Mikhail Pochekin spielt

Romantische Violinkonzerte von Mendelssohn und Bruch

von Johannes Vesper

Mikhail Pochekin spielt

Romantische Violinkonzerte
von Mendelssohn und Bruch
 
Von Johannes Vesper
 
Die Württembergische Philharmonie Reutlingen spielt in den Philharmonien Köln und Berlin, im Concertgebouw, in Luzern, regelmäßig in Mailand, hat eine Japan-Tournee hinter sich, konzertierte u.a. schon mit Gidon Kremer und Frank Peter Zimmermann und kann auf eine beeindruckende Diskographie verweisen Auf der neuesten CD des Orchesters spielt Mikhail Pochekin unter der Leitung von Sebastian Tewinkel die Violinkonzerte von Felix Mendelssohn-Bartholdy und Max Bruch Nr. 2, welches vergleichsweise selten auf den Konzertprogrammen zu finden ist. Die Rezeption beider Komponisten war lange beeinträchtigt durch verbreiteten Antisemitismus zuletzt vor allem in Nazi-Deutschland, wobei Max Bruch wegen seiner berühmten Komposition „Kol Nidrei“ fälschlicherweise eine jüdische Herkunft unterstellt worden ist.
 
Mit dem Violinkonzert in e-Moll op. 64 hatte sich Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847) jahrelang herumgeschlagen, bevor er es 1844 im schönen Bad Soden an den Abhängen des Taunus vollenden konnte Er hatte mit seiner Familie dort eine Villa gemietet, erging sich im 1821 neu angelegten Kurpark, wanderte im Taunus, genosß den Blick auf Frankfurt und komponierte das Konzert für seinen Freund und Konzertmeister beim Leipziger Gewandhausorchester, den Geigenvirtuosen Ferdinand David. Der erste Satz startet fulminant. Nach nur kurzem Orchestervorspiel legt der Geiger sogleich mit dem bekannten Hauptthema los, molto appassionato frisch, frei, mit Verve und großer Präsenz. Nach der von Mendelssohn in der Mitte des Satzes eingefügten und auskomponierten Kadenz übernimmt das Orchester das Thema, während die Sologeige hoch virtuos mit flinken Arpeggien begleitet. Ohne Pause leitet das Fagott überraschenderweise direkt in den langsamen 2. Satz mit seinen Variationen über, bevor der 3. Satz –allegro molto vivace- im Zwiegespräch zwischen Orchester und Solist losstürmt. Arnold Schönberg sprach von „geadelter Virtuosität und poetischer Beredsamkeit“, Friedrich Nietzsche etwas banaler von einem „schönen Zwischenfall der deutschen Musik“. Der Solist spielt hier technisch brillant, schwungvoll, spielerisch oder wirkmächtig elegisch unter der sensiblen Leitung des erfahrenen, umtriebigen Sebastian Tewinkel voll auf. Der hat 23 Sinfonieorchester der 130 Berufsorchester in Deutschland, darunter das des Bayrischen Rundfunks , die Münchener Philharmoniker und die Bamberger Sinfoniker geleitet, dirigierte Orchester in St. Petersburg, Lissabon, in Japan, Neuseeland sowie Opern in Gelsenkirchen, Würzburg, und den Tannhäuser in Hagen. Seit 2015 leitet er als Generalmusikdirektor die Neubrandenburger Philharmonie.
 
Gegenüber dem oft gespielten ersten Violinkonzert des in Köln geborenen Max Bruch (1859-1920) schätzte nicht jeder sein zweites in d-Moll op. 44. welches auch er einem berühmten Virtuosen, nämlich Pablo de Sarasate (1844-1908), in die Hände bzw. Finger geschrieben hatte. Dieser hatte nämlich mit dem eingängigen 1. Konzert des Komponisten große Erfolge in ganz Europa erzielt. Eine aus früheren Besuchen übrig gebliebene Romanze in a-Moll wurde bei der späteren Vollendung des Konzertes zum ungewöhnlichen Adagio des Einleitungssatzes umgestrickt. welcher für Johannes Brahms „kaum auszuhalten“ war. Hans von Bülow schrieb gar von „plumper Instrumentation, schlottriger Form und äußerster Dürftigkeit“ bei immerhin „zwischendurch geschickter Mache“. Inzwischen lautet die Beurteilung aber anders und viele große Geiger haben sich des Konzerts angenommen (so u.a. Itzak Perlman, Jascha Haifetz). Der russische Geiger Mikhail Pochekin ist dem Konzert besonders zugetan, weil er den spanischen Pablo-Sarasate- Nationalpreis erhalten und dessen Stradivari „ex Boissier“ gespielt hat. Als Solist ist er seit seinem Studium in Basel, München und Köln vor allem in St. Petersburg und Moskau zu Hause. Bezüglich des 1. Satzes wird man Johannes Brahms nicht unbedingt folgen, wenn man die eingestreuten virtuosen Passagen, die entrückenden Melodien der auch in der Tiefe klangvollen Violine und den wiederholten Orchesterfanfaren genießt. Die lange, rezitativische Kadenz des 2. Satzes wird von charakteristischen punktierten Orchesterschlägen, die den Satz auch eröffnen, immer wieder unterbrochen. Konzertanter Schwung entwickelt sich erst im 3. Satz. Im Beiheft findet man ein Interview mit dem Solisten, Lebensläufe von Solist und Dirigent sowie Informationen zum 1845 gegründeten Orchester.
 
Nachtrag: Die Vita des russischen Geigers mahnt, daß nicht das gesamte Rußland mit dem entsetzlichen Überfall auf die Ukraine identifiziert werden kann. Just beim Hören und Beschreiben der schönen Konzerte kamen die Greueltaten und Morde von Butscha in die Nachrichten (03.04.2022) und werden zukünftig für den Rezensenten mit diesen Konzerten gedanklich verbunden bleiben.
 
Romantic Violin Concertos
Mikhail Pochekin (Violine) - Württembergische Philharmonie Reutlingen (Leitung: Sebastian Tewinkel)
© 2022 haenssler Classic (CD)
Stücke:
Felix Mendelssohn Bartholdy: Violin Concerto in E minor op. 44 - 1.Allegro molto appassionato, - 2. Andante - 3. Allegretto non troppo-Allegro molto vivace
Max Bruch Violin Concerto No. 2 in D minor op.44: 4. Adagio ma non troppo - 5 Recitativo. Allegro moderato - 6. Finale Allegro molto
Gesamtzeit: 52:00
16,99 €
 
Weitere Informationen: www.haensslerprofil.de