„Nordlichter“

Tabita Berglund und Ragnhild Hemsing mit Grieg, Tveitt und Sibelius

von Johannes Vesper

Tabita Berglund am Pult - Foto © Johannes Vesper

„Nordlichter“
 
Glanzvolle Eröffnung der 160. Konzertsaison des Sinfonieorchesters Wuppertal
mit Tabita Berglund und Ragnhild Hemsing
 
In der kommenden Spielzeit will das Sinfonieorchester Wuppertal sein Publikum verzaubern Mit dem nordisch geprägten Eröffnungskonzert unter Tabita Berglund ist das schon mal gelungen. Die 33-jährige gilt als ein großes europäisches Talent unter den Dirigenten, eines der „größten Versprechen“ in der internationalen Dirigentenszene (Helsingin Sanomat). Nach Abschluß eines Meisterkurses unter dem Dirigenten Ole Kristian Ruud 2019 wurde sie bald von bedeutenden Orchestern engagiert, unter anderen vom Oslo Philharmonic Orchestra, Royal Stockholm Philharmonic Orchestra, Finnish Radio Symphony Orchestra, Royal Scottish National Orchestra, Hallé and Orquestra Simfònica de Barcelona i Nacional de Catalunya, Tonkünstler-Orchester Niederösterreich und dem Orchestre National de Lille. Aktuell ist ständige Gastdirigentin des Kristiansand Symphony Orchestra. Mit dem heutigen Konzert in der Historischen Stadthalle zu Wuppertal gibt sie ihr Deutschland-Debüt.
 
Eröffnet wurde das Konzert mit der berühmten Peer Gynt Suite Nr. 1 von Edvard Grieg (1843-1907), der zunächst nicht an einen Erfolg damit außerhalb Norwegens geglaubt hatte. Hier irrte er gewaltig, denn heutzutage ist diese Suite nach der Dichtung von Henrik Ibsen eines der bekanntesten romantischen Orchesterstücke überhaupt und Grieg begründete u.a. mit ihr seine eigene charakteristische nordische Musik. Die „Morgenstimmung“ ist inzwischen durch Funk, Fernsehen und Werbung weithin bekannt und oft mißbraucht. Aber welches Glück, wenn das silbrige Flötensolo diese herrliche Suite eröffnet und der Schwung der Musik das volle Orchester Dank des inspirierenden, elegant aber auch in Einzelheiten klaren Dirigates bald ergreift. Im 2. Satz wird Åases Tod mit bewegendem Piano zu Beginn beklagt, welches später wechselt mit drängenden Emotionen und immer wieder das abfallenden Dreiton-Motiv. Das Ganze erstirbt zuletzt in ergreifendem Piano. Dann bricht Antris Tanz, der 3. Satz, aus. Temperamentvoll walzen die Violinen unter klangvoller Pizzicato Begleitung der tiefen Streicher los. Melodiöse Mittelstimmen gehen zu Herzen. Zuletzt erfüllen gespenstische Klänge die Halle des Bergkönigs: Gestopfte Trompeten, Pizzicato, differenzierte Agogik mit erheblichem Accelerando: wunderbar bringt die Dirigentin die aufregenden und phantastischen Orchesterfarben zum Leuchten, fordernd, modulierend mit ihrer Linken gegenüber der exakt schlagenden Rechten bei temperamentvoller Körpersprache. Nach turbulentem Ende jubelt das Publikum.
 

Ragnild Hemsing - Foto © Johannes Vesper

Ragnhild Hemsing, geboren 1988, spielt seit ihrem 5. Lebensjahr Geige, studierte in Oslo und Wien und musizierte schon als 14jährige das Mendelssohn-Konzert. Seitdem ist sie als Solistin bei vielen großen Orchestern Europas zu Gast. Ihre CDs wurden in den Musenblättern schon besprochen Heute hatte sie ihre prächtig verzierte Hardangerfiedel mitgebracht und spielte das Konzert Nr. 2 „Drei Fjorde“ von Geirr Tveitt (1908-1981). Musikprogrammatisch stehen in diesem Konzert drei Fjorde zur Diskussion. Thematisch-musikalische Entwicklungen finden sich in diesen Stücken weniger. Gebrochene Arpeggien, temperamentvoll musikantisch vorgetragen, faszinierten gleichwohl das Publikum. Das in Norwegen volkstümliche Instrument, kürzer als die Geige, mit niedrigerem Steg und vier Sympathiesaiten, erfordert viele Doppelgriffe und Verzierungen. Die Musikerin befindet sich, wenn sie dieses Instrument spielt, in bester Gesellschaft. Schon der große Ole Bull (1810-1880) - der Paganini des Nordens - gedachte mit der Hardangerfiedel die norwegische Volksmusik aufzuwerten. Der Komponist dieses Konzerts Geirr Tveitt war ebenfalls von norwegischer Bauernmusik fasziniert und ließ sich von ihr inspirieren. Dank elektronischer Verstärkung der Fiedel hatte Ragnild Hemsing keine Schwierigkeiten sich gegenüber dem Orchester durchzusetzen. Sie bezauberte und faszinierte mit dieser volkstümlich spielerischen Musik. das Publikum durch stupende Technik, mit blitzsauberem Zusammenspiel (vor allem mit den Holzbläsern und kleiner Trommel) Nach furiosem Schluß, großem Applaus und Blumen gab die Violinistin zwei Zugaben und brachte den eigentümlichen Klang des Instruments, eine Mischung aus Violine und Dudelsack,  noch einmal voll zur Wirkung, und lieferte dazu mit dem Fuß den Rhythmus.
 
Nach der Pause gab es die Sinfonie Nr. 1-e-moll op. 39 von Jean Sibelius (1865-1957). Schon im Februar dieses Jahres war von ihm hier die Tondichtung „Lemminkäinen“ zu hören, dessen Held aus dem finnischen Nationalepos Kaleva (1835) stammt. Aber Sibelius sagte von sich „Für mich beginnt Musik da, wo das Wort aufhört. Eine Sinfonie soll zuerst und zuletzt Musik sein". Pläne für diese Sinfonie entstanden schon in Berlin, vollendet wurde sie 1899 in Finnland zu einer Zeit, da die Finnen unter russischen Imperialismus litten und die Sinfonie fast als Freiheitshymne aufgenommen wurde. Sie beginnt mit klagendem Klarinettensolo (beseelte Tongebung von Selina Lohmüller) über leisem Paukenwirbel, bis die Violinen stark loslegen und das erste hochromantische Thema, inzwischen verstärkt durch sonores Blech den Saal im Fortefortissimo erfüllt. Mit deutlichem Dirigat und biegsamer Körpersprache beherrschte die Dirigentin immer das riesige Orchester, welches bei häufigen Temposchwankungen, diffizilen Accelerandi und gewaltiger dynamischer Spannbreite aufmerksam und wach der jungen Dirigentin folgte. Die Chemie stimmte offensichtlich. Im langsamen Andante des 2. Satzes beeindruckten die gedämpften, gleichwohl sonoren Streicher in der mittleren Lage. Das motorische stampfende Scherzo des 3. Satzes (Allegro) erinnerte mit flinkem Pizzicato noch an Bruckner und endete nach ruhigerem Mitteteil furios. Im Letzten Satz greifen die Violinen, laut klagend, das Klarinettenthema des 1. Satzes auf und die spätromantische Thematik entwickelt sich zwischen makellosen, kammermusikalischen Episoden und opulent-luxuriösem Orchesterklang. Dynamische Höhepunkte mit Becken enden ein letztes Mal in dem bekannten Thema über mächtigem Orgelpunkt der Bässe. Nach kurzen Orchesterschlägen und gewaltigem Paukensolo bricht der Satz zusammen und endet wie schon der erste im PP-Pizzicato. Lange, endgültige Stille, bevor der Applaus ausbricht. Bravi, Pfiffe, Blumen. Ein großer sinfonischer Vormittag ist zu Ende.


Tabita Berglund - Foto © Johannes Vesper

 
Der zweite Konzert-Termin ist heute, Montag 12. September 2022, 20 Uhr.