz überschrieben, der flott und agil, rhythmisch kompliziert, und höchst virtuos vorüber braust. Crescendo- decrescendo Arpeggien erinnern an die Orchesterfassung von La Valse. Mit der Passacaglia des 3. Satzes öffnet sich eine ruhigere gleichwohl bedeutende Atmosphäre, bevor Cello und Geige im lyrischen Duo das stille Ende (Pianissimo) in der Tiefe des Klaviers vorbereiten. Das beseelte Anímé des schnellen letzten Satzes beginnt mit chromatisch-wirbelndem Fünfton-Thema. Cello und Klavier taumeln bald rhythmisch zusammen unter langem Trillern der Geige. Trommelnde Triolen, Pizzicati bauen sich mit ungeheurem Raffinement zu musikalischen Höhepunkten auf, die auch wieder zerfallen, bis dann die Schlussapotheose das Ende bringt. Mit der „Hellsicht und dem Trübsinn eines Verrückten“ komponiert Ravel dieses impressionistisch „schwirrende Kaleidoskop von Farben und Träumen“ abartiger Virtuosität angesichts des beginnenden 1. Weltkriegs Mit Spielfreude, Temperament und intelligenter Souveränität teilt das Trio die musikalischen Emotionen und die Ausbrüche des 25jährigen Maurice Ravel.
 
Camille Saint-Saëns (1835-1921) ist in Deutschland vor allem als Komponist vom „Karneval der Tiere“ bekannt geworden, während sein höchst umfangreiches und reizvolles Werk (Opern, Konzerte, Sinfonien, Orgelstücke und vieles andere mehr) darüber hinaus nur gelegentlich aufgeführt wird. Als Klaviervirtuose, Komponist, Organist, musikalischer Lehrer erlangte er große Bedeutung in Frankreich. Als brillanter Schriftsteller hatte er ein differenziertes Verhältnis zu Richard Wagner und mochte Le Wagnérisme nicht. Zusammen mit Caesar Franck, Jules Massenet u.a. gründete er die Société Nationale de Musique 1871, um den deutschen Einfluss vor allem in der Kammermusik zu begrenzen. Unterstützt und vermittelt von Franz Liszt wurde seine Oper „Samson und Dalila“ in Weimar und sein 1. Und 3. Klavierkonzert in Leipzig 1865 und 69 mit ihm als Solisten uraufgeführt. Rund 50 Kammermusikwerke schrieb Camille Saint-Saëns im Laufe seines langen Komponistenlebens, die vor allem in Deutschland eher selten gespielt werden. Von daher ist es verdienstvoll, sich seines spätromantischen Klaviertrios Nr. 2 e-moll (op. 92) von 1892 anzunehmen. Auch wenn er schrieb, daß die Arbeit an der Komposition für ihn das wahre Glück sei, tat er sich nicht leicht damit („Ich meißele, schabe, feile..“). Bei der Uraufführung 1892 spielte er zwar nicht den Klavierpart, aber 1920 in Athen noch als 84jähriger.
 
Das fünfsätzige Werk beginnt und endet mit dramatischen Allegros, die drei Mittelsätze einrahmen. Bietet das Werk Einblicke in „den Abgrund und verborgene Winkel seiner dunklen verzweifelten Seele“? Vielleicht.
Das lyrisch-sehnendes Dreitonthema vor lebhaften Hintergrundarpeggien wechselt nach ruhigerem Mittelteil, inzwischen derb punktiert, vorübergehend seinen Charakter, immer hoch virtuos vom Klavier umspielt. So entwickelt sich die Durchführung kraftvoll, bis zuletzt nach kurzer Originalpause der Satz zu ernstem Ende kommt. Mit schwebendem 5/8 Takt beginnt das liedhafte Allegretto des 2. Satzes, welches bald an Bedeutung wie an Geschwindigkeit zunimmt. Das Andante des 3. Satzes wird durch sein eindringliches Hauptthema mit punktiert absteigender Tonfolge charakterisiert. Der 4. Satz (Grazioso, poco Allegro) beginnt mit langem Vorhalt und entspricht vielleicht am ehesten einem Scherzo. Die lange Tonfolge (Rezitativ?) des 5. Satzes in ernstem Dreiertakt taucht immer wieder auf und wird zwischen schwelgenden Streichermelodien kontrapunktisch zuletzt gar mit Fuge durchgearbeitet. Nach Ritardando, Generalpause, nachdenklichem Intermezzo, endet das gefällige Werk mit heftiger Schlußstretta im Unisono. Ravel rühmte bei Saint-Saëns „die Klarheit, die geflügelte Eleganz und die Leichtigkeit“. Nimmt man Empfindsamkeit und Souveränität noch dazu, kann man diese fabelhafte Aufnahme besser nicht charakterisieren.
 

SitkovetskyTrio - Foto © Vincy Ng

Das Sitkovetsky-Trio fand sich 2007 zusammen, spielt in den großen Konzertsälen Europas, auf den bedeutenden Festspiel von Gstaad bis Bergen. Konzerttourneen führten nach Asien, Australien in die USA und nach Lateinamerika.
In Folge der Coronaeinschränkungen haben die drei Musiker tief in der 2 und 3 Welle der Pandemie darüber nachgedacht, wie diese Aufnahme präsentiert werden konnte auch ohne Live-Konzerte. Zusammen mit Pavel Hudec. Bassist und Kurzfilmer, entstand so ein kurzer animierender Zeichentrickfilm, in welchem Ereignisse rund um das Klaviertrio Ravels aus der Zeit seiner Entstehung dargestellt werden bis hin nach Malaysia mit seinem Pantun (auch Pantum oder Pantoum) und zum Konzert des Trios im Theatre du Chatelet, mit dem Maurice Ravel wahrscheinlich in Kenntnis auch dieses hochwertigen Tonträgers sehr zufrieden ist, wie man da sieht. Amüsant. https://www.youtube.com/watch?v=r7-NLOQpomk
 
Sitkovetsky Trio – „Ravel & Saint-Saëns piano trios” (SACD)
Beiheft mit Text von Jean-Pascal Vachon 2021 (Englisch, Deutsch Französisch)
Alexander Sitkovetsky (violin) - Isang Enders (cello) - Wu Quian (piano)
© 2021 BIS Records AB
Stücke:
Maurice Ravel (1875-1937) Piano Trio in a-minor (1914) 1. Modéré, 2 Pantoum. Assez vif, 3. Passacaille, 4. Final. Animé,
Camille Saint-Saëns (1835-1921) Piano Trio No.2 in E minor, Op.92 5. Allegro non troppo, 6 Allegretto, 7, Andante con moto 8. Graziosos, poco allegro, 9. Allegro.
Gesamtzeit:  1:00:58