Das ist schon revolutionary, jedenfalls umwerfend.

Eckart Runge - Jacques Ammon – „Revolutionary”

von Johannes Vesper

Das ist schon revolutionary,
jedenfalls umwerfend.
 
Rock und Klassik im trauten Miteinander
 
Seitdem Eckart Runge aus dem Artemis-Quartett ausgestiegen ist, spielt er, so darf man annehmen, ausschließlich das, was im Spaß macht. So kam es jetzt zu „Revolutionary“. So hat man noch keinen Cello spielen gehört, geschweige denn gesehen. Seine Neigung zu virtuoser Akrobatik äußert sich nicht nur, wenn er auf dem Cello der Gebrüder Amati von 1595 konzertiert, sondern auch, wenn er im Beiheft auf der mittleren Querstange eines Edelstahlgeländers horizontal für ein Foto posiert: das Cello zwischen den Beinen, mit rechtem Bein und rechtem Arm über der oberen Geländerstange die Lage stabilisierend, streicht er kräftig mit dem Bogen die Cellosaiten, während die linke Hand in mutmaßlich vierter Lage auf dem Griffbrett fingert. Das Ganze in Konzertkleidung, also schwarzer Hose und weißes Hemd. Daneben sitzt locker Jacques Ammon mit Noten unterm Arm, weiß offensichtlich nicht, wie er seinen Flügel auf das Geländer bekommt und was er von der Situation halten soll. Über Musik und Revolution haben die beiden mit Arno Lücker diskutiert (Beiheft) und stellen auf dieser Neuaufnahme fast zeitgenössische, höchst erfolgreiche Rock- Pop, Jazz- und Soulmusiker dem revolutionären Ludwig van Beethoven (1770-1827) gegenüber.
 
Zu Beginn ist die einzige Originalkomposition für diese Besetzung zu hören: Beethovens Sonata Nr. 4, op. 102/2 von 1815, die bei der Uraufführung vom Publikum skeptisch aufgenommen wurde. Beethoven hatte sie für den jungen Cellisten Joseph Linke geschrieben, dessen Spiel er anscheinend trotz inzwischen ausgeprägter Taubheit zu schätzen wußte. Hier kündigt sich der unglückliche, späte Beethoven an. 1815 trat er zum letzten Mal als Pianist auf. Am Klavier benutzte er schon einen Schalltrichter, mußte nach dem Tod seines Bruders die Vormundschaft für seinen Neffen übernehmen und selbst eine „ferne Geliebte“ gab es nicht mehr.
Amy Winehouse (1983-2011) verkaufte 33,2 Millionen Tonträger in den 8 Jahren ihres Erfolgs als junge Soul-, Jazzsängerin und -schreiberin. Mit 19 Jahren hatte sie damit angefangen, kam aber gegen Bulimie, Drogen- und Alkoholsucht nicht an und starb an akuter Alkoholvergiftung. Beim Arrangement „Back to Black“ (von 2006) glaubt man zu rhythmisierten Akkordschlägen erstmal auf dem Flügel geradezu Ella Fitzgerald durchs Cello zu hören. Zeitweise munter jazzig, dann wieder elegisch und traurig kommt es zu trotzigem Schluß.
Zu seinem kleinen Gedicht „Adelaide“ schrieb der deutsche Lyriker Friedrich von Matthisson (1761-1831): „Mehrere Tonkünstler beseelten die kleine lyrische Phantasie durch Musik“ und natürlich keiner so wie der junge Beethoven mit seinem Kunstlied. Inzwischen spüren aber Eckart Runge und Jacques Ammon Friedrich und der Stimmung des Verliebten rein musikalisch nach. Von Matthissons Text ist für dieses Lied ohne Worte nicht mehr nötig.
In „Purple Haze“ von 1967 spiegelt sich vielleicht die verzweifelte Jugend von Jimi Hendrix (1942-1970). Sein Liebeslied mit jaulenden Glissandi, Amati-Cello statt Schlaggitarre, konfusem Klavier ist kein romantisches Liebeslied ohne Worte wie für Beethovens Mädchen. Ob Jimi Hendrix unter Drogen stand bei diesem Lied? Jedenfalls hat das Mädchen, so wie Klavier und Cello durch alle Lagen wirbeln und toben, ihn völlig verzaubert.
 
Beethovens Adagio (Arioso dolente) aus der Klaviersonate op 110 oder die Cavatina aus dem Streichquartett op 130, beide bearbeitet für Cello und Klavier, bieten fremde, unerwartete Eindrücke, die Beethoven sich so nicht vorgestellt hatte. Wie Cello und Klavier den Ausdruck dieser Musik verändern, das wäre eine eigene Untersuchung wert. Solche Bearbeitungen sind nicht ungewöhnlich. Auch La Valse in der Orchesterfassung, die Goldberg-Variationen für Streichtrio, oder die Liszt Bearbeitungen der Beethovenschen Sinfonien klingen ganz anders als die jeweiligen Originalfassungen für Klavier, Cembalo oder Orchester.
Beim „Bebop Tango“ von Frank Zappa (1940-1993), dessen zweite Frau übrigens Adelaide hieß, üben sich Cello und Klavier in hartem Rock, lachen die beiden, wenn sie Genie und Wahnsinn in anspruchsvoller Technik ausspielen. Es gibt es nur wenige lyrische Momente.

Die Bearbeitungen von Wolf Kerschek, des Fachbereichleiters „Jazz“ an der Musikhochschule Hamburg, sind der Musik der Rock- und Jazzszene sehr gut bekommen. Der Wiedergabe merkt man das Vergnügen der beiden Ausnahmeinstrumentalisten an den vorzüglichen Arrangements an. Revolutionär könnte es sein, daß sich unterschiedliche Musikgeschmäcker nach solch genußreichen Hörerlebnissen gegenseitig respektieren und zur Kenntnis nehmen. Jedenfalls möchten die Instrumentalisten eine „neue Offenheit für verschiedene Klänge, Klangsprachen“, für differente Lebenswelten und Biographien anstoßen, was gelungen ist. Hier fallen alle Grenzen zwischen E- und U-Musik.
„Warszawa“ von David Bowie beginnt wie Glockenschläge des tiefen Flügels, bevor eine ernste Melodie des Cellos in mittlerer Tiefe mahnt. Obwohl sich David Bowie nur zweimal für wenige Stunden in Warschau aufgehalten hat, scheint dieses eindrucksvolle Lied die düstere Stimmung der Stadt in dunkler Zeit (1973) wiederzugeben. Inspiriert wurde er nach dem Kauf einer Schallplatte von polnischer Volksmusik, wie sie in kommunistischer Zeit gepflegt wurde.
 
Alle Künstler erfinden sich und ihre Kunst immer wieder neu, äußert sich Jacques Ammon im Beiheft. Beethoven erfand vor allem in den Spätwerken seine zerrissene Psyche, seine Sprödigkeit, sein subjektives Innerstes musikalisch. Vielleicht auch die hier vorgestellten, modernen Unruhestifter, die alle mehr oder weniger enge Beziehungen zu verschiedenen Drogen und ihrer Szene aufweisen. Entsprach ihr ungeheurer Erfolg und Einfluß in der Welt, jedenfalls was Chart-Zahlen und Vermögen anbetrifft, einem Mainstream-Geschmack? Faszination, Verbreitung und Triumph der Oper bis 1914 sind vielleicht vergleichbar, waren damals aber trotz des Baus zahlreicher Opernhäuser in ganz Europa vergleichsweise begrenzt, fehlte doch für Wohnzimmer und Partykeller noch die Tonträger, die erst millionenfache Konsumentenzahlen ermöglichen.
 
Zuletzt erklingt sozusagen augenzwinkernd des trefflichen Stevie Wonders „Don‘t you worry ….“. Mit Cello und Klavier erfolgt hier ein musikalischer Rückblick auf „einstige Verstörungen, Aufkratzungen, Auftreibungen, revolutionäre Coolness, …auf etwas was war und immer sein wird“. Das ist schon revolutionary, jedenfalls umwerfend. Empfehlenswert.
 

Foto © Nikolaj Lund

Eckart Runge - Jacques Ammon – „Revolutionary”
Eckart Runge (Violoncello, Hieronymus und Antonio Amati, Cremona 1595) – Jacques Ammon (Klavier, Steinway & Sons D-274 grand piano) – Wolf Kerschek (arr. 3,5,7,9,10)
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Stücke:
1. Ludwig van Beethoven: Sonata für Piano und Cello No. 4, op. 102/2 1. Andante-Allegro-vivace – 2. Adagio-Allegro vivace - 3. Amy Winehouse: Back to Black - 4. Adelaide, Lied op. 46 - 5. Jimi Hendrix: Purple Haze - 6. Op. 110 Adagio ma non troppo (Arioso dolente) et Fugue, Arrangement from Piano Sonata - 7. David Bowie: Warszawa - 8. Op. 130 Cavatina (Arrangement from String Quartet) - 9. Frank Zappa Bebop Tango – 10. Stevie Wonder, Don´t You Worry `bout a Thing  
 
Gesamtzeit: 59:44 
 
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