Bach und Baltikum

Iveta Apkalna: 1. Orgelakzent 2021 in Wuppertal

von Johannes Vesper

Foto © Johannes Vesper
Iveta Apkalna:

1. Orgelakzent 2021 in Wuppertal
 
Sie konzertiert auf den Orgeln der Welt von Los Angeles bis Taiwan; ihr Debüt beim Cleveland Orchestra wie beim Royal Stockholm Orchestra steht bevor. Jetzt wird sie Organistin in Residence des Konzerthausorchesters Berlin, welche Position sie in den Jahren zuvor in Neubrandenburg innehatte. In den → Musenblättern wurde mehrfach über sie berichtet. In Wuppertal tritt sie nicht zum ersten Mal auf. Schon 2015 war sie hier an gleichem Ort zu hören, 2016 unter freiem Himmel in lauer Frühlingsluft beim internationalen Orgelopenair-Festival im Skulpturenpark Waldfrieden. Der Stadt ist sie auch als Jurorin des Internationalen Orgelwettbewerbs Wuppertal verbunden, der seit 2009 alle zwei Jahre stattfindet. Jetzt eröffnete sie am 29.08.21die aktuelle Konzertsaison, stellte Werke von Komponisten aus dem Baltikum, ihrer Heimat, dem A & O aller Orgelmusik, dem großen Johann Sebastian Bach gegenüber und weihte damit nach 2020 erfolgter Erneuerung der technischen Anlage und Digitalisierung der Setzeranlage offiziell die Konzertorgel im Großen Saal der Historischen Stadthalle Wuppertal wieder ein. Zu Beginn erläuterte der Kirchenmusiker Wolfgang Kläsener (Kantorei Barmen-Gemarke und Künstlerischer Leiter des Kettwiger Bach-Ensembles), was es bedeutet, die Orgel technisch a jour zu bringen.
Durch Digitalisierung der Orgeltechnik stehen jetzt 20.000 Speicherplätze für Registerkombinationen zur Verfügung (bisher 256)! Zusätzlich wurden die Spielmöglichkeiten erweitert: Sub- und Superkoppeln erlauben das Zuschalten von Oktaven nach unten und nach oben. Schwell- und Fernwerk können endlich von allen Manualen und auch von beiden Spieltischen angesteuert werden. Die Sostenuto-Funktion, das Halten angeschlagener Töne und Akkorde nach einmal erfolgtem Tastendruck, erlaubt bis dahin undenkbare Freiheiten bei Improvisationen. Und weil für all das mehr Luft nötig ist, erhielt die Orgel auch ein neues und stärkeres Gebläse. Mit dem eingebautem USB-Ausgang kann jetzt auf der Orgel gespielte Musik direkt auf einen Stick übertragen und nachgehört werden, was vor allem auch für den Wettbewerb von Bedeutung ist. Nach diesem Umbau ist die Orgel technisch auf dem neuesten Stand und Weltspitze. Möglich wurde diese Modernisierung durch die Großzügigkeit des Mäzens Dr. Jörg Mittelsten-Scheid, der ja den Neubau 1997 schon gestiftet hatte. Der technische Umbau erfolgte unter der Leitung von Johannes Falke, dem Intonationsmeister der Orgelbaufirma Sauer. Er hatte auch den ursprünglichen Orgelaufbau 1997 verantwortet. Für beide gab es würdigen Sonderapplaus des zahlreich erschienenen Publikums.
 
Eigentlich war dieser Orgelakzent schon im Januar 2021 vorgesehen, konnte aber infolge Corona erst jetzt stattfinden, nachdem Einschränkungen seitens der Politik weitgehend aufgehoben worden sind. Zu Beginn des Konzertes gab es die Fantasia g-moll von Alfrēds Kalniņš (* 11. August 1879, † 1951 in Riga), Vorgänger der Organistin als Dom-Organist in Riga. Spätromantisch mit vollem Werk beginnend, entwickeln sich nach Generalpause und virtuos gebrochenen Akkorden ein Lied und volkstümliche Zwischenmelodien.
 
Schließlich greift die Organistin zum Mikrofon und erläutert ihr Programm, spricht von der ruhigen baltischen Natur, vom Sonnaufgang und von Zucker und Salz des weißen Ostseesandstrandes. Lettland ist die Heimat der in Berlin und Riga lebenden Organistin. Durch die Liebe zur Natur und das gemeinsame Singen sei die Musikkultur des Baltikums geprägt. 16000 Stimmen sangen zusammen beim internationalen Liederfest (World Choir Games) 2014 die eigens dafür komponierte Hymne von Ēriks Ešenvalds (* 1977). Von ihm spielte sie die ihr vom Komponisten gewidmete „Fantasia“. Bei schwebendem Piano und wenig Bewegung hakt kurz die Fußkoppel und mit differenziertestem Fernwerk, trillernden Lärchen und zuletzt dem schnellen Ruf eines mutmaßlichen Paradiesvogels erfüllt baltische Musikkultur den Saal.
Im Zentrum des Konzerts stand Johann Sebastian Bachs (1685-1750), Fantasia G-Dur BWV 572, die sehr lebhaft, strahlend mit manualiter getriebenem Rhythmus beginnt, bevor choralartig der Cantus firmus im Baß Struktur bringt. Nach Orgelpunkt und Trugschluß geht es mit schnellen Sechzehntelfiguren toccataartig dem Ende entgegen.
 
Petēris Vasks (* 1946) schrieb seine „Musica seria“ und „am Ende der 1980er Jahre, als die baltischen Staaten ihren Kampf um die Unabhängigkeit begannen. „Mit den abwärts dringenden Einleitungsmotiv wollte ich ein Porträt unserer zerrissenen Planeten schaffen, das Böse und die Kraft der Vernichtung charakterisieren“. Das bedeutende Orgelwerk wird auf der großen Konzertorgel mit allen ihren Möglichkeiten eindrucksvoll inszeniert. Bei verstörenden, kurzen Einwürfen in einen unbestimmten Klangteppich dissonanter Akkorde assoziiert man „Gewitterhimmel und Panzerfahrgeräusch“ (Iveta Apkalna in ihrer Einführung). Jāzeps Vĩtols (1863-1948) Lied der Wellen über ständig bewegtem Baß, bzw. über ostinatoartig absteigendem Motiv der Mittelstimmen an Dichte zunehmend, endet zuletzt in prächtigem Fortissimo. Als Abschluß dann der „Hymnus“ von Petēris Vasks, der den Frühling thematisiert. Nach dem lang ausgehaltenen Schlußakkord mit vollem Werk brach kräftiger Applaus aus. Die Organistin erhielt Bravi-Bravissimi und Blumen für dieses stimmungsvollen Abend baltisch-lettischer Orgelmusik. Ihr ganzes Temperament zeigte sie erst bei der effektvollen Zugabe, dem virtuosen „Allein Gott in der Höh sei Ehr“ von Aivars Kalējs (*1951 in Riga). Am 01.09.21 spielt Iveta Apalkna Bach und Widor beim Rheingau Festival in der Wiesbadener Marktkirche, der Kirche Max Regers.
 

Foto © Johannes Vesper