Heucke – Haydn - Hesse – Dvořak

Gedenkkonzert für Detlev Muthmann

von Johannes Vesper

Foto © Karl-Heinz Krauskopf

Heucke – Haydn - Hesse – Dvořak

 

Gedenkkonzert für Detlev Muthmann und Saitenspiel-Kammermusik
am 27.02.2022 in der Historischen Stadthalle Wuppertal
 
Von Johannes Vesper
 
Stücke: Stefan Heucke: Des Baches Wiegenlieder: fünf Fantasiestücke für Horn und Klavier. Uraufführung) - Joseph Haydn Streichquartett C-Dur op. 76 Nr. 3 „Kaiserquartett“ - Lutz-Werner Hesse Quartett für Horn 2 Violinen, Viola und Violoncello (Uraufführung) - Antonin Dvořak: Amerikanisches Streichquartett op.96 F-Dur.
Besetzung: Sybille Mahni (Horn), Rainer Maria Klaas, (Klavier), Schumann-Quartett (Streichinstrumente)
 
Das wäre ein Konzert nach seinen Vorstellungen gewesen. Zwei Uraufführungen zeitgenössischer Komponisten zusammen mit zwei der berühmtesten Kammermusikwerke überhaupt. Kammermusik war die Leidenschaft Detlev Muthmanns, der 1910 bis zu seinem Tod 1920 in der Stadthalle Wuppertal, am Ort dies heutigen Konzertes, seine Kammermusikreihe „Saitenspiel“ veranstaltet und finanziert hat, wofür sich Silke Asbeck vor Beginn des Konzertes bedankte. Sie wies auch darauf hin, daß auf seine Kosten die während der Nazi-Zeit von der Fassade der Stadthalle abgeschlagenen Namen jüdischer Komponisten 2016 im originalen Sandstein wieder angebracht wurden. Unabhängig vom Mainstream des Publikumsgeschmacks wollte er „Musica Rara“ zu Gehör bringen. die in konventionellen Kammermusikprogrammen selten auftaucht. So gönnte er sich und uns „in Liebe und Verehrung“ Kammermusik der NS-verfolgten Komponisten Guido Klein, Erwin Schulhoff, Viktor Ullmann, Pavel Haas und Hans Krása und die Erfahrung aller Streichquartette Ludwig van Beethovens an drei Abenden hintereinander zu hören (Uriel Quartett). Alle Saitenspielkonzerte wurden auch in Wuppertaler Schulen vorgestellt. Kulturdezernent Matthias Nocke dankte in Vertretung des Oberbürgermeisters und der Stadt dem großzügigen Mäzen und verwies auf die Denkwürdigkeit des Konzertdatums, an dem der russische Präsident Wladimir Putin seine Atomstreitmacht in Alarmbereitschaft versetzt hat.
 
Aber zurück zu Detlef Muthmann. Er hatte als Jugendlicher, angeregt von musischen Eltern, Cellounterricht bekommen und in der Stadthalle eine goldene Zeit der Kammermusik erlebt. Er wolle der Stadt etwas von diesen Jugenderlebnissen zurückgeben, hat er mir erzählt. Auch in dieser kunstsinnigen Familie manifestierte sich aber die Janusköpfigkeit deutschen Geistes, waren doch im erfolgreichen Unternehmen des Vaters während der NS-Zeit zahlreiche der ca. 20.000 „fremdvölkischen“ in Wuppertal anwesenden Zwangsarbeiter beschäftigt.
Im Kammermusikkonzert zu Ehren Detlef Muthmanns gab es neue Kammermusik für Horn in seltenen Besetzungen zu hören. Mit „Des Baches Wiegenlieder für Horn und Klavier“ (Fünf Fantasiestücke op. 112) von Stefan Heucke ging es los. „Ich habe mindestens zehn Stücke mit Bezug auf Schubert komponiert und erstaune immer wieder, wie der von Mißerfolg geplagte Schubert doch Gemütslagen und Stimmungen in Musik gefaßt hat, die uns nach 200 Jahren noch viel bedeuten“, erzählte der Komponist. Zu diesem Werk inspirierte ihn die die 3. Strophe des Gedichtes „Des Baches Wiegenlied“ von Wilhelm Müller, welches bekanntlich dem letzten Lied von Franz Schuberts Zyklus „Die Schöne Müllerin“ zugrunde liegt. Vor einigen Jahren schon sprach Heucke über dieses Projekt mit der Hornistin Sibylle Mahni, die ihr Versprechen, es uraufzuführen, heute Abend einlöste. Jedes der bewegten, teilweise virtuosen und technisch anspruchsvollen Fantasiestücke erhielt als Überschrift die erste Zeile der Strophen des Müllerschen Gedichtes, dessen romantische Lyrik in die Musiksprache unserer Zeit wurde. Der Komponist griff dazu zurück auf musikalische Assoziationen und Bilder vom munter plätschernden Bach bis hin zu stürmischen Hornquarten und Quinten Richard Wagners. „Sehnsucht, Erfüllung, Verlust und Verklärung“ lotete die Hornistin mit gesanglichem Horn ausdrucksstark aus, welches dabei aber seinen Singalklang nicht verlor.
 
Klangvoll und souverän musizierte die von der Hanns Eisler-Hochschule Berlin angereiste Sibylle Mahni  mit dem dankenswerterweise für die erkrankte Ulrike Payer eingesprungenen Rainer Maria Klaas, laut Programm „einer der repertoirereichsten europäischen Pianisten“. Er meisterte den anspruchsvollen Klavierpart problemlos. Nach langem Schlußton des Horns im pp gab es großer Applaus.
Das folgende berühmte Streichquartett op. 76.3 von Joseph Haydn (1732-1809) von 1799 stammt aus der Zeit des 2. Koalitionskrieges. Da kam das Thema des Variationssatzes aus diesem Quartett, komponiert als Kaiserhymne für den letzten Franz des alten Österreich, gerade recht, hatte es doch ungeheure Popularität erlangt, nach dem die Hymne zu Kaisers Geburtstag am 12. Februar 1997 in allen Wiener Theatern gleichzeitig gesungen worden war. Welche kriegerische Propaganda damals!
 Groß, nahezu sinfonisch angelegt erreicht Josef Haydns mit seinen späten Quartetten, wie diesem, den ersten Höhepunkt der Gattung, die er ca. 40 Jahre zuvor erfunden hatte. Frisch zupackend beginnt das erste Allegro. Jede Phrasierung wurde liebevoll ausgespielt. Mit hohem Tempo stürmt das Quartett durch den von Einfällen sprühenden komplizierten Satz. Lebendig, behände tanzen hohe Streicher über dem Orgelpunkt des stets sonoren Violoncellos. Plötzlich Innehalten, die Geige steigt auf, kurzer Nachschlag Haydenschens Humors und nach einer knappen Schlußstretta endet der Satz.
Der Variationssatz begann in zügigem Tempo. Stets sehr kultiviert und blitzsauber umspielen sich die Stimmen. nur die Begleitung variiert. Das kaiserliche Thema wandert über die Instrumente, bleibt dabei, wie es sich gehört, als kaiserlicher Cantus firmus unverändert. Am Ende ergriffene Stille bevor das musikantisch-derbe Menuett mit seinem nachdenklich befremdlichen Trio anhebt.
Mit orchestralen Akkordschlägen begann das Quartett der 3 Brüder Mark, Erik und Ken Schumann zusammen mit Veit Hartenstein (Bratsche) das rasante hochvirtuose Presto des letzten Satzes, hoch anspruchsvoll für die Instrumentalisten. In ständigem Blickkontakt loteten sie mit großer temperamentvoller Spontaneität aus, was musikalisch hier möglich ist. Großer Applaus und Bravi zur Pause.
 
Nach der Pause erzählte der Komponist Lutz-Werner Hesse die Geschichte des Werkes der zweiten  Uraufführung. Er hatte 2019 von Detlef Muthmann einen Kompositionsauftrag für ein Stück für Blasinstrument und Streichquartett erhalten Das sollte in einem Konzert der Kammermusikreihe uraufgeführt werden. Der Komponist entschied sich für das Horn „Es ist mein Instrument. Mit diesem Blasinstrument kenne ich mich am besten aus“. Er behandelte das Horn hier durchaus in der Aura und Tradition des 19. Jahrhunderts, hatte es In der Romantik doch einen hohen Stellenwert, obwohl es selten kammermusikalisch eingesetzt wurde. Für diese Besetzung gibt es seit Mozart nur wenige Stücke. Warum er dieses Quintett ein „Epitaph für Ludwig Ritter von Köchel“ genannt hat erläuterte er leider nicht. Köchel hatte 1862 das „Chronologisch-thematische Verzeichnis sämtlicher Tonwerke Wolfgang Amadé Mozarts“ herausgegeben. Wie dem auch sei. Im kurzen quasi improvisierenden Prolog stellt das solistische Horn vom tiefen G bis zum hohen b nach langen Quinten seinen Tonumfang in ruhigen ersten Tönen bei noch unbestimmtem Takt zusammen. Erst das Streichquartett findet dann zum ungewöhnlichen, schwankendem 7/8 Takt. Die Mittelstimmen liefern durchlaufende Sechzehntel-Terzen über einem Ostinato des Violoncellos, welches viel später mit schwankendem Rhythmus wiederkehrt. Erste Violine und Horn beginnen einen Zwiegesang, später cantabile übernommen von der sonoren Bratsche und endlich dem Violoncello. Fugato, Elemente von Kontrapunkt Nach Ende der Hornkantilene ergreifen nach und nach die Sechzehntel das ganze Streichquartett, welche accelerando nach wüstem Absturz beim trillernden Cello in der Tiefe landen, zuletzt nach starkem Pizzi-Ritardando aller auf G-endet. Aus acht Sätzen besteht das ganze Werk, bringt Kantilenen, Fugato, Elemente des Kontrapunktes, also durchaus konventionelle Musikelemente. Im Zentrum steht ein „Lento misterioso“ mit merkwürdig-befremdlicher Stimmung: sechs Takte scharfen, geheimnisvollen Klangs im Pianissimo, wenn das Bogen-Tremolo unmittelbar auf dem Steg ausgeführt wird. Den anspruchsvollen, kantablen, technisch schwierigen Hornpart spielte Sybille Mahni souverän und mit großem Ausdruck. Das Quintett wirkt alles andere als atonal, vermittelt keinen Schock der Moderne, sondern eher nahezu volkstümlichen Charakter. Das Publikum zeigte sich mit starkem Applaus und Bravorufen für den Komponisten wie für die Ausführenden sehr angetan.
 
Zum Schluß gab es nach der Programmänderung das amerikanische Streichquartett von Antonin Dvořak (1841-1904), welches er 1893 in Amerika komponiert hat. Musikalisch steht es in größter Nähe zur Sinfonie „Aus der Neuen Welt“. Ob die Musik von indigener Indianermusik oder von der Musik schwarzer Sklaven beeinflußt ist? Das ließ Lutz-Werner Hesse bei der Ankündigung der Programmänderung offen. Pentatonik, natürliches Moll, synkopische Verschiebungen können auch böhmischen Ursprungs sein. Herrliches Bratschensolo zu Beginn, immer wieder Aufblühen der Mittelstimmen, hinreißender Cellogesang, feinste Dynamik und Agogik. Blitzsaubere Technik und Temperament: So entstand eine großartige, charakteristisch-eigene Interpretation dieses herrlichen Kammermusikwerkes. Großer Applaus, Bravi, Blumen für alle Beteiligten, die sich noch einmal auf der Bühne versammelten. Ein großer Kammermusikabend an einem denkwürdigen Tag. Der WDR hat das Konzert übrigens aufgezeichnet.