Konzert in Kriegszeiten
Sinfonieorchester Wuppertal im 7. Sinfoniekonzert der 159. Wuppertaler Saison
Von Johannes Vesper
Bisher sind wir hier Teilnehmer nur eines Wirtschaftskrieges. Aber wenige Kilometer östlich werden Städte bombardiert und Menschen getötet. Das ist schwer erträglich. So las vor dem Konzert Patrick Hahn das Friedensgebet des H. Franziskus, rief zu Spenden auf für in Wuppertal angekommene Geflüchtete auf und zu einer Schweigeminute im Gedenken an die ukrainische Katastrophe.
Das Konzert begann mit der Hamburger Sinfonie Nr. 1 von Carl Philipp Emanuel Bach (1714-1788). Ursprünglich hatte er Jura studiert, machte aber Karriere als Cembalist, musiziert dann 27 Jahre für Friedrich II in Potsdam, bevor er 1768 Georg Philipp Telemanns Nachfolge als Musikdirektors der Hamburger Stadtkirchen antrat. Hamburg war damals schon eine Musikstadt, obwohl man vor den Fußballspielen des HSV im Stadion noch nicht gesungen hat „Hamburg meine Perle“, wie im Programm zu lesen war.
Mit fulminantem Ausbruch im Fortefortissimo zupackend ging es los. Das Orchester spielte stehend, temperamentvoll mit großen dynamischen Gegensätzen und der Dirigent wippte am Cembalo, motivierte mit nur mit Blicken und Körpersprache. Brillant und virtuos lief diese Sinfonie ab, Sturm-und-Drang ihrer Entstehungszeit eindrucksvoll widerspiegelnd. Kein Wunder, daß der zweitälteste Bachsohn mit seiner Musik in besonderer Weise Haydn und Mozart beeinflußt hat. Musikstadt nur dank Carl Philipp Emanuel? Nein! Hamburg weist sieben Museen bedeutender Komponisten von Telemann bis Mahler auf, die alle Beziehungen zur Stadt hatten Zwei davon stehen auf dem Programm des 7. Sinfoniekonzertes der 159. Saison und der dritte hat zwar auch seine Wahlheimat in Hamburg gefunden, aber für ihn gibt es zwar noch kein Museum daselbst aber immerhin eine Akademie.
Über 200 Jahre später fand Alfred Schnittke 1990 eine Heimat in Hamburg. Erst die die Perestroika hatte es ihm ermöglicht, aus der Sowjetunion auszureisen. Sein erstes von sechs Concerti grossi aus den Jahren 1976/77 wurde schnell bekannt, nachdem Gideon Krämer, der kürzlich noch hier zu hören war, ihn als Cembalist im Litauischen Kammerorchester bei einer Tournee zu den Salzburger Festspielen „geschmuggelt“ hatte. Schnittke bearbeitete das sechssätzige Werk für zwei Soloviolinen, Cembalo, ein präpariertes Klavier und 21 Streicher mehrfach, bezog sich auf verschiedene musikalische Stile („Polystylistik“), benutzte immer wieder Zitate, setzte sich auch mit der musikalischen Barockzeit auseinander. Der Begriff der Polystilistik wird oft im Zusammenhang mit der Musik Schnittkes verwendet und weist Überschneidungen mit dem des Eklektizismus auf. Schnittke wollte in seiner facettenreichen Musik auch E- und U-Musik zusammenfassen, auch für den interessierten Zuhörer durchaus eine gewisse Herausforderung.
Das Prelude begann mit ruhigem verfremdetem Klang des speziell präparierten Klaviers, welches seitlich vom Cembalo stehend von Patrick Hahn geschlagen wurde, wenn er nicht später auf dem Cembalo spielte. Eine Solovioline (Nicolas Koeckert) steigt mit kleiner Sekunde abwärts, dagegen die andere (Nikolai Mintchev) mit ebensolcher Sekunde aufwärts. Ruhige Schwebungen entwickeln sich über einem Orgelpunkt und vor leisem flächigem Cello-Flageolett im Hintergrund. Die flotte Toccata des 2. Satzes läßt an Vivaldi denken. Und die beiden Konzertmeister des Sinfonieorchesters Wuppertal, glänzten in ihren anspruchsvollen den anspruchsvollen Solopartien mit großer Spielfreude, quasi sich kollegial instrumental humorvoll unterhaltend. Glissandi, auch des gesamten Orchesters disharmonische Verschiebungen, Gegenläufigkeiten, intensive Streicher, die zeitweise mit voller Kraft streichen,: nur der unbedarfte Konzertkonsument wird das berühmte Duo miaule des Katzenliebhabers Ravel amüsanter finden. Immerhin mischen sich später abwechslungsreich und unterhaltsam synkopische Tangorhythmen in den neobarocken Streicherklang. Humorvoll mit den Ohren wackelnd, läßt der Komponist die gesamte Musikgeschichte passieren. Das Ganze endete mit den ruhigen atypischen Klavierklängen des Anfangs und erstarb unter unwirklichem Flageolett der Streicher in höchsten Höhen. Das faszinierte Publikum merkt bei solch einem Programm des ideenreichen GMD aber, was in den letzten Jahren an wichtiger zeitgenössischer Musik im Großen Saal alles nicht gespielt worden ist. Großer Applaus, Blumen für Solisten und Dirigent, Bravi und Pause.
Als die 1. Sinfonie 1876 des in Hamburg geborenen Johannes Brahms uraufgeführt wurde, war er 43 Jahre alt und hatte seiner Heimat längst den Rücken gekehrt. Der berühmte Hans von Bülow von dieser c-Moll Sinfonie als der „zehnten“ gesprochen, stellte sie also direkt in die Nachfolge Ludwig van Beethovens, Brahms tat sich schwer damit, obwohl Clara Schumann 1862 vom Entwurf des 1. Satzes angetan war, „voll wunderbarer Schönheit“ sei er. Vierzehn Jahre sollte es noch dauern, bis die Sinfonie am 04.11.1876 in Karlsruhe uraufgeführt wurde.
Die breite Einleitung beginnt mit ostinatem Pauken-Orgelpunkt, Sekundhalbtonschritten absteigend. fallender Septime. Flott, jugendlich kräftig ging Patrick Hahn den groß angelegten 1. Satz an, in welchem die fallenden Triolen rhythmisch an Beethovens Schicksalssinfonie ebenfalls in c-Moll erinnern. Im zweiten Satz tauchen erneut Triolen auf, wirken aber weniger bedrohlich Herrliche Soli von Oboe und Klarinette weiten die Herzen des Publikums ebenso wie das langes himmlisches Violinsolo (Nikolai Mintchev) gegen Ende, in höchste Höhen aufsteigend. Heitere Ländlichkeit breitet sich im einfacheren 3. Satz aus. Der vierte beginnt mit bedrohlichem Crescendo. Suchendes, dann wütendes Pizzicato, unbestimmte Tempi, gespenstische aufsteigende Kontrabässe, existentielle Unsicherheit, die endlich vom erlösenden, sonoren, breiten Horn und anschließend von der trostreichen hellen Flöte weggeblasen wird. Unter choralartigen Klängen scheint das Schicksal überwunden. Wenn dem doch so wäre! Die Geigen beginnen in ihrer Tiefe dunkel klangvoll mit dem gesanglichen Hauptthema, welches an Beethovens 9. Sinfonie erinnern mag. Zitate aus früheren Konflikten und Kämpfen bleiben ohne nachhaltigen Einfluß auf die musikalische Entwicklung. Alles andere als elegant und leichtfüßig, behält der Satz, trotz inzwischen strahlendem und geschwindem C-Dur Brahmsschen Ernst und Schwere.
Bravi, stehende Ovationen langer Applaus und dann stimmte das Orchester das „Gebet für die Ukraine“ an. Diese sehr bewegende geistliche Nationalhymne von 1885 spielt für die nationale Identität des Landes eine sehr große Rolle. Anschließend minutenlange Stille.
|